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Mehr parlamentarische Kontrolle, mehr Sicherheit

Die Finanzmärkte verlangten von der Politik immer schnelle Entscheidungen im Hinterzimmer, sagt FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing. Das Haushaltsrecht liege aber beim Parlament, und die sorgfältige Beratung im Bundestag sei wichtiger als "die Öffnung irgendeiner Börse".

Volker Wissing im Gespräch mit Mario Dobovisek | 07.09.2011
    Mario Dobovisek: Wenn wir nach dem Urteilsspruch von Karlsruhe in Kategorien von Gewinnern und Verlierern denken möchten, dann gehört Volker Wissing wohl zu den Gewinnern als finanzpolitischer Sprecher der FDP im Bundestag und damit als Teil der Regierungskoalition. Guten Tag, Herr Wissing.

    Volker Wissing: Guten Tag, ich grüße Sie.

    Dobovisek: Was bedeutet aus Ihrer Sicht - die gleiche Frage an Sie - das Urteil?

    Wissing: Nun, es ist jetzt der Zweifel über die Verfassungsmäßigkeit dessen, was wir im Deutschen Bundestag beschlossen haben, ausgeräumt, und insofern haben wir jetzt Klarheit und brauchen uns nicht mehr dem Vorwurf auszusetzen, wir würden hier gegen das deutsche Grundgesetz handeln. Gleichzeitig haben wir Rückendeckung bekommen für unsere liberale Position, die sagt, die Grenze ist erreicht, wenn von den Märkten verlangt wird, dass wir unsere parlamentarischen Kontrollrechte zurückstellen und der Eilbedürftigkeit der Finanzmarktentscheidungen unterordnen. Ich habe immer gesagt, die sorgfältige Beratung im Deutschen Bundestag ist wichtiger als die Öffnung irgendeiner Börse und die parlamentarische Demokratie hat einen höheren Stellenwert als jedes Bedürfnis der Finanzmärkte, und auch das ist in dem Urteil bestätigt worden.

    Dobovisek: Sorgfältige Entscheidungsprozesse, sie dauern allerdings, dauern mitunter Wochen, Monate, wenn nicht sogar Jahre, wenn es um wirklich großartige Entscheidungen geht. Ist das vielleicht zu lange, um so etwas wie den Euro zu retten?

    Wissing: Fest steht, dass die Finanzmärkte immer ganz schnelle Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Hinterzimmer haben wollen, meistens sonntagsnachts vor Öffnung der Tokyoter Börse. Das ist in der Regel die Situation, in der wir in solchen Notlagen uns befinden. Die parlamentarische Demokratie setzt aber eine hoheitliche Entscheidung des Deutschen Bundestages und nur des Deutschen Bundestages voraus, und eine solche Entscheidung bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung und einer ausreichend fachlichen Beratung. Und da gibt es natürlich Möglichkeiten zu sagen, wir beschleunigen die Beratungen im Bundestag, es gibt auch die Möglichkeit zu sagen, wir übertragen bestimmte parlamentarische Aufgaben auf geheimhaltungsbedürftige parlamentarische Gremien, die mit Abgeordneten besetzt sind. Es gibt aber nicht die Möglichkeit - und das würden die Finanzmärkte gerne haben -, dass wir unsere parlamentarischen Haushaltshoheitsrechte auf die Regierung übertragen und die Märkte dann mit den Regierungen im Hinterzimmer verhandeln können. Das geht nicht, und da, sagt das Bundesverfassungsgericht ganz klar, liegt auch die FDP richtig mit ihrer Forderung, das Haushaltsrecht beim Parlament zu belassen und immer, wenn es um haushaltsrelevante Entscheidungen geht, vorher die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.

    Dobovisek: Schränkt das gleichzeitig den Handlungsspielraum der Regierung ein?

    Wissing: Selbstverständlich, denn die Regierungen verhandeln auf europäischer Ebene über Gelder, die ihnen nach der Verfassungsordnung in Deutschland nicht zustehen. Die Gelder liegen in der Hand des Parlaments und nicht in der Hand der Regierung, und da ist die verfassungsmäßige Ordnung aus gutem Grund so, dass das Parlament das Budget-Hoheitsrecht hat, denn wir sind als Abgeordnete unmittelbar vom Volk gewählt, und an dieser verfassungsmäßigen Ordnung kommen wir nicht und wollen wir nicht vorbei und diese Ordnung wird auch nicht den Bedürfnissen der Märkte untergeordnet. Das hat das Verfassungsgericht ganz deutlich gemacht und das stärkt den Deutschen Bundestag, weil wir mit unseren Forderungen gegenüber der Regierung bestätigt worden sind.

    Dobovisek: Und schwächt aber gleichzeitig die Handlungsposition Angela Merkels, wenn sie als Bundeskanzlerin zum Rat nach Brüssel reist und nicht die Kanzlermehrheit hinter sich weiß?

    Wissing: Es gibt kein wichtigeres und höheres Ziel für eine deutsche Bundeskanzlerin, als die verfassungsmäßige Ordnung des eigenen Landes zu respektieren und zu verteidigen.

    Dobovisek: Wie geht es dann aber mit dem Euro weiter, wenn doch tatsächlich Stimmen aus der Kanzlermehrheit fehlen, um für das nächste Rettungspaket zu stimmen?

    Wissing: Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in den Bundestagsfraktionen eine eigene Mehrheit haben werden für die notwendigen Maßnahmen auf europäischer Ebene, und ich glaube, dass viele Kollegen, die auch rechtliche Zweifel hatten, jetzt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bestärkt werden, den Rettungsmaßnahmen zuzustimmen. Entscheidend ist ja, dass wir bisher beispielsweise Anleiheaufkäufe am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank haben, die sind parlamentarisch nicht kontrolliert, dort gilt das Mehrheitsprinzip. Künftig werden solche Aktivitäten parlamentarisch kontrolliert und es gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Das heißt, wir bewegen uns hin zu mehr Stabilität, zu mehr parlamentarischer Kontrolle und damit auch zu mehr Sicherheit aus der Sicht des deutschen Bürgers.

    Dobovisek: Mehr Sicherheit, sagen Sie. Es heißt aber auch klar, so ist jedenfalls die Deutung jetzt dieses Urteils, dass es Einzelentscheidungen für jedes einzelne Paket in Zukunft geben könnte. Das heißt, es könnte auch jedes Mal neue Klagen geben. Das ist ein Prozess, den können wir jetzt schwer überblicken. Ist das wirklich das, was Sie wollen, um den Euro zu retten?

    Wissing: Wir wollen eine Stabilisierung des Euro und sind auch bereit, uns als Parlament der größten Volkswirtschaft in der Euro-Zone dieser Verantwortung zu stellen. Wir sind aber nicht bereit, unsere Hoheitsrechte als Parlament dafür aufzugeben oder in Frage zu stellen, und die Bedürfnisse der Finanzmärkte, um es noch mal deutlich zu sagen, haben keinen, aber auch nicht ansatzweise irgendeinen höheren Stellenwert als die Vorgaben des deutschen Grundgesetzes, und das ist in diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes klar gemacht worden. Und wer mit uns eine Euro-Stabilisierung erreichen möchte, kann dies nur auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung schaffen. Dazu sind wir bereit, aber nicht auf der Grundlage der Regeln der Märkte.

    Dobovisek: In Ihrer Koalition, Herr Wissing, mehren sich die Rufe nach einem Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone. Mal davon abgesehen, dass einem Land aufgrund der gültigen Verträge der Euro nicht einfach so weggenommen werden kann: Bedarf es dennoch eines harten Schnitts in der Euro-Krise?

    Wissing: Also ich glaube, alle, die einen Ausschluss Griechenlands aus der Währungsunion fordern, sollten noch einmal vertieft darüber nachdenken, was sie da vorschlagen. Zum einen ist es rechtlich nicht möglich und zum anderen sehe ich nicht, was das für ein Gewinn wäre. Wir haben gegenwärtig die Situation, dass wir hohe Zinsaufschläge haben, weil die Märkte ein sehr hohes Bonitätsrisiko der einzelnen Mitgliedsstaaten erkennen. Wenn jetzt einzelne Staaten aus dieser Währungsgemeinschaft austreten, dann tritt zu diesem Bonitätsrisiko auch noch ein Währungsrisiko hinzu. Das heißt, die Krise würde sich für alle, für alle, auch die restlichen Euro-Staaten, verschlimmern. Und nun kann doch niemand ernsthaft einen Vorschlag unterbreiten, der in dieser schwierigen Situation zur unmittelbaren Eskalation führen kann, und deswegen: Was rechtlich schon nicht möglich ist und auch ökonomisch nicht zu Ende gedacht ist, kann nicht die Lösung der Zukunft sein. Gleichwohl gilt: Wir haben Hilfen nur zugesagt unter der Voraussetzung, dass strenge Auflagen erfüllt werden, und wenn Griechenland in der jetzigen Situation die Auflagen - und das ist ja nach dem Troika-Bericht gegenwärtig mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall - nicht erfüllt, dann gilt nach der Rechtslage, weitere Zahlungen sind ausgeschlossen. Auch das hat der Bundestag als Sicherheit eingebaut. Wir haben immer gesagt, wenn die Auflagen nicht erfüllt werden, dann ist eine Hilfe gescheitert, und auch dazu stehen wir. Aber jetzt den Rauswurf Griechenlands zu fordern und zu glauben, man könne mit einer solchen Idee irgendeinen konstruktiven Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten, das halte ich schon für sehr gewagt.

    Dobovisek: Der liberale Finanzpolitiker Volker Wissing im Interview mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wissing.

    Wissing: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.