Freitag, 19. April 2024

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Kritik an Ernährungsverhalten
"Wir konsumieren zu billiges Fleisch"

Die schlechten Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachtbetrieben hätten die Verbraucher selbst zu verantworten, kritisiert der Spitzenkoch und Biobauer Franz Keller im Dlf. Er ruft zu weniger Fleischkonsum auf, um die Massenproduktion zu beenden. Die Menschen müssten sich wieder bewusster ernähren.

Franz Keller im Gespräch mit Philipp May | 19.06.2020
Ferkel werden in Tiertransportern zu den Masthöfen antransportiert. Zu sehen sind drei Schweine hinter Gittern.
"Wir müssen einfach weniger essen, weniger Fleisch essen, weniger Wurst", sagt Spitzenkoch und Biobauer Franz Keller. (imago / Kai Horstmann)
Die Bedingungen der deutschen Fleischindustrie sind schlecht für die Tiere, Menschen und die Umwelt - und offensichtlich auch schlecht für das Corona-Pandemiegeschehen, wie die jüngesten Ausbrüche in deutschen Schlachtbetrieben zeigen. Spitzenkoch und Biobauer Franz Keller forderte im Dlf, weniger Fleisch zu essen, um der Massenproduktion in den großen Fleischbetrieben ein Ende zu bereiten. Die Menschen müssten sich wieder bewusster ernähren und sich mehr Zeit zum Kochen nehmen.
Ein Porträt von Franz Keller
Spitzenkoch und Biobauer Franz Keller (imago / Future Image)
Das Interview im Wortlaut:
May: Muss man Bauer werden, um ethisch korrekt zu essen?
Keller: Nein, das muss man nicht. Aber man muss sein Hirn einschalten. Und wie schon gerade erwähnt: Es ist ein gesellschaftliches Problem, das schwer nach hinten losging. Es kann nicht sein, dass Fleisch billiger ist wie Gemüse, und es kann auch nicht sein, dass das propagiert und auch noch immer subventioniert wird. Wir leben in einer Welt, die völlig verrückt und verkehrt ist, und keiner will was ändern. Alle klammern sie an dem, was sie gerade mal haben, und dann kommt so etwas dabei heraus.
"Wir ernähren uns falsch"
May: Darf man Billigfleisch von Aldi, von Lidl, vom Discounter nicht essen?
Keller: Nein! Man sollte es boykottieren. Das Problem ist aber: Wenn wir es boykottieren, bringt das auch nichts. Das Thema ist nämlich etwas ganz anderes. Es geht ums Tierwohl auch und es geht darum, dass wir uns falsch ernähren, dass wir inzwischen alle krank werden von dem Zeug, aber jetzt nicht nur von Aldi oder was weiß ich was, sondern einfach, weil wir uns falsch ernähren. Wir ernähren uns falsch, weil wir zu billiges Fleisch konsumieren, und zwar viel zu viel.
Schlachtstraße in einem Schlachthof
Warum die Arbeitsbedingungen in Schlachtbetrieben so prekär sind
Die hohe Zahl Coronainfizierter lenkt den Fokus auf die Arbeitsbedingungen in Schlachtbetrieben. Ein Überblick über die deutsche Fleischindustrie, und warum sich dort das Coronavirus so schnell ausbreiten kann.
May: Wie sollte man sich denn ernähren?
Keller: Anständig! Zweckmäßig, wie es sich gehört. Wir haben das alle mal drauf gehabt von zuhause aus. Das ist zwar schon lange her, aber Fleisch ist nur ein geringer Teil der Haupternährung. Heute denken wir, wollen wir, wird uns suggeriert, Fleisch ist das Wichtigste von allem.
Diese Arbeitsbedingungen am Ende der Kette, sage ich mal, für diese Menschen, die haben wir zu verantworten, jeder der dieses Fleisch kauft. Und ich muss ehrlich sagen: Eigentlich ist es schade – und das klingt ziemlich böse -, dass man dieses Corona nicht noch konsumieren kann über das, was man da zu sich nimmt. Das wäre vielleicht dann wirklich mal ein ziemlich schnelles direktes Umdenken.
"Wir müssen einfach weniger essen"
May: Dann machen wir es doch mal konkret. Ich habe gerade geguckt: Bei Aldi tatsächlich 2,49 Euro für 330 Gramm Schweinenacken mariniert. Ab wann ist Billigfleisch denn kein Billigfleisch mehr? Wieviel müsste Fleisch eigentlich regulär kosten, dass das Produkt wertschätzend wäre?
Keller: Das ist heute eine Wahnsinnsfrage. Es gibt den Marktpreis und es gibt den Herstellungspreis. Mein Herstellungspreis für das, was wir machen, für das bisschen – ich werde überrannt von Leuten, die mein Fleisch kaufen wollen; ich kann es aber gar nicht verkaufen. Ich habe Gott sei Dank genug für meine Gäste, ein paar Kollegen und für uns selber. Wenn Sie heute ein Kilo Wurst bei mir kaufen würden, dann müssen Sie 16 Euro bezahlen für das Kilo. Jetzt schauen Sie mal, was Wurst kostet im Discounter. Dann merken Sie, dass da alles nicht mehr stimmt. Aber selbst ich mit meiner Wurst, die ich herstelle in so kleinem Maße, komme mit 16 Euro kaum deckungsgleich raus. Ich muss noch kochen mit 70 und das tue ich aber auch gerne für Gäste, damit ich mir den Falkenhof erhalten kann.
Wir müssen einfach weniger essen, weniger Fleisch essen, weniger Wurst. Es geht auch nicht nur um Fleisch. Es geht auch um tierische Produkte. Das fängt beim Käse und bei der Butter an, mit Sahne, mit Milch. Alles gehört dazu.
Lebensmittel mit wenig Zusätzen kaufen
May: Müssen wir im Prinzip Vegetarier werden, Veganer?
Keller: Nein, müssen wir nicht. Das ist Quatsch und dagegen kämpfe ich auch. Vegan oder Vegetarier ist keine gesunde Ernährung. Es ist ein Extremismus. Es ist der andere Extremismus auf der anderen Seite.
Gesund ernähren heißt schauen, dass wir das, was wir zu uns nehmen, auch kennen. Es gibt eine kleine Grundregel in meinem Buch "Ab in die Küche", weshalb ich ihm auch den Namen so gegeben habe: Kaufen Sie Dinge ein, bei denen die Zusatzregel, wo draufsteht, was da alles drin ist, so kurz wie möglich ist. Kaufen Sie frische Lebensmittel, gute Lebensmittel. Versuchen Sie, regional einzukaufen. Es gibt inzwischen sogar Supermärkte, die sich sehr bemühen in dieser Richtung, weil wir wissen alle: Die Schraube, die da gedreht wird, hat bald kein Gewinde mehr, und dann geht es überhaupt nicht mehr.
Laumann fordert schnellere Abschaffung der Werkverträge
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) fordert angesichts des Corona-Ausbruchs in einem Schlachtbetrieb im Kreis Gütersloh eine schnellere Abschaffung der Werkverträge in der Fleischindustrie.
May: Wie oft essen Sie Fleisch in der Woche?
Keller: Das ist jetzt ein Problem. Ich esse natürlich wahrscheinlich zu viel. Ich weiß, was ich habe. Aber ich arbeite auch daran. Ich würde sagen, jede dritte Mahlzeit oder alle drei Tage esse ich Fleisch oder Wurst, aber nicht jeden Tag. Man muss auch nicht so extrem nur noch am Sonntagsbraten den Sonntagsbraten essen, der uns immer propagiert wird, wo der Vater den größten Teil bekam und die Familie hat den Rest bekommen, weil er der Ernährer war. All dies kommt noch aus diesen Zeiten heraus. Wir müssen uns einfach wirklich in die Küche stellen und kochen. Dann werden wir am wenigsten betrogen. Und wir tun auch etwas für unsere Region, für die kleinen Metzger, für die kleinen Bauern, die sich noch bemühen, anständige Produkte zu verkaufen.
"Es geht nicht in diesen Mengen"
May: Jetzt ist ja das Schlaglicht auf den Schlachtbetrieben, auf der Schlachtindustrie, wo wirklich in einer Stunde Tausende von Schweinen geschlachtet werden. Wie schlachten Sie denn Ihre Tiere?
Keller: Ich gehe immer noch hin und bevorzuge den Bolzenschuss und das Ausbluten, und zwar in dieser Reihenfolge. Das Schlimmste am Sterben ist nicht nur für unsere Tiere, sondern auch für uns, es zu wissen, es zu ahnen, dass es kommt, und das muss man den Tieren irgendwie ersparen und das müssen wir auch uns ersparen, denn wir essen ja das Endprodukt. Mit dem Adrenalin und dem diesem ganzen Kram, der da drin ist, tun wir uns wirklich nichts Gutes.
Es geht, aber es geht nicht in diesen Mengen und es darf auch nicht subventioniert werden. Übrigens ist das alles, diese Zustände sind politisch gewollt, sage ich jetzt mal vorsichtig. Früher gab es sehr, sehr viele kleinere Schlachthöfe. Die sind alle wegrationalisiert worden, hauptsächlich von den Kommunen, weil sie zu teuer waren oder weil irgendeiner kam, der macht es billiger. Deshalb sind solche Massenbetriebe wie Tönnies rausgekommen, wo die Schweine über Hunderte von Kilometern hin- und hergekarrt werden, Schlange stehen, bis sie endlich dran kommen, und wie sie dran kommen, davon möchte ich jetzt gar nicht reden.
May: Herr Keller, ohne Frage: Sie haben in Ihrem Leben auch viel Geld zusammengekocht, wenn ich das mal so salopp formulieren darf. Jetzt wird es wahrscheinlich viele Hörer*innen geben, die sagen, der hat leicht reden, der kann für gutes Essen viel Geld und Zeit investieren, Zeit und Geld, das ich nicht habe.
Keller: Nein! Das ist Quatsch und das ist auch Dummheit. Ich habe einmal ganz, ganz Böses geerntet, wo ich gesagt habe, ein Hartz-IV-Empfänger hat viel Zeit, um zu kochen, und er kann für das bisschen Geld, was er bekommt, sich viel, viel besser ernähren, wie sich die Scheiß Tiefkühlpizza reinzuziehen oder irgendwelches Fertigfutter kommen zu lassen. Es ist einfach Dummheit und Bequemlichkeit und das müssen wir ändern. Aber an den Schulen angefangen bei den Kindern, weil wir haben schon Generationen dazwischen, die keine Ahnung mehr haben, dass es außer der Mikrowelle und der Spülmaschine auch noch andere Geräte und Dinge in der Küche gibt und aus der Küche, die man da zaubern kann.
"Kochen ist ein stetiger Arbeitsprozess"
May: Jetzt ist selber Kochen in der Tat etwas Schönes. Nur ist es nun einmal so, dass Zeit tatsächlich eine der knappsten Ressourcen in unserer Leistungsgesellschaft ist. Wir müssen ja gar nicht über Hartz-IV-Empfänger reden, sondern man kann auch den alleinerziehenden Vater mit einem Krankenpflegergehalt nehmen, oder auch den Radiojournalisten. Ich bin hin und wieder froh über die Erfindung der Tiefkühlpizza.
Keller: Nein! Das ist Quatsch und muss auch nicht sein und auch das kann ich widerlegen. Kochen ist nicht mit den Kumpels am Samstag ausziehen, viel einkaufen, zusammen kochen, die Küche verwüsten, groß essen und trinken, drei Tage Reste essen und dann wieder aufräumen. Kochen ist ein stetiger Arbeitsprozess, und jetzt muss ich leider auf die alten Zeiten zurückkommen. Meine Großmutter hat nie länger wie eine Stunde, eineinhalb Stunden pro Tag in der Küche verbracht. Wenn man kocht, kocht man immer wieder weiter. Das habe ich auch in meinem Buch beschrieben. Wenn man heute zum Beispiel einen Gemüseeintopf macht, gibt es davon eine Suppe. Es gibt eine klare Gemüsebrühe und und und, und dasselbe kann ich mit Suppenfleisch machen vom Rind. Am Schluss gibt es Lyoner Zwiebelfleisch mit Kartoffeln und mit Zwiebeln drunter. Das heißt, ich koche einmal, was vielleicht ein bisschen stundenaufwändiger ist, und das ist es noch nicht mal. Wir haben heute Herde und Öfen, da gehen Sie morgens um neun aus dem Haus, tun da ein Stück Fleisch rein, würzen es, und wenn Sie abends um acht kommen, ist es fertig, ohne Risiko, ohne alles. Wir müssen es nur machen und anfangen und vielleicht mal darüber nachdenken über die wirklichen Wichtigkeiten im Leben, nämlich Ernährung. Das ist unser Benzin. Ein Auto ohne Benzin oder Wasserstoff oder weiß der Teufel was läuft auch nicht, und wenn wir uns falsch ernähren, dann kommt auch nichts dabei heraus und wir werden krank.
"Den Haushalt führen kann auch ein Mann"
May: Herr Keller, uns läuft die Zeit davon, aber eine Frage will ich noch stellen. Wenn man das weiterführt, brauchen wir vielleicht wieder Hauswirtschaft in der Schule?
Keller: Auf jeden Fall, und zwar für Männchen und Weibchen, weil heute kochen ja meistens mehr Männer zuhause wie die Frauen. Das hat was mit unseren Generationen und mit unseren Ansichten zu tun. Manche Rollen kann man einfach verteilen. Da spielt das Geschlecht keine Rolle. Kinder gebären müssen die Frauen. Aber den Haushalt führen kann auch ein Mann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.