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Mehr als nur gefürchtete Gegner

Migranten-Sportvereine besitzen für die deutsche Gesellschaft entgegen gängiger Klischees als verrufene Mannschaften eine hohe gesellschaftliche Bedeutung: Wie jetzt eine aktuelle Studie der Universität Münster herausgefunden hat, spielen sie für den Integrationsprozess eine wichtige Rolle.

Von Thorsten Poppe | 09.05.2013
    "Hey Schiedsrichter, Hey Schiedsrichter, der tritt mich, da kriegt der nur gelb. Mein Gott äh, das kannste super, das kannste super (Hände klatschen, auf türkisch schimpfen)."

    Migranten-Vereine sind genau dafür verschrien: Heißspornig, Undiszipliniert, chaotisch, aufbrausend gegen Gegner und Schiedsrichter. Viele Amateur-und Freizeitkicker berichten von ähnlichen Erlebnissen. Wie die Szene aus dem Dokumentarfilm "Weltklasse, Kreisklasse" zeigt, kann es dazu immer mal wieder kommen: Wie in dem Fall bei Genclikspor Recklinghausen: Einem Kreisligisten, den der Filmemacher Daniel Huhn ein Jahr lang begleitet hat. Eigentlich forschte er als Student der Universität Münster über die Bedeutung von Migranten-Fußballvereinen für die deutsche Gesellschaft. Daneben ist eine filmische Milieustudie entstanden, die heute in die Kinos kommt. Sie versucht Einblicke in Migrantenvereine zu geben, die über die üblichen Negativ-Schlagzeilen hinaus gehen:

    "Allgemein wird gesagt: Sport ist integrativ, aber wenn es dann um die Migrantenvereine geht, gehen die Meisten davon aus, dass ist eher Desintegration, oder dass zu mindestens hört man oft. Das sind so die Klischees, das es oft zu Konflikten kommt auf dem Sportplatz. Die wollen unter sich sein, die wollen sich abschotten, die wollen nichts mit uns zu tun haben. Da stimmt, aber ja nur eingeschränkt, wenn man einfach guckt, dass alle Vereine im deutschen Vereinssport im DFB organisiert sind, d.h. in der deutschen Liga spielen, und dadurch ganz viele Kontakte halten müssen mit Verbänden und Städten, um einen Platz zu bekommen, und natürlich mit Mannschaften."

    Im Süden Recklinghausens, der Heimat Genclikspors, herrscht viel Tristesse: Verlassene Ladenlokale, marode Wohnhäuser. Der Verein ist Anlaufstelle Nummer eins für die hier lebenden Jugendlichen, bietet darüber hinaus auch Sportmöglichkeiten für Frauen, oder Hausaufgabenhilfe für die jungen Kicker. Das bekommen aber außerhalb des Vereins nur wenige mit. Vereinsvorsitzende Muharrem Gürbüz, der von allen hier nur Marko genannt wird, weiß das auch:

    "Aber es gibt natürlich auch Sachen, dass weiß man von vornerein, warum man in so ein Klischees reinkommt. Man muss sich einfach benehmen, und vor allem, man muss langsam begreifen, dass man uns leicht provozieren kann. Und unsere sind natürlich Helden, wenn einer natürlich was sagt über Mama und Schwester sagt, und ob der Schiri sieht oder nicht, da gehe ich natürlich sofort drauf. Das sind Sachen, die gehören da gar nicht. Da muss man mal sagen, da rein da raus, auch wenn das mal schwerfällt."
    Migrantenorganisationen gründen sich normalerweise immer dann, wenn es in der neuen Heimat kein entsprechendes Angebot für sie gibt. Zum Beispiel der Moschee-Verein, den es vorher in Deutschland einfach noch nicht gab. Für Fußballvereine galt das jedoch nicht. Die hat es in Deutschland schon immer in großer Zahl gegeben. Dennoch bildeten sich hierzulande viele türkische Teams. Marko hatte ganz einfache Motive, als er vor 20 Jahren Genclikspor gründete:

    "Es wäre einfach, irgendwo mal zu spielen, einfach mal ein Trikot anziehen und in die Wäsche reinschießen, aber wir wollten auch mal selber was auf die Beine stellen von A bis Z, das heißt auch mal selber Spielpläne organisieren und die ganzen Spielern holen. Die Spieler, die dann gehen, dann wieder Neue holen und, und, und. Das alles. Das hat uns gereizt, und ich denke, das ist uns gut gelungen."

    Genclikspor ist einer von mehr als 50 türkischen Fußballmannschaften im Ruhrgebiet. Fast jeder kennt solche Migranten-Vereine, doch kaum einer wusste so richtig, was das Klubleben für die Nachbarschaft bedeutet – bis Daniel Huhn sein Forschungsprojekt startete:

    "Migrantenvereine gerade im Sport können ein Sprungbrett sein. Ein Sprungbrett einerseits in den Verein überhaupt, weil sie Leute bündeln, die sonst nicht von alleine in Verein gehen. Können aber auch speziell ein Sprungbrett sein ins Ehrenamt, d.h. dass Leute erstmals ins Ehrenamt kommen, die in anderen Vereinen oder sonst weniger Interesse entwickeln würden, oder gar nicht die Chance hätten, und so lernen ein Ehrenamt übernehmen. Oder darüber hinaus sich in der deutschen Gesellschaft besser zurecht finden."

    Acht Jugendmannschaften und 300 Mitglieder besitzt Genclik. Fast alle im Klub besitzen einen Migrationshintergrund. Bio-Deutsche findet man hier immer noch selten. Für Marko und seinen Verein eine große Herausforderung:

    "Also was wir uns natürlich wünschen würden. Wir sind ja eigentlich schon eine Anlaufstelle, alle Tür offen für andere Nationalitäten auch. Und wir wollen nicht rein türkische Verein hier wirken in Recklinghausen, oder allgemein hier im Kreis. Aber ich würde mich freuen, ehrlich gesagt ist vielleicht auch einfacher für uns: 10 Deutsche, und 5 Türken, weil da würde die Mischung ja vom Feinsten passen sogar, weil die Deutschen sind ja nun mal mit schimpfen, die sind da ein bisschen gelassener. Dass die auch mal mehr in Richtung da mehr lernen. Aber die haben eigentlich alle deutschen Ausweis, so gesehen haben wir jede Menge Deutsche. Aber mal so deutsch denken, das wäre nicht schlecht."