Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Mehr Macht den EU-Bürgern

Bis lang gilt: EU-Bürger schlagen vor, die Europäische Kommission entscheidet. Martin Kastler, CSU-Europa-Abgeordneter, setzt sich für Volksentscheide europaweit ein.

Von Michael Watzke | 03.09.2010
    Martin Kastler, CSU-Europa-Abgeordneter aus Schwabach bei Nürnberg, hat eine Vision: Mehr direkte Demokratie für Europa:

    "Das wäre mein Traum. In der heutigen Zeit möchten die Bürger regelmäßiger beteiligt werden. Ich glaube, das würde die Menschen wieder näher an die Politik bringen. Und das wäre mein Wunsch auch für Europa: in allen Mitgliedstaaten am gleichen Tag zu einem Thema abzustimmen."

    Ein europaweiter Volksentscheid – so wie es ihn in Bayern schon gibt. Dort hat das Volk gerade erst für ein strenges Rauchverbot gestimmt. Kastler will, dass in Zukunft alle 500 Millionen Europäer abstimmen. Zum Beispiel darüber, ob der Sonntag in ganz Europa generell ein arbeitsfreier Tag sein sollte. Kastler hat zu diesem Thema bereits eine Initiative gestartet:

    "Sonntags gehören Mami und Papi uns - wo ganz klar der Familiengedanke dahinter ist, dass wir einen arbeitsfreien Tag brauchen, um den Schutz dieses Sonntags auch kämpfen, nachdem wir erlebt haben – auch letzten Advent wieder –, dass wohl Weihnachten möglichst jeder Sonntag noch zu einem Arbeitstag gemacht werden sollte."

    Martin Kastler stützt sich bei seinem Kampf für mehr direkte Demokratie auf den Lissaboner Vertrag. Denn im Dezember 2007 beschlossen die EU-Mitgliedstaaten mit diesem Vertrag auch ein Bürger-Initiativrecht.

    "Mit dem Bürger-Initiativrecht haben die Bürger die Möglichkeit, und zwar rechtlich gesichert und sogar einklagbar vor dem Europäischen Gerichtshof, wenn sie eben die Erfordernisse erfüllen."

    Doch wie werden diese Erfordernisse aussehen? Wie werden die Ausführungsbestimmungen des Initiativrechts geregelt? Darüber streitet die EU gerade. Derzeitiger Stand: Europas Bürger müssen in 9 von 27 Mitgliedstaaten insgesamt 1 Millionen Stimmen für eine Volksinitiative sammeln, dann muss sich der zuständige EU-Kommissar mit diesem Thema befassen:

    "Der zuständige Kommissar - in meinem Bereich müsste das bei Sonntag der Sozialarbeitskommissar sein - muss es in seinem Kabinett besprechen, einen Vorschlag vorbereiten, wie es weitergeht, dann mit dem Rat, also den Nationalstaaten diskutieren und dann mit dem Europäischen Parlament, wenn ein Vorschlag schriftlich da ist, dann auch mit dem Ausschuss, der zuständig ist, in die Gesetzgebung bringen."

    Bis jetzt ist das nur ein Volksbegehren, kein Volksentscheid. Die Bürger dürfen also etwas vorschlagen, die EU-Kommission entscheidet dann darüber. Wie viel Macht die Europäische Union dem Bürger tatsächlich geben wird, zeigt sich am 30.September. Dann tagt der EU-Verfassungs-Ausschuss. Sein Vorschlag soll bis Ende Dezember in einen Gesetzestext gegossen werden. Martin Kastler hofft, dass die Hürden für die Beteiligung der Bürger zwischen Portugal und Zypern gering ausfallen:

    "Es soll ja möglichst die Leute, die sich engagieren wollen zu Themen auch motivieren für Europa und in Europa auch Themen zu setzen. Ich glaube, wir können gut darauf vertrauen, dass die Bürger auch die Möglichkeit und die Fähigkeit haben, über Dinge abzustimmen, auch mit Emotion."

    Die Emotionen. Sie könnten aufwallen, wenn etwa eine Koalition aus Bürgern der Mittelmeerstaaten den skandinavischen Ländern den Walfang verbieten möchte. Oder osteuropäische Bürger gegen den Stierkampf in Spanien votieren.

    "Das kann schon eine Gefahr sein. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es in Europa in einigen Ländern gewisse Traditionen gibt. Das heißt, dass man bei gewissen Themen auch überstimmt werden kann."

    Dass ein Volksentscheid jede Menge sozialen Sprengstoff birgt, hat die CSU gerade beim Nichtraucherschutz in Bayern erlebt. Vielleicht hält sich auch deshalb die Begeisterung der Christsozialen über direkte Demokratie in Grenzen.

    "Ich muss zugeben, dass bei dem einen oder anderen das Thema nicht mehr ganz so auf der Prioritätenliste 1 steht, und deswegen setze ich mich dafür ein, dass es wieder zum Thema Nr. Eins wird. Für mich ist es eines der Themen Nr. 1. Ich bin deswegen auch bei dem Verein Mehr Demokratie e.V. dabei. Und ich gebe zu, ich bin wohl einer der wenigen aus der CSU, die in dem Verein aktiv sind."

    Trotzdem glaubt Kastler, dass eine europäische Bürgerinitiative ohne zu große Hürden gut gegen Politikverdrossenheit und Europa-Müdigkeit ist. Und in zehn Jahren, sagt der weltoffene Mittelfranke, sei Europa dann reif für Volksentscheide wie in der Schweiz, seinem großen Vorbild.