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"Mehr als nur Symbolik"

Nach langen Jahren des Argwohns sei der Vertrag ein erster wichtiger Schritt, sagte Wolfgang Ischinger. Nun müssten weitere Schritte folgen. Die nuklearen Sprengköpfe sollten auf jeweils 1000 vielleicht sogar auf 500 reduziert werden.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Bettina Klein | 08.04.2010
    Bettina Klein: Barack Obama und Dmitri Medwedew unterzeichnen also heute in Prag das START-Nachfolgeabkommen. – Am Telefon begrüße ich den früheren Diplomaten und heutigen Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Guten Morgen!

    Wolfgang Ischinger: Ja! Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Amerikanisch-russischer Schulterschluss heute also in Prag. Ein historischer Moment von hoher Symbolkraft, oder eben nur das, reine Symbolik, wie die Kritiker meinen?

    Ischinger: Ein erster Schritt, ein Durchbruch des Vertrauens nach langen Jahren wachsenden Misstrauens auf beiden Seiten. Deswegen mehr als nur Symbolik, ein erster wichtiger Schritt, aber noch kein hinreichender; weitere Schritte müssen folgen.

    Klein: Welche?

    Ischinger: Geplant ist, auch schon angekündigt durch die amerikanische Regierung, das Vorhaben, diesem sogenannten "New-START-Abkommen" in Bälde weitere amerikanisch-russische Verhandlungen folgen zu lassen mit dem Ziel einschneidenderer Reduzierungen der Sprengköpfe und Trägersysteme auf beiden Seiten. Wir haben ja jetzt nur eine doch sehr moderate Reduzierung erreicht, mit diesem ersten Schritt. Das Ziel wird sein müssen, etwa in die Größenordnung von 1000 oder sogar vielleicht nur von 500 nuklearen Sprengköpfen auf beiden Seiten zu geraten. Dann hätten sowohl die USA wie die Russische Föderation immer noch erheblich mehr, jeweils erheblich mehr nukleare Sprengköpfe als jede andere nukleare Macht auf dieser Erde. Zurzeit sieht ja das Verhältnis so aus, dass etwa 90 Prozent amerikanisch-russisch sind und nur zehn Prozent auf die restlichen Nuklearmächte entfallen. Daran kann man erkennen, wie entscheidend Fortschritte zwischen diesen beiden nuklearen Großmächten sind.

    Klein: Sie sprechen von Vertrauen, was gewachsen ist. Inwieweit wird das Verhältnis zwischen Russland und den USA damit tatsächlich auf eine neue Basis gestellt?

    Ischinger: Das Verhältnis war – das wissen wir ja alle – in den letzten Jahren schlechter geworden. Besonders schlecht war es seit dem Georgienkonflikt, der zutage treten ließ, wie groß das Misstrauen war und wie schlecht auch die institutionellen Vorkehrungen funktionierten: der NATO-Russland-Rat, der dann zunächst einmal seine Sitzungen einstellte. Also es funktionierte ja nichts mehr. Auf russischer Seite war das Misstrauen besonders groß, nicht nur wegen des Irak-Konflikts, sondern auch wegen der Raketenabwehrpläne der Bush-Administration. Deswegen ist dieser Vertrag von hoher Bedeutung, als ein erster Schritt des gemeinsamen Vorgehens. Wie gesagt, dies ist ja nicht nur ein Abrüstungsabkommen. Es ist als Abrüstungsabkommen wichtig, aber es ist ein Signal, dass beide Seiten sich jetzt auch vornehmen, in anderen Bereichen enger zusammenzuarbeiten, siehe Iran, siehe Nahost, siehe eine ganze Reihe von anderen Fragen, Bekämpfung des Terrorismus, Afghanistan und so weiter. Insoweit ist das schon ein historischer Durchbruch zu neuer Zusammenarbeit, neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washington.

    Klein: Wenn zwei sich besonders gut vertragen, oder sich wieder beginnen, gut zu verstehen, dann fühlen sich Dritte möglicherweise mitunter ausgeschlossen. Nicht ohne Grund sucht Obama ja heute das Gespräch mit den Staats- und Regierungschefs mittel-osteuropäischer Staaten, die in Sorge sind, ihre Interessen könnten bei der neuen russisch-amerikanischen Freundschaft auf der Strecke bleiben. Ein Schulterschluss zu deren Lasten?

    Ischinger: Nein! Ich denke, eben gerade nicht. Es ist doch eine großartige Entscheidung gewesen, diese Unterzeichnung eben gerade in einem Land vorzunehmen, das noch vor 20 Jahren Teil des Warschauer Pakts war, nach Prag zu gehen und nicht etwa nach Moskau oder nach Washington. Ich denke, es ist auch in der Tat sehr wichtig, dass Entscheidungen über die Sicherheit der Bündnispartner, der NATO-Partner, etwa die Entscheidung betreffend die taktischen Nuklearwaffen, über die ja in der Bundesrepublik Deutschland in letzter Zeit viel diskutiert worden ist, dass diese Entscheidungen im Bündnis getroffen werden sollen, nicht etwa abgehoben von den Interessen der Bündnispartner zwischen Moskau und Washington entschieden werden sollen, sondern eine NATO-Entscheidung. Ich glaube, die Partner im Osten, unsere Nachbarn in Polen, in der Tschechischen Republik, auch in den baltischen Staaten, haben diese Signale richtig verstanden. Ich glaube nicht, dass es hier Sorgen gibt, dass über die Köpfe dieser Bündnispartner hinweg zwischen Moskau und Washington jetzt Dinge beschlossen werden könnten, die ihren Interessen schaden könnten.

    Klein: Aber die russische Seite hat ja bereits damit gedroht, sich es vorzubehalten, aus dem Vertrag auszusteigen, wenn sie sich denn doch irgendwie bedroht fühlen würde von dem ja nun etwas modifizierten, aber dennoch weiterhin geplanten Raketenabwehrsystem für Osteuropa. Halten Sie das für wahrscheinlich?

    Ischinger: Ich halte es für eine ernst gemeinte Drohung, für eine ernst gemeinte Sorge. Ich denke aber, dass die Entwicklung eher in die Richtung geht, dass in der nächsten Phase die USA, das Bündnis und Russland versuchen werden, in Fragen der Raketenabwehr und der Entwicklung von Raketenabwehrsystemen zusammenzuarbeiten, sodass nicht der Eindruck entsteht, hier versucht die eine Seite durch den Aufbau eines solchen Systems die Abwehrfähigkeit der anderen Seite zu unterhöhlen oder zu untergraben. Das ist ja der große russische Sorgenpunkt in den letzten Jahren gewesen. Man muss die russische Sorge ernst nehmen, aber der NATO-Generalsekretär Rasmussen hat, wie ich finde, zurecht vor wenigen Tagen in mehreren Reden die Absicht verkündet, dass das Bündnis gemeinsame Raketenabwehraktivitäten mit Russland ergreifen sollte. Ich finde das genau den richtigen Punkt. Wir müssen nicht nur gemeinsam bei den Abrüstungsgesprächen vorangehen, sondern wir brauchen auch gemeinsame Projekte, um wieder mehr Vertrauen aufzubauen, und die Raketenabwehr eignet sich dafür aus meiner Sicht jedenfalls vorzüglich.

    Klein: Inwieweit ist damit auch die Gefahr, die durch vagabundierendes spaltbares Material möglicherweise droht, gebannt, oder sehen Sie weiterhin die Gefahr eines nuklearen Terroranschlages von woher auch immer?

    Ischinger: Wenn Sie diesen sogenannten "Nuclear Posture Review", das Dokument, das jetzt vor zwei Tagen in Washington veröffentlicht worden ist, sorgfältig lesen, werden Sie feststellen, dass die amerikanische Regierung sich den Gedanken zu eigen macht, dass die eigentliche zentrale Gefahr in der Zukunft im nuklearen Bereich nicht mehr in einer nuklearen Konfrontation zwischen nuklearen Großmächten besteht, sondern dass sie darin besteht, dass das nukleare Nichtverbreitungsregime weiter geschwächt wird durch das Heranwachsen neuer Nuklearmächte, sprich Iran, sprich Nordkorea, und noch viel schlimmer diese Horrorvision, dass nukleare Mittel, militärische nukleare Mittel in die Hände von Terroristen geraten könnten. Deswegen ist es so richtig und so wichtig, dass auch Abrüstungsverabredungen angestrebt werden, die die mobileren taktischen Nuklearwaffen betreffen, die die Russische Föderation reichlich zur Verfügung hat und die es natürlich auch noch auf NATO-Territorium gibt. Das sind genau die Systeme, die vermutlich am leichtesten in die falschen Hände geraten könnten, und deswegen erscheint es mir jedenfalls ganz wichtig, dass hier eine Lagerung an einem zentralen geschützten Ort erfolgt, damit die Gefahr des Zugriffs der falschen Leute auf solche Waffen minimiert wird, sowohl auf russischer Seite wie auch auf westlicher Seite.

    Klein: Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Ischinger.

    Ischinger: Danke, Frau Klein. Auf Wiederhören!