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Mehr als eine Liebesgeschichte

Der Geschichtslehrer Henry Loimus ist tragikomischer Held des Romans "Treibholz im Fluß" von Daniel Katz. In dem Kammerspiel reist Loimus als Friedensschützer nach Bosnien. Dort beginnt er die Geschichte, die er früher nur immer gelehrt hat, selbst zu lernen: durch die Literatur, durch die Berichte der Leidtragenden und schließlich durch das eigene Erleben.

Von Martin Grzimek | 14.03.2006
    Daniel Katz’ jüngster Roman "Treibholz im Fluß" beginnt mit einem Herbststurm, der früher als erwartet über einer abgelegenen finnischen Landschaft tobt. Es regnet in Strömen, und ein sonst friedlich dahinplätschernder schmaler Fluss verwandelt sich in einen reißenden Strom. An einer Biegung liegen die Ländereien des Geschichtslehrers Henry Loimus. Er ist der tragikomische Held in Daniel Katz’ Geschichte, denn ausgerechnet bei diesem Unwetter versucht Henry, hinter seinem Haus einen Bootssteg zu befestigen. Doch gerade, als er sich darauf befindet, reißen ihn die Fluten mit sich und der Steg wird zu einem Floß.

    Von einem auf den nächsten Augenblick sah sich Henry, so heißt es,

    "als Buster Keaton inmitten des reißenden Mississippi auf dem Dachfirst eines schwimmenden Hauses sitzen, erkannte daran aber keinerlei Komik. Die Strömung war schnell, das Wasser kalt und der Grund schlammig. Außerdem war er kein guter Schwimmer. Am Rand der Stadt ging der Fluß in eine flache, steinige Stromschnelle über, wo die Anfänger unter den Wildwasserkanuten der Gegend ihre Fertigkeiten trainierten."

    Dieser Stromschnelle, so schwant es Henry, "würde er nicht heil entkommen"- Doch er hat Glück. Trotz der turbulenten Flussfahrt strandet Henry irgendwann am gegenüberliegenden Ufer an der Anlegestelle eines größeren Anwesens. Zuvor sieht er gerade noch auf einem Hügel eine Frauengestalt, die ihn auf eine Weise zu beobachten scheint, als hätte sie nur darauf gewartet, dass er wie ein finnischer Buster Keaton vorbeischwimmt. Und wie es eben die Schicksalswelten oder –wellen der Romane wollen, wird diese Frau später Henrys Geliebte. Sie heißt Mavra, ist die Frau von Oberst Suoponki, der im jugoslawischen Krieg für die UNO tätig war, auf eine Mine fuhr und seitdem erblindet ist.

    Beschützt wird er von seinem serbischen Diener Jowan, der sich später als Mavras Vater herausstellt. Jowan wiederum hilft dem gestrandeten Henry und führt ihn, wie kann es in einem finnischen Roman anders sein, in die Sauna des Hauses, damit sich der schiffbrüchige Lehrer erst einmal aufwärmen kann.

    Mit Henry betreten wir also das nun folgende Romangeschehen gleichsam durch die Hintertür und lernen von da an innerhalb weniger Kapitel die Hauptakteure eines Kammerspiels kennen, für das sich Daniel Katz eine geschickte und witzige Dramaturgie ausgedacht hat. Denn kaum wird Henry dem erblindeten Hausherrn vorgeführt, erblickt er auch dessen viel jüngere und verführerisch schöne Frau und – verliebt sich auf der Stelle in sie. Um in ihrer Nähe zu sein, nimmt er unter einem Vorwand Russischstunden bei ihr, was den überwachsamen Vater Jowan in Panik versetzt. So kommt es sogar wie zwischen zwei Eifersüchtigen zu einem kleinen Duell, aber niemand erleidet wirklich Schaden.

    Soweit der vordergründige Plot der Geschichte. Daniel Katz geht auf die 70 zu und veröffentlichte bislang mehr als ein Dutzend Romane, die sich alle durch einen hintergründigen Humor auszeichnen. Etwa in dem Roman "Der himmlische Spaziergang des Mikko Piross", erschienen 1975. Da findet sich ein junger Intellektueller plötzlich auf einem Fabrikschornstein wieder und erzählt gleichsam aus dieser absurden Position seinen Blick auf Geschichte und Welt. Die Auseinandersetzung mit der zur Historie gewordenen Vergangenheit ist eines der Hauptthemen von Daniel Katz. In "Treibholz im Fluß" dient die Dreiecksgeschichte zwischen Henry, dem Oberst und Mavra dazu, den Jugoslawienkrieg in Erinnerung zu bringen.

    Durch die Berichte Mavras und ihres Vaters erlebt ihn Henry, der diese Geschichte nur aus Büchern kennt, nun durch die Begegnung mit unmittelbar Betroffenen. Mord unter Verwandten, Vergewaltigung von Frauen, das Auseinanderbrechen von Familien – das alles werden plötzlich schmerzhafte Splitter in der Biografie seiner Geliebten, wo er doch anfänglich nur ihre Anmut und ihre Schönheit bewunderte. "In Mavras Heimatdorf Kukavica", so berichtet ihm Jowan,

    "lebten zu Beginn des Krieges Serben und Moslems kunterbunt durcheinander, und alle kannten sich. Als die Feindseligkeiten ausbrachen, änderte sich alles im Nu, und Mavra stellte fest, daß sie zwischen die Fronten geraten war. Die Kriegshunde aus beiden Lagern lauerten ihr auf. Sie gehörte zu keinem der beiden Lager, sie war halb Serbin und halb Moslemin, und beide Parteien betrachteten sie als Makel. Sie war nicht mehr sicher in Kukavica, und sie hatte niemanden, der sie verteidigte. Ihr Vater war gefangen genommen worden, ihre Mutter war tot. Als die Gewalttätigkeiten anfingen, geriet Mavra in die Hände serbischer Truppen. Und wer weiß"

    fügt Jowan seinem Bericht hinzu, "wie es ihr ergangen wäre, wenn nicht der Oberst mit einigen Untergebenen an Ort und Stelle erschienen wäre und sie in Sicherheit gebracht hätte."

    Als Henry diese Geschichte hört, versteht er, dass Mavra den Oberst aus Dankbarkeit geheiratet hat. Aber der Oberst ist alt und blind, und Henry und Mavra können längst nicht mehr von einander lassen. So könnte Daniel Katz’ Roman enden. Doch das wäre zu platt, zu einfach für diesen Autor, der das Überraschende, das Unerwartete liebt. Deshalb schickt er seinen Helden am Schluss selbst, als könnte er nur so seiner Geliebten noch näher kommen, als Friedensschützer nach Bosnien. Dort beginnt er auch, Ivo Andric’ Roman "Die Brücke über die Drina" im Original zu lesen und die Geschichte, die er früher nur immer gelehrt hat, nun selbst zu lernen: durch die Literatur, durch die Berichte der Leidtragenden und schließlich durch das eigene Erleben.
    Dabei ist Daniel Katz’ Roman an keiner Stelle belehrend und moralisierend.

    Durchsetzt von Gedichten, Liedern, Briefen und sich ineinander verflechtenden Handlungen, erzählt er zwischen den Zeilen, Dialogen und komischen Szenen die Wahrheit realer Geschehnisse. "Treibholz im Fluß" und Buster Keaton auf einem vom Wasser fortgerissenen Hausdach – das sind nur Bilder für unsere Hilflosigkeit gegenüber Ereignissen, auf die wir nicht einwirken können. In seinem Roman gibt uns Daniel Katz auf äußerst vergnügliche Weise die Gelegenheit, nicht nur die Bilder sondern auch den Betrachter solchen Geschehens selbst zu betrachten.