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Mehr Migranten für den Lehrerberuf begeistern

An deutschen Schulen unterrichten wenig Lehrkräfte mit Migrationshintergrund. Um das zu ändern, hat die "Zeit"-Stiftung die Initiative "Mehr Migranten werden Lehrer" initiiert. Schirmherrin ist Bundesbildungsministerin Annette Schavan.

Von Verena Herb | 18.12.2012
    Ayfer Sengül-Loof ist Lehrerin. Seit 2006 unterrichtet sie Englisch, Sport und Türkisch am Gymnasium Hamburg-Hamm. Dort haben 66 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund. Nur 50 Prozent bringen eine Empfehlung für das Gymnasium mit. Umso wichtiger, so die Deutsch-Türkin, dass auch Lehrer mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen unterrichten:

    "Ich denke, es ist für diese Kinder immer wieder schön zu sehen, dass dort Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, die eigentlich auch den gleichen Hintergrund haben. Also wenn das jetzt türkische Kinder sind und die begegnen dann mir, dann freuen sie sich immer und sagen: Oh, das hatte ich noch nie. Dann kommt sofort: Sind sie Türkin? Was unterrichten Sie denn hier? Unterrichten Sie auch türkisch? Für die ist das ja auch so eine Sache, wenn ich sage: Ich unterrichte auch noch andere Fächer."

    Es gibt zu wenige Lehrer mit ausländischen Wurzeln an deutschen Schulen. Das will die "Zeit"-Stiftung ändern und hat vor fünf Jahren bereits die Initiative "Mehr Migranten werden Lehrer" aufgelegt. Programmleiterin Tatiana Matthiesen:

    "Angefangen haben wir 2008 hier in Hamburg. Mit 30 Schülern. Mittlerweile haben 550 Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Schülercampus besucht. Und zwar in sechs Bundesländern. Im nächsten Jahr werden wir in zwei weiteren Bundesländern sein mit unseren Campusveranstaltungen. Insgesamt werden es dann 14 Standorte sein."

    Beim Schülercampus "Mehr Migranten werden Lehrer" kommen Schülerinnen und Schüler vier Tage zusammen, um sich über den Lehrerberuf zu informieren. Im Fokus steht dabei die Studienfachorientierung. Tatiana Matthiesen:

    "Denn das ist es in erster Linie. So sehr wir für diesen Lehrerberuf werben, versuchen wir den jungen Menschen auch immer wieder zu sagen: Entscheide Dich für das richtige Studium."

    Das Ziel: Interesse für das Berufsfeld wecken. Ayfer Sengül-Loof steht während des Schülercampus als Praktikerin zur Verfügung, um sämtliche Fragen aus dem Alltag einer Lehrerin zu beantworten: Kann ich mit Kopftuch unterrichten? Kann ich verbeamtet werden ohne deutschen Pass? Die Liste der Fragen ist lang. Sengül-Loof kennt auch aus eigener Erfahrung die Vorurteile mancher Familien gegenüber dem Lehrerberuf:

    "Ich finde einfach, dass der Grundgedanke der Eltern, die hier hingekommen sind und als Gastarbeiter irgendwann mal sesshaft geworden sind und dann die nächsten Generationen, dass doch tatsächlich der Lehrerberuf für viele, weil sie das aus ihren eigenen Kulturkreisen anders bewertet kennen - das ist für sie schwierig, sich das für sie vorstellen."

    Karriere als Lehrer? Für viele unvorstellbar. Jura, BWL, Medizin - da kann man Karriere machen. Tatiana Matthiesen:

    "Wir haben uns wirklich vorgenommen mit dem Schülercampus "Mehr Migranten werden Lehrer" diese Vorurteile abzubauen. Diese Schüler sind es auch, die oft Schule als Ort der Verhinderung erlebt haben. Alles das, was sie nicht können. Alles was sie nicht schaffen werden."

    Ayfer Sengül-Loof:
    "Wenn ich als türkische Schülerin in der Klasse sitze und mir wird dann nach jeder PISA-Studie gesagt: Eigentlich bin ich ja der Punkt, an dem es immer hapert und zwickt. Plötzlich sind da Menschen, die sagen: Nein, so ist das nicht. Du kannst viel mehr."

    Gerade Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an deutschen Gymnasien müssen bewusst durch solche Initiativen angesprochen werden.

    Mittlerweile arbeitet die "Zeit"-Stiftung mit 40 Partnern in den Bundesländern zusammen: Kultusministerien, Universitäten und weitere Stiftungen sind bei der Ausrichtung des Schülercampus involviert. Sie alle müssen aktiv für den Schülercampus für Lehrer werben. Während Informationsangebote zum Jurastudium regelrecht überlaufen werden, ist die Resonanz bei "Mehr Migranten werden Lehrer" im Vergleich eher zurückhaltend. Trotzdem zieht Programmleiterin Tatiana Matthiesen nach fünf Jahren eine positive Bilanz:

    "Weil das Projekt in seiner Wirksamkeit wirklich bestätigt wurde und wir unbewusst sehr viele Dinge ins Rollen gebracht haben. Also an den Universitäten oder an den pädagogischen Einrichtungen. Das Bewusstseinmachen von interkultureller Öffnung in all seinen dann Chancen aber auch Voraussetzungen."

    Die "Zeit"-Stiftung hat im letzten Jahr eine Onlineumfrage bei den Alumni des Schülercampus gestartet. 70 Prozent der Teilnehmer haben tatsächlich ein Lehramtsstudium aufgenommen. Wie viele davon letztlich an deutschen Schulen landen - das wird sich in einigen Jahren zeigen.