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Nordkorea
Das Traumpaar des Diktators

Es klingt wie eine gut erfundene Agentenstory: Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-Il lässt aus Südkorea einen Regisseur und eine Schauspielerin entführen, um die eigene Filmproduktion voranzubringen. Doch die Geschichte ist wahr. Paul Fischer erzählt sie in seinem neuen Buch.

Von Matthias Dell | 14.03.2016
    Regisseur Shin Sang Ok und seine Frau Choi Eun Hee, Schauspielerin, beide Südkoreaner, waren von Nordkoreas Führung entführt worden.
    Regisseur Shin Sang Ok und seine Frau Choi Eun Hee, Schauspielerin, im Jahr 2002. Die beiden Südkoreaner waren von Nordkoreas Führung entführt worden. (MYCHELE DANIAU / AFP)
    In diesen Tagen läuft der Dokumentarfilm "Strahl der Sonne" von Vitaly Mansky in unseren Kinos. Er versucht, uns Nordkorea filmisch näher zu bringen. Dazu muss man wissen: Nordkorea ist ein Land wie ein Film. Man kann dem Auge nicht trauen, kann unmöglich unterscheiden, was Inszenierung ist und was Realität. Folglich scheitern viele Filmemacher am Versuch, das Leben in Nordkorea zu dokumentieren. Sie kommen meistens gerade nicht hinter die Bilder, die das Regime für sie präpariert.
    Das Filmische und die Realität hängen in Nordkorea eng zusammen – wie eng, das zeigt jetzt ein zeithistorisches Buch, Paul Fischers "Unglaubliche Geschichte einer Entführung nach Nordkorea".
    Zuerst wäre da der Stoff. Das titelgebende "Traumpaar des Diktators" bilden Shin Sang Ok und Choi Eun Hee. Der 1926 geborene Shin ist Regisseur, die gleichaltrige Choi Schauspielerin. Beide erlebten in den Sechzigerjahren den Höhepunkt ihrer Karrieren in Südkorea: Shin drehte unentwegt Filme und unterhielt ein Studio mit über dreihundert Mitarbeitern, Choi war seine Partnerin und Leiterin einer eigenen Schauspielakademie.
    "Der gesamte Erfolg basierte auf Shin und Chois Fähigkeit, der arbeitenden Bevölkerung eskapistische Phantasien zu vermitteln. Die Menschen sehnten sich danach, der Härte und der Schufterei des Alltags zu entfliehen. Doch Shin und Choi vermittelten nicht nur Phantasien, sie widmeten dem Land auch ihr Privatleben. Sie waren das Glamour-Paar Südkoreas. Der auffällig hochgewachsene Shin trug teure Maßanzüge, im Stil eher französisch als amerikanisch, den Kragen am Hals stets geöffnet und die Haare wie bei Richard Burton als Tolle in die Stirn fallend. Choi war stets nach der neuesten Mode gekleidet und trug die modernsten Frisuren."
    Erzählung basiert auf Erinnerungen des Paars
    In den Siebzigerjahren steckt das Traumpaar künstlerisch und privat in einer Krise. Und wird empfänglich für zweifelhafte Arbeitsangebote: Choi lässt sich 1978 nach Hongkong locken und wird dort von nordkoreanischen Agenten entführt. Shin, mittlerweile bankrott, ereilt ein halbes Jahr später das gleiche Schicksal. Das sind keine Einzelfälle: Entführungen gehören in den Siebziger- und Achtzigerjahren tatsächlich zur Politik des abgeschotteten Landes.
    In Nordkorea wird die Schauspielerin Choi mit allem Komfort vom Gewaltherrscher Kim Jong-Il umgarnt, der Regisseur Shin dagegen nach zwei Fluchtversuchen in Lagern interniert.
    Autor Fischer stützt sich bei seiner Nacherzählung der Geschichte von Shin und Choi vor allem auf deren Erinnerungen. Ein erstes Buch erschien nach der Flucht 1988, Shins Memoiren 2007. Die noch lebende Choi hat Fischer persönlich getroffen. Filmisch ist die Süffigkeit, mit der sich der Text des in London lebenden Filmproduzenten liest. In schwächeren Momenten klingt das nach dem Zwang zur szenischen Ausschmückung:
    "Shin öffnete blinzelnd die Augen. Ein Ermittler stand an seinem Bett und daneben ein hochrangiger Militäroffizier. Hinter den beiden stand ein wachsamer Militäroffizier. Die beiden Männer unterhielten sich aufgeregt miteinander, sprachen Shin aber nicht an. Nach einer Weile verließen alle drei Männer den Raum. Erst da bemerkte Shin, dass er nicht allein in der Zelle war."
    "Das Traumpaar des Diktators" wirkt mit seiner Drei-Akt-Struktur wie ein Buch, das am liebsten ein Film geworden wäre. Die Kapitel heißen "Spulen", wie beim analogen Filmvorführen, es gibt Szenenwechsel und Parallelmontagen, und am Ende läuft alles auf einen lang geplanten, spannenden Coup hinaus – die Flucht in die Freiheit, in die amerikanische Botschaft in Wien, Verfolgungsjagd im Taxi inklusive.
    Bei aller Emotion baut der skrupulöse, skeptische Rechercheur Paul Fischer immer wieder sachbuchhafte Exkurse über Nordkorea und die Regentschaft von Kim Jong-Il in seine Geschichte ein. Er zerpflückt die Mythen, auf die die Kim-Dynastie bis heute ihre Macht gründet. Der 2011 verstorbene Diktator erscheint dabei aber differenzierter als die Karikatur, auf die ihn die meisten Bilder im Westen reduzieren.
    "A Kim Jong-Il Production"
    Der Aufstieg des "unterschätzten" Sohnes zum Nachfolger von Kim Il-Sung hat viel mit Jong-Ils Leidenschaft für den Film zu tun. Kim Jong-Il verfügte über ein eigenes, in aller Welt zusammenkopiertes Filmarchiv. Seinen Leibwächtern führte er "In the Line of Fire" mit Clint Eastwood vor. Die Entführungen von Menschen nach Nordkorea bringt das Buch in Zusammenhang mit dem Konsum von James-Bond-Filmen – es scheint, dass Kim Jong-Il in der Isolation Nordkoreas selbst nicht recht erkannte, wo bei westlichen Blockbustern die Fantasie einsetzt.
    Das Kino, so kann man Fischers Darstellung verstehen, ist das Medium, das unter Kim Jong-Il die Mythisierung von Nordkorea nach innen wie nach außen modernisiert hat. Der englischen Originaltitel spricht diese Idee aus: "A Kim-Jong-Il-Production"
    "Wenn er seinen Vater weiter beeindrucken wollte und seinen Lebenstraum verwirklichen wollte, musste er international ein Zeichen setzen. Er besaß die notwendigen Ambitionen und die Ressourcen; was ihm fehlte, waren Erfahrung und Talent in Sachen Filmproduktion. Doch wo sollte er diese Dinge finden in einem Land, das als eremitisches Königreich bekannt war?"
    Zu den Ironien der Geschichte, die "Das Traumpaar des Diktators" erzählt, gehört, dass die Jahre in Nordkorea Shin und Choi bei allem Unwohlsein privates Glück bringen. Und künstlerisch eine letzte große Zeit. Die beiden gewinnen Preise auf Festivals und werden im Land bis zu ihrer Flucht zu Popstars durch Filme wie "Emissary of no Return" oder auch "Pulgasari", eine nordkoreanische Godzilla-Version, die sich heute im Internet einiger Beliebtheit erfreut.
    Durch Fischers Buch erfährt man also nicht nur die unglaublich spannende Geschichte zweier Menschen, sondern auch etwas über die Bildpolitik Nordkoreas –wie das Kino die Realität auf fatale Weise beeinflusst in dem kleinen, von der Welt abgeschiedenen Land.
    Paul Fischer: Das Traumpaar des Diktators. Die unglaubliche Geschichte einer Entführung nach Nordkorea. Rowohlt, 16,99 Euro.