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"Mehr als eine Wertegemeinschaft"

Bei seinem Berlinbesuch werde Barack Obama mit Sicherheit das bestehende Interesse der USA an Deutschland unterstreichen, meint Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Besonders bei der Bewältigung der Finanzkrise hätten die USA große Erwartungen an Deutschland als Führungsmacht.

Markus Kaim im Gespräch mit Christiane Kaess | 18.06.2013
    Christiane Kaess: Die Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten sind heute bei ihrem Treffen im nordirischen Enniskillen zu ihrem zweiten Sitzungstag zusammengekommen. Heute geht es unter anderem um das Thema Kapitalflucht in Steueroasen. Der erste Gipfeltag gestern hatte im Zeichen der Syrienkrise gestanden. Auf einen gemeinsamen Vorschlag zur Lösung des Konflikts konnten sich die G8-Staaten aber bisher nicht einigen.

    Vom G8-Gipfel in Nordirland reist US-Präsident Barack Obama heute Abend weiter nach Berlin. Mit Spannung wartet Deutschland auf den Besuch des US-Präsidenten. Beide Seiten betonen natürlich ihre Freundschaft; in den Gesprächen dürfte es aber auch um kontroverse Themen gehen. In den letzten Jahren haben sich mehrere im deutsch-amerikanischen Verhältnis aufgebaut.

    Am Telefon ist Markus Kaim, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Kaim!

    Markus Kaim: Ich grüße Sie.

    Kaess: Herr Kaim, Obamas Besuch in Berlin, ist das reine Symbolik, oder sind da auch handfeste Erwartungen dabei, die vielleicht sogar zu handfesten Ergebnissen führen können?

    Kaim: Ich glaube, entgegen der weitverbreiteten Wahrnehmung haben die USA nach wie vor ein Interesse an Europa und an Deutschland insbesondere. Das ist mehr als eine Wertegemeinschaft, die morgen in der Obama-Rede mit Sicherheit beschworen werden wird. Aber dahinter verbergen sich auch sehr konkrete Interessen. Wenn es um die Frage geht, wer einer der wichtigsten Handels- und Investitionspartner der USA ist, dann ist nach wie vor die Antwort Europa, und der angekündigte Beginn der Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen illustriert ja genau diesen Punkt.

    Ein weiterer Punkt wird morgen sein, dass die USA erhebliche Erwartungen haben an Deutschland als Führungsmacht zur Bewältigung der Finanz- und Schuldenkrise, die zwar im engsten Sinne jetzt erst einmal Europa betrifft, aber im weltwirtschaftlichen Sinne erhebliche Auswirkungen auf die USA hat, und da gibt es große Erwartungen an Deutschland.

    Schließlich ist noch ein dritter Punkt vielleicht hinzuzufügen: Wenn es um die Frage der internationalen Krisenbewältigung geht, dann wenden sich die USA eben nicht an die sogenannten neuen Akteure in der internationalen Politik, an Brasilien, an Südafrika oder an Indien, sondern dann sind es die ganz traditionellen transatlantischen Partner Großbritannien, Frankreich oder auch Deutschland.

    Kaess: Dennoch, Herr Kaim, Sie haben es gerade schon ein bisschen angesprochen, ist auch hierzulande der Eindruck entstanden, Asien hat eigentlich mittlerweile Europa den Rang abgelaufen. Da sagen Sie, das stimmt so nicht?

    Kaim: Die USA sind immer eine pazifische Macht gewesen. Wenn man mal der Frage nachgeht, wie weit die amerikanischen Sicherheitsverpflichtungen in Asien zurückreichen, dann landen wir in den 50er-Jahren. Von daher ist diese Dichotomie, dass die USA sich von Europa abgewendet und dem pazifischen Raum zugewendet hätten, etwas zu vereinfachend. Es ist ein neuer Akzent amerikanischer Politik, der vor allen Dingen mit der handelspolitischen Gewichtszunahme Chinas zu tun hat, und dem größeren außenpolitischen Bewusstsein Chinas, was dann für Besorgnis bei den traditionellen sicherheitspolitischen Partnern in den USA gesorgt hat.

    Aber ich würde es für eine verfehlte Reaktion deutscher und europäischer Eliten halten, sich jetzt entweder weinerlich, oder gar beleidigt von den USA abzuwenden und darauf zu verweisen, dass man sich vernachlässigt fühle. Wenn es um konkrete Kooperation geht, sind die USA in weiten Teilen ein manchmal schwieriger Partner, aber nach wie vor ein Partner.

    Kaess: Aber zu dieser Wahrnehmung kommt eine gewisse Enttäuschung dazu. Um mal ein paar Punkte zu nehmen: Guantanamo besteht weiter, der Nahost-Konflikt, da ist nichts passiert, die US-Regierung führt einen Drohnenkrieg, bei dem auch viele Unschuldige ums Leben kommen, im Fall Syrien ist Obama lange zögerlich geblieben, um nur ein paar Punkte zu nennen. Hätte Obama tatsächlich mehr tun können, oder hat er zu wenig Macht?

    Kaim: Ich warne immer davor – und wahrscheinlich ist das Teil der Antwort -, ich warne immer vor einer Personalisierung der politischen Macht oder der politischen Analyse. Ein Großteil der Reputation und des Nimbus des amerikanischen Präsidenten hat ja bis heute mit seinem Vorgänger zu tun, der Umfragewerte hatte, wie wir sie noch nie gesehen haben.

    Kaess: Aber die Kritik, die ich jetzt genannt habe, verbindet sich ja ganz konkret mit Obama.

    Kaim: Ja! Aber vor allen Dingen hat dies damit zu tun, dass wir auch die strukturelle Macht des amerikanischen Präsidenten überschätzen. Ein konkretes Beispiel: Er kann Guantanamo ohne die Zustimmung des amerikanischen Kongresses eben nicht schließen, er kann die Gefangenen nicht überstellen und sie vor Gericht stellen, vor amerikanische Zivilgerichte, und da geht die Fokussierung auf die Person Obama, auf seine individuellen Leistungen, fehl.

    Gleiches gilt für ein außenpolitisches Feld, zum Beispiel den Nahost-Friedensprozess, wo schon diverse andere Präsidenten in den letzten 40 Jahren, wenn ich das so sagen darf, sich die Zähne ausgebissen haben und am Ende ihrer Amtszeit wenig Erfolge vorzuweisen hatten, weil die regionalen Akteure zu einem politischen Kompromiss nicht willens oder nicht fähig gewesen sind. Also ich glaube, er mag der Präsident der mächtigsten Macht in der internationalen Politik sein, aber das Bild, dass er individuell der mächtigste Mann in der internationalen Politik sei, das halte ich für eine Fehlwahrnehmung.

    Kaess: Sie haben gesagt, es geht um mehr als eine Wertegemeinschaft. Aber auf der anderen Seite gibt es ganz konkret auch Kontroversen. Schauen wir mal auf eine Aktuelle: den Fall Syrien. Es sieht im Moment danach aus, dass die USA erst einmal einen Alleingang bei der Bewaffnung der Rebellen hinlegen müssen, weil der britische Premierminister David Cameron auch im Unterhaus keine Mehrheit für eine Waffenlieferung an die Rebellen findet. Wie sehr bringt denn Obama die Europäer in Bedrängnis durch diese Ankündigung, Waffen an die syrischen Rebellen zu liefern?

    Kaim: Er hat natürlich die existierenden Differenzen, die es ja auch in Europa gibt – das ist ja beim letzten EU-Gipfel deutlich geworden -, noch einmal vertieft und damit den Druck erhöht, sich in dieser Frage stärker zu positionieren, als das bislang notwendig gewesen ist. Die deutsche Politik hat es vergleichsweise einfach, weil sie sich auf existierende rechtliche Rahmenbedingungen zurückziehen kann und sagen kann, das ist im deutschen Falle schlicht und ergreifend nicht möglich.

    Aber die Frage wird sein, ob das ein Modell ist, was in den nächsten Wochen und Monaten weiterträgt, also ein schlichtes "ohne uns", oder ob nicht dann irgendwann die Frage im Raum stehen wird, wie denn Kompensationsleistungen zu erbringen sind, weil die humanitäre Notlage ist einfach so bedrückend geworden in den letzten Monaten, der innenpolitische Druck nicht nur in den USA, sondern in vielen westlichen Demokratien, dass jetzt irgendetwas zu tun sei, ist erheblich gestiegen, und ich wäre nicht verwundert, wenn im deutschen Falle wir unmittelbar nach den Bundestagswahlen eine größere Aktivität in diesem Falle sehen würden.

    Kaess: Einen Punkt möchte ich zum Schluss noch gerne ansprechen. Es wird bei dem Besuch auch gehen um die Enthüllung, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA massenweise Daten von ausländischen Internetnutzern sammelt und speichert. Das belastet auch das deutsche Verhältnis mit den USA und wird Thema bei dem Gespräch mit Angela Merkel sein. Bisher hat Obama das Programm ja verteidigt. Wird er sich von Merkel beeinflussen lassen?

    Kaim: Davon gehe ich nicht aus. Alle Andeutungen oder alle Bekundungen von seiner Seite aus den letzten Tagen deuten nicht darauf hin. Im Gegenteil: Er wird wahrscheinlich eher die Linie verfolgen, dass er auf den erkennbaren oder vermuteten Nutzen dieses Programms verweisen wird, den ja auch seine Mitarbeiter in den letzten Tagen unterstrichen haben, in welchem Maße dieses Programm dazu beigetragen habe, Terroranschläge in den USA, aber auch außerhalb der USA zu verhindern, und ich sehe im Moment kein Indiz dafür, dass die Regierung Obama in dieser Frage zu einem Einlenken bereit ist.

    Kaess: Bedeuten bürgerliche Rechte in den USA weniger als in Europa?

    Kaim: Sagen wir so: Die Freiheiten, die der amerikanische Kongress nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der Regierung eingeräumt hat, sind erheblich größer, als das in europäischen Ländern der Fall ist, und sie sind bis heute unverändert, trotz aller Kritik, gültig. Und ich glaube, vor diesem Hintergrund sieht der amerikanische Präsident auch keinen Anlass, sich selber zu beschränken, wenn es der Kongress nicht tut.

    Kaess: Die Einschätzungen von Markus Kaim, er ist Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke für das Gespräch heute Mittag, Herr Kaim.

    Kaim: Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.