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Mehr Insektizid-Einsatz durch Klimaerwärmung

Je wärmer es in Europa wird, desto mehr Schadinsekten müssen bekämpft werden. Europas Gewässer werden also in Zukunft stärker durch Insektizide belastet als bisher. Das legt zumindest eine Prognose des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig nahe.

Von Christian Forberg | 27.01.2012
    Es ist eine Jahrhundertprognose, reicht von 1990 bis 2090 und setzt voraus, dass die Voraussage des Weltklimarates eintrifft: Bis Ende des Jahrhunderts erwärmt sich die Erde um durchschnittlich 2,8 Grad, die Zahl der Schadinsekten wird steigen. Vor allem die Bauern nördlich der Alpen werden mehr Insektizide einsetzen müssen als bisher. Der Zustand vieler Gewässer kann sich dadurch so verschlechtern, dass die Artenvielfalt drastisch zurückgeht. Was nicht aus der Luft gegriffen sei, sagt Matthias Liess vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig, kurz UFZ:

    "Wir sehen aus empirischen Untersuchungen, die im Freiland durchgeführt worden sind, dass einerseits Pflanzenschutzmittel in die Gewässer eingetragen werden, und diese Pflanzenschutzmittel dort andererseits nachhaltige Wirkungen zeitigen."

    Besonders empfindliche wirbellose Arten wie Käfer und Schnecken, Köcherfliegen und Libellen würden dezimiert. Auch sie gelten als Indikatoren, wie gut es um die Qualität von Gewässern steht. Ausgewertet wurden Messergebnisse der Jahre zwischen 1980 und 2000. Auch in Deutschland würden sich gebietsweise Verhältnisse einstellen, wie sie bislang eher in Südeuropa herrschen. Deshalb schlussfolgert Matthias Liess:
    "Umso mehr ist dort mit einer erhöhten Anwendung von Insektiziden zu rechnen, weil – wenn der Landwirt das gleiche Schutzniveau seines Anbaus erreichen will, er einfach mehr Insektizide einsetzen wird. Und damit werden auch mehr Insektizide in die Gewässer eingetragen, was dann zu den entsprechenden ökologischen Folgen führen wird."

    Abgewendet werden könne dieses Szenarium vor allem durch breite Randstreifen zwischen Äckern und Gewässern, meint der Forscher vom UFZ:

    "Am sinnvollsten wäre es, wenn Randstreifen im Bereich von zehn Metern - das hängt natürlich von den örtlichen Gegebenheiten ab - eingehalten werden, die mit Büschen, mit Gras und dergleichen bewachsen sind, wo keine landwirtschaftlichen Produkte drauf wachsen und wo es auch keine Notwendigkeit gibt, Pflanzenschutzmittel einzusetzen."

    Das sieht auch Dietrich Schulz so. Er ist im Umweltbundesamt Dessau-Roßlau verantwortlich für die Bodennutzung in der Landwirtschaft und fordert ebenfalls zehn Meter breite Gewässerrandstreifen - insbesondere an Hanglagen, wo der Regen Insektizide schneller in Gewässer abtransportiert. Das sollte in der neuen, ab 2014 geltenden EU-Agrarpolitik festgeschrieben werden, und sei es als Bestandteil der ökologischen Vorrangflächen im Umfang von sieben Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche:

    "Dann hätte man einmal einen Schutz der Gewässer vor Stoffeinträgen - das wird dort abgefangen in diesem Pufferstreifen. Man hätte zum Zweiten auch natürliche Lebensräume und Vernetzungselemente, also Räume zu schaffen, in denen wild lebende Arten auch wandern, sich ausbreiten können, um dort auch einen genetischen Austausch zu ermöglichen, also die Vernetzung der Biotope wieder herzustellen."
    Dass das nicht einfach wird, weiß Dietrich Schulz aus Erfahrung: Da solch breite Randstreifen durch Landwirte und Agrarverbände eher als unnötiger Verlust angesehen werden, wird um jeden Meter weniger gerungen. Auch beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln möchten sie sich nicht so ohne Weiteres in die Karten schauen lassen: Als vor wenigen Jahren das Umweltbundesamt während unangemeldeter Beobachtungen Verfahrensfehler entdeckte, konnte der Deutsche Bauernverband gesetzliche Auflagen abwenden und setzte eine freiwillige Selbstkontrolle durch. Die Konsequenz: Nur wenn Anzeige erstattet wird, reagieren die Behörden. Allerdings glaubt Dietrich Schulz nicht, dass jenes Jahrhundert-Szenarium eintreten muss, wie es die Leipziger Umweltforscher beschrieben haben:

    "Die Schwäche der Arbeit des UFZ liegt darin, dass sie zwar beim Klima in die Zukunft projizieren, aber nicht bei der Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln. Der Trend geht zu Mitteln, die wirkungsgenauer sind, die auf die Nicht-Ziel-Organismen weniger bis keine Wirkung mehr haben und die mit geringeren Aufwandmengen auskommen."

    Zudem: Nicht jedes Schadinsekt - Maiszünsler und Maiswurzelbohrer zum Beispiel - könne wirkungsvoll durch Chemie bekämpft werden. Hier sei der konsequente Fruchtwechsel immer noch die sinnvollste und ökologischste Lösung.