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Mehr Bund in der Bildung

Bund und Ländern ist es gesetzlich verboten, in der Bildungsfinanzierung zusammen zu arbeiten. Das wollen einige Länder jetzt ändern. Schleswig-Holsteins Wissenschaftsminister Jost de Jager will das Kooperationsverbot per Bundesratsinitiative kippen.

Jost de Jager im Gespräch mit Manfred Götzke | 27.10.2011
    Manfred Götzke: Herr de Jager – warum wollen Sie das Verbot wieder abschaffen, können Sie ihre Hochschulen nicht mehr selbst finanzieren?

    Jost de Jager: Doch, das können wir, wir haben nur die Situation, dass durch den verfassungsrechtlichen Umstand, dass der Bund sich nur durch zusätzliche Programme an der Finanzierung von Hochschulaufgaben beteiligen kann, wir durch die Kofinanzierung dieser zusätzlichen Programme immer mehr Geld zur Verfügung stellen müssen, die auch für die Finanzierung des Brot- und Buttergeschäftes in den einzelnen Hochschulen gebraucht würde. Und deshalb wollen wir einen Zustand herbeiführen, wo der Bund sich nicht nur an zusätzlichen Aufgaben beteiligen kann, sondern auch an die Kernaufgaben.

    Götzke: Das heißt, momentan wird in große Forschungsprojekte investiert, aber nicht in die Lehre?

    de Jager: Nein, das ist so nicht richtig, sondern wir haben natürlich über den Hochschulpakt, den sich ja der Bund und die Länder teilen, schon auch eine Aufgabenstellung, die natürlich die Lehre mit beinhaltet. Wir haben aber natürlich Aufwuchsprogramme im Bereich der Exzellenz-Initiative, der praktischen Forschung und Innovation, aber auch BAföG, die erhebliche Mittel binden, was ja unter den Bedingungen einer Schuldenbremse, die wir in Schleswig-Holstein ja anwenden müssen, dazu führt, dass wir unter Umständen in den kommenden Jahren Kernaufgaben vernachlässigen müssten.

    Götzke: Aber momentan gibt es keine Finanzierungslücke, verstehe ich Sie da richtig?

    de Jager: Wir haben im Moment für die laufenden Zielvereinbarungen in der Tat die Ausgangslage, dass wir keine Kürzung bei den Hochschulen vornehmen – wir geben sogar mehr Geld aus für Hochschulen, als wir es vorher getan haben –, aber wir können jetzt eben nicht in unserem Kernbereich ausschließlich ausgeben, sondern müssen immer stärker in diese Kofinanzierung. Und wir wollen, dass der Bund seine Mittel eben auch für Hochschulaufgaben zur Verfügung stellen kann und eben nicht nur für zusätzliche Projekte und Forschung.

    Götzke: Kaum einer hält ja heute das Kooperationsverbot noch für sinnvoll. Die Frage ist ja: Wie schafft man es wieder ab?

    de Jager: Wir sind der Auffassung, man muss es durch eine Verfassungsänderung machen, die zweierlei bewirkt: Einmal müssen wir dazu kommen, dass nicht nur Vorhaben vom Bund, also Projekte, gefördert werden können, sondern auch Einrichtungen, das heißt, Hochschulen selber, und wir müssen weg davon kommen, dass es sich lediglich um Einrichtungen einer überregionalen Bedeutung handelt, sondern eben auch ganz normale Hochschulen. Das heißt, der Bund muss in der Lage sein, mit seinem Geld, das er bereitstellen möchte, auch tatsächlich die Kernaufgaben der Hochschule mit zu unterstützen.

    Götzke: Wie gesagt, also das ist ja relativ unstrittig. Die Frage ist, wie schafft man es ab? Man braucht ja für eine Verfassungsänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag …

    de Jager: Ja, das ist nicht unstrittig, wenn ich Sie unterbrechen darf, weil was unstrittig ist, dass man nicht nur Forschungsvorhaben, sondern auch Einrichtungen finanzieren kann. Aber weiterhin in einem wettbewerblichen Verfahren, was ja bedeuten würde, dass für die finanzschwachen Länder kein Vorteil daraus entsteht, sondern weiterhin eine besondere Stärkung der ohnehin schon finanzstarken südlichen Länder erfolgt, weil deren Hochschulen es leichter hätten, sich in einem Wettbewerb um diese Mittel durchzusetzen. Insofern ist nicht nur die Frage, ob man auch Einrichtungen finanzieren kann, sondern in welchem Verfahren von fundamentaler Bedeutung.

    Götzke: Gucken wir trotzdem noch mal auf das Verfahren selber, wie man das Verbot, das Kooperationsverbot wieder los wird. Man braucht ja eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Warum sollte die SPD aus der Opposition heraus zustimmen?

    de Jager: Weil Zweck unseres Bundesratsantrages, den wir jetzt ja bald vorlegen wollen, gar nicht so sehr ist, im ersten Angang eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu bekommen, sondern unsere Bundesratsinitiative hat vor allem das Ziel, eine sehr grundlegende Debatte anzustoßen über die Frage, wie der Bildungsföderalismus tatsächlich finanziert werden kann. Denn was wir im Moment haben, ist, dass eine Anpassung der Finanzströme an diese Föderalismusreform von 2005 nicht stattgefunden hat, mit dem Ergebnis, dass man sich fragen muss: Entweder wir verändern Umsatzsteueranteile, wozu der Bund nicht bereit ist, oder wir passen die Verfassungswirklichkeit der gegenwärtigen Finanzsituation an, und das ist das, was wir hier vorhaben.

    Götzke: Würden Sie auch so weit gehen, den Bildungsföderalismus und die Vorherrschaft der Länder generell infrage zu stellen?

    de Jager: Nein, das würde ich für falsch halten, weil ich glaube, dass nichts besser wird, dadurch, dass es zentral aus Bonn oder Berlin geregelt wird – ja, Bonn, Bonn ja schon, weil das Forschungsministerium überwiegend dort ja noch ist –, also insofern geht es mir nicht darum, jetzt eine Zentralisierung das Wort zu reden, sondern wir müssen einfach feststellen, dass diese Entflechtung der Zuständigkeiten und damit auch die Entflechtung der Finanzierung, die 2005 stattgefunden hat, für viele Länder – und dazugehört auch Schleswig-Holstein – nachteilig gewesen ist. Und insofern geht es jetzt darum, bei Beibehaltung des Föderalismus, der subsidiär ist, der auch tatsächlich eine Bürgernähe sichert, tatsächlich sicherzustellen, dass die Gelder, die der Bund bereit ist, rein zu geben, auch dort landen, wo sie am meisten gebraucht werden.

    Götzke: Das heißt, Sie wollen weiterhin die Entscheidungsgewalt, aber mehr Geld vom Bund?

    de Jager: Nein, das würde ja damit einhergehen, wenn der Bund auch Mittel zur Verfügung stellt, dass er auch mitentscheiden kann. Da unterscheiden wir uns von einigen auch unionsgepriesenen süddeutschen Ländern. Wir haben nicht so viel dagegen, dass der Bund auch mitredet, das stört uns gar nicht, weil derjenige, der mit bezahlt, auch gerne die Musik auch mit bestellen soll. Insofern sind wir dort pragmatischer.

    Götzke: Ich habe es ja vorhin schon angedeutet. Kaum ein Bildungspolitiker hält das Finanzierungsverbot, also was jetzt Einrichtungen und das Studium generell bedeutet, heute noch für sinnvoll. Wie konnte es überhaupt zu dieser Verfassungsänderung 2005 kommen? Hat man sich da kollektiv vertan?

    de Jager: Was die Auswirkungen anbelangt, ja, was die Absicht anbelangt, nein. Ich glaube, der Grundgedanke der seinerzeitigen Föderalismusreform, zu sagen, eine Entflechtung der Zuständigkeiten, eine Entflechtung der Finanzströme hin zu mehr Wettbewerbsföderalismus war ja gut, er hat nur in der praktischen Anwendung zu einer Situation geführt, die nicht zufriedenstellend ist. Und wenn man das feststellt, dass Absicht und Auswirkung nicht kongruent sind, dann muss man aus meiner Sicht das politisch aufgreifen und eine Veränderung vorschlagen – das machen wir.

    Götzke: Und dazulernen?

    de Jager: Auch, dazulernen ist immer gut.

    Götzke: Herr de Jager, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    de Jager: Ich danke Ihnen!


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