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Mehr als nur Märchenonkel

Er gehörte zu den bekanntesten Sammlern von Märchen und Sagen des deutschen Sprachraums: Ludwig Bechstein. Doch verfasste der vielseitige Thüringer Bibliothekar und Archivar neben wissenschaftlichen Publikationen auch Romane, Novellen und Reiseerzählungen.

Von Hans-Joachim Föller | 14.05.2010
    "Ich weiß, dass ich mit den Sagensammlungen etwas anstrebe, das die Nachwelt mir danken wird",

    schrieb der 41-jährige Ludwig Bechstein seinem Gothaer Verleger im Jahre 1843. Im Fall seiner Sagenbücher, in denen er mehr als 1000 Texte aus allen deutschsprachigen Landschaften zusammentrug, sollte er Recht behalten. Mehr noch galt dies aber für seine Märchensammlungen, die etwa 80 verschiedene Erzählungen enthalten. Seine Stoffe fand der ganz einem romantischen Zeitgeist verhaftete Schriftsteller zumeist in alten Chroniken und Volksbüchern. So legte er die Grundlagen für einen Nachruhm, der ihm bis heute immer neue Auflagen bescherte. Ende des 19. Jahrhunderts überflügelten seine Märchen an Beliebtheit sogar die der Brüder Grimm.

    Bis dahin war es ein weiter Weg. Denn der Beginn seines Lebens stand unter keinem guten Stern. Louis Hubert Dupontreau, wie er ursprünglich hieß, wurde am 24. November 1801 in Weimar als uneheliches Kind der unbegüterten Karoline Bechstein und eines französischen Revolutionsflüchtlings geboren. Während der Vater umgehend das Weite suchte, sah sich die Mutter gezwungen, das sogenannte Kind der Schande an zwei Pflegemütter zu geben. 1848 blickte er zurück:

    "In dürftigen Verhältnissen wuchs ich auf, und obschon ich nie gebettelt habe, so mag mein Aussehen doch keinen Reichtum verraten haben, denn ich entsinne mich noch eines Hauses in der Nähe der Chorseite der Stadtkirche in Weimar, vor dem ich spielte und aus dessen obern Fenster freundliche Kinder mir einige Pfennige herunterwarfen."

    Wenige Jahre später, 1810, veränderte eine fast märchenhafte Wende Bechsteins Leben von Grund auf. Auguste und Johann Matthäus Bechstein, entfernte Verwandte aus einem Dorf in der Nähe der thüringischen Residenz Meiningen, adoptierten ihn. Der eigene Sohn war kurz zuvor verstorben. Aus dem ärmlichen Pflegekind Louis Dupontreau wurde Ludwig Bechstein der Gymnasiast. Der Ziehvater, ein anerkannter Naturwissenschaftler und Direktor der Herzoglich Sachsen-Meiningischen Forstakademie, legte Wert auf Bildung. Allerdings verließ der Sohn die höhere Anstalt noch vor Erlangung der Reife und machte eine Apothekerlehre in Arnstadt. Doch wie nebenbei entwickelte er nun seine eigentliche Begabung und wurde Schriftsteller. Der Leiter des Meininger Literaturmuseums Andreas Seifert:

    "Bechstein ist damals durch die Dörfer rund um Arnstadt gestreift, hat alte Erzählungen, Sagen, Märchen gesammelt. Und so kam es dann, dass 1823 auch sein erstes Buch erschien mit dem Titel ,Thüringische Volksmährchen´."

    Dies weckte offenbar das Wohlgefallen des Herzogs Bernhard II., der solche kunstsinnigen Landeskinder gerne fördern wollte. Bechstein erhielt ein Stipendium und wurde in den Jahren 1829 bis 1831 ein später Studiosus der Philosophie, Philologie und Geschichte in Leipzig und München. Den ungeliebten Brotberuf war er endlich los. Als er im November 1831 nach Meiningen zurückkehrte, hatte sein adeliger Gönner auch schon eine Lebensaufgabe für ihn: herzoglicher Bibliothekar und Archivar.

    "Bechstein hat ja lebenslang das historische Sujet bevorzugt. Und hier saß er ja an der Quelle. In fast drei Jahrzehnten erschienen von ihm zahlreiche Novellen, Romane, Reiseerzählungen, Versepen, Gedichte, Opernlibretti, ein Drama sowie wissenschaftliche Schriften und die meisten hatten eben einen historischen Gegenstand."

    Im Rückblick nimmt sich das Jahr 1845 als ein Höhepunkt seines literarischen Schaffens aus: unter dem Titel "Deutsches Märchenbuch" wurde die erste Ausgabe seiner Volksmärchen gedruckt. Im 20. Jahrhundert wirkte ihr Zauber sogar über den deutschen Sprachraum hinaus. Zahlreiche Übersetzungen erschienen, unter anderem in Englisch, Spanisch, Italienisch und Polnisch: Am 14. Mai 1860 starb Ludwig Bechstein an Wassersucht. Sein Tod sei ruhig gewesen, berichtet der Sohn, der ebenfalls Ludwig hieß:

    "Nachdem er noch einmal ein Bier getrunken hatte und zwar mit großem Appetit, sagte er: Nun will ich schlafen. Das waren seine letzten Worte. (...) So starb er, wie er es sich oft wünschte, mitten im schönsten Mai."