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Mehr Mehrlinge in Deutschland

In Deutschland verdanken derzeit etwa acht Prozent aller Babys ihre Existenz der sogenannten In-vitro-Befruchtung, Tendenz steigend. Paare entscheiden sich immer später für ein Kind und sind dann häufiger auf die Hilfe der Reproduktionsmediziner angewiesen. Oft kommt trotz Behandlung kein Baby zu Welt, andererseits nimmt die Zahl der Zwillings- und Drillingsgeburten zu - besonders in Deutschland, wie die Studie "Reproduktionsmedizin im internationalen Vergleich" zeigt, die die Ebert Stiftung gestern vorgestellt hat.

Von Volkart Wildermuth | 10.09.2008
    Ein Baby wird geboren. Die Eltern haben Glück gehabt mit der Reagenzglasbefruchtung, kurz IVF für In-vitro-Fertilisation. Vier von fünf Paaren erleben dagegen eine Enttäuschung. Bei der IVF liegt die Geburtenrate pro Embryonenübertragung bei nur 19 Prozent. Die Kassen bezahlen zwar drei Versuche, trotzdem ist die Befruchtung in der Petrischale, alles andere als ein sicherer Weg zum Kind. Das gilt insbesondere in Deutschland, denn weltweit liegt die Geburtenrate nach einer In-vitro-Befruchtung deutlich höher bei 26 Prozent und ist damit etwa mit den Erfolgsaussichten der natürlichen Befruchtung zu vergleichen. Bei einem anderen Wert ist Deutschland dagegen Spitze. Jede fünfte IVF-Schwangerschaft führt zu Zwillingen, eine von Hundert sogar zu Drillingen. Die Mehrlingsschwangerschaften bereiten Prof. Klaus Diedrich von der Uniklinik in Lübeck große Sorgen.

    " Mehrlinge sind ein hohes Risiko für die werdende Mutter die durch Krankheiten, vorzeitige Wehentätigkeit, Blutdruckerhöhung, besonders gefährdet ist in einer Mehrlingsschwangerschaft und zum anderen sind es die meist Frühgeborenen Mehrlinge, die mit einer hohen Morbidität und auch Sterblichkeit belastet sind. Dieses Problem ist dann für die Eltern nicht nur einmal da sondern bei Mehrlingen eben auch mehrfach. "

    Eine weitere Folge: die höhere Scheidungsrate bei Mehrlingseltern. Dass sich das Problem Mehrlinge verringern lässt, zeigt der Blick ins europäische Ausland. In Schweden zum Beispiel ist nicht nur die Erfolgsrate der IVF höher, sie führt auch deutlich seltener zu Zwillingen. Das liegt ganz einfach daran, dass in Schweden meist nur ein einziger Embryo übertragen wird. Während die Ärzte früher dachten, sie könnten die Geburtenrate vor allem durch Quantität nach oben drücken, durch die gleichzeitige Übertragung von bis zu drei Embryonen, hat sich gezeigt, dass die Qualität viel wichtiger ist. In Schweden und den meisten anderen europäischen Nationen lassen die Reproduktionsmediziner mehrere Embryonen gleichzeitig heranwachsen und begutachten sie dann unter dem Mikroskop. Nur der beste Embryo wird übertragen, wobei sich der Beste strikt auf das Aussehen der Zellen bezieht. Genetische Tests spielen keine Rolle, es geht also nicht um die Erzeugung von Designerbabys, sondern nur um die Verbesserung der Reagenzglasbefruchtung. 2003 erlaubte Schweden den Transfer von so ausgewählten Einzelembryonen nach Auswahl, in der Folge sank die Zahl der Zwillingsschwangerschaften nach IVF auf rund fünf Prozent, ein Viertel des deutschen Werts. Das Verfahren funktioniert also, es hat aber eine Kehrseite. Wenn nur die besten Embryonen übertragen werden, was passiert dann mit den anderen? Diedrich:

    " Da gibt es die Möglichkeit, sie zu kryokonservieren, also tiefzufrieren und für einen späteren Behandlungsversuch aufzubewahren, aber man muss auch über die Möglichkeit nachdenken, einen Embryo absterben zu lassen, wenn er von dem Paar nicht mehr gewünscht ist. "

    Die Vernichtung von Embryonen ist die logische Konsequenz der Auswahl der Embryonen. Das aber verbietet das deutsche Embryonenschutzgesetz eindeutig. In Europa haben nur Italien und die Schweiz ähnlich restriktive Regelungen. Klaus Diedrich, die anderen Gutachter der Friedrich Ebert Stiftung und mit ihnen wohl die Mehrheit der Reproduktionsmediziner fordern die Politik auf, das Embryonenschutzgesetz im Licht der neuen Erkenntnisse und Möglichkeiten zu überarbeiten. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Marlies Volkmer steht diesem Wunsch positiv gegenüber:

    " Ich persönlich finde, dass wir den selektiven Embryonentransfer ermöglichen sollten, weil ich glaube, dass es wichtig ist die Mehrlingsschwangerschaften zurückzudrängen. In dieser Legislaturperiode werden wir mit Sicherheit nicht ans Embryonenschutzgesetz herangehen, wenn ich mir angucke, was im Stammzellegesetz für eine Diskussion gewesen ist. "

    Die Zahl der Zwillinge und Drillinge wird in Deutschland also vorerst weiter steigen. Auch aus diesem Grund rät Marlies Volkmer den Paaren, nicht zu sehr auf die Reproduktionsmedizin zu vertrauen, sondern lieber früher ein Kind auf dem traditionellen Weg zu zeugen.