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Mehr als nur das Deutschlandlied

Franz Joseph Haydn wurde 1732 in einem burgenländischen Dorf geboren und starb vor 200 Jahren in Wien als beliebtester Komponist seiner Zeit. Er hatte nicht das Glück, in einer Musikerfamilie aufzuwachsen, sondern kam aus einfachsten Verhältnissen. Dennoch: Haydn hinterließ weit mehr als 1000 Kompositionen und dirigierte an die 1200 Opernabende. Mehr als seine Musik hielt eine Kriminalstory die Neugier wach: Nach seinem Tod wurde sein Schädel gestohlen.

Von Dietmar Polaczek | 31.05.2009
    Dieses gemütliche Thema verführt fast zu einem Nickerchen. Und die Wiederholung ist noch schüchterner und leiser. Aber dann schlägt Joseph Haydn zu und weckt die Zuhörer auf.

    Die Symphonie mit dem Paukenschlag heißt "La surprise". Und voller Überraschungen und Witz steckt auch der lange am meisten verniedlichte Komponist der Wiener Klassik. Er war ein genialer Revolutionär, der die Sinfonie, das Streichquartett, die klassische Sonatenform erfunden und entwickelt hatte.

    Als Franz Joseph Haydn, 77 Jahre alt, am 31. Mai 1809 in Wien starb, war er der berühmteste Komponist Europas, Autor der Kaiserhymne, die später zum Deutschlandlied wurde, gefeierter Ehrendoktor in Oxford. Mozart war schon 17 Jahre tot und wurde immer weniger gespielt, der Stern Beethovens war eben erst aufgegangen. Haydn aber ruhte sich nie auf seinen Lorbeeren aus:

    Anton Reicha, 1814, zitiert nach Ludwig Finscher:
    Joseph Haydn und seine Zeit, Laaber 2002, Seite 262

    "Haydn studierte seine Kunst ständig [...] Nach vielen Werken begann er mit 40 Jahren wieder komplett mit der Kompositionstechnik, um sich in dieser Fertigkeit zu festigen [...]."

    Er experimentierte unablässig und gab selbst eine Erklärung dafür:

    Joseph Haydn, zitiert nach Georg August Griesinger:
    Biographische Notizen über Joseph Haydn
    Breitkopf & Härtel 1810:

    "Ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irremachen und quälen, und so musste ich original werden."

    Diese Selbstsicherheit erstaunt. Haydn war kleiner Leute Kind aus Rohrau, einem winzigen Dorf unweit von Wien. Seine Begabung wurde erkannt, er kam mit acht Jahren nach Wien, war Sängerknabe bis zum Stimmbruch. Nach schwierigen Lehrjahren als Autodidakt wurde er Kammerdiener des Komponisten Nicola Porpora und schließlich 1757 Musikdirektor des Grafen Morzin, vier Jahre später Vizekapellmeister, dann Kapellmeister des Fürsten Esterházy.

    Formal ein Diener des musikliebenden Fürsten, hatte er ausgezeichnete Musiker verfügbar, komponierte, was sein Herr befahl, darunter mehr als hundert Baryton-Trios für das Lieblingsinstrument des Fürsten, und an die zwanzig Opern, von denen 13 erhalten sind - die anderen Partituren verbrannten auf Schloß Eszterháza.

    Ein Opernbeginn, unkonventionell gleich mit einem Quartett aus drei Männern und einer Frau. Das könnte vom reifen Mozart sein, aber der war 1773 erst 17, als Haydn "L'infedeltà delusa" schrieb. Haydn, der sich hier wie in noch mehreren Opern mit Ehe und Treue auseinandersetzt, war da schon 13 Jahre mit seiner kinderlosen, verständnislosen Ehefrau geschlagen, die mitunter seine Manuskripte zum Einheizen verwendete.

    Nikolaus Harnoncourt, Gespräch mit Monika Mertl,
    Theater an der Wien 2007:

    "Ich finde, dass Haydn als Opernkomponist total unterschätzt ist, und man kann ihn überhaupt nicht in den Zeitgeist einordnen."

    So revidierte Nikolaus Harnoncourt das abschätzige Urteil Robert Schumanns, das lange weiterwirkte. Früher hatte die Neugier mehr als der Musik dem Schädel Haydns gegolten: der wurde nach dem Begräbnis gestohlen, dann durch einen falschen ersetzt und fand nach langen Irrwegen erst 1954 nach Eisenstadt ins Grab zurück.

    "Haydn war bloß der Großvater der klassischen Symphonie", hatte Schumann gesagt. Heute sehen wir das anders. Haydn, Widerspruchsgeist und tiefgläubig, verband noch im Alterswerk Erneuerung und Tradition bis zurück zu Bach. Er spiegelte die Schöpfung in seinen Oratorien "Die Jahreszeiten" und "Die Schöpfung" und rief aus:

    "Wie viel bleibt noch zu tun in dieser herrlichen Kunst!"