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Mehr Praxis erwünscht

Die Haltung der Arbeitgeber und der Unternehmen sei "insgesamt sehr positiv gegenüber dem Bachelor", glaubt Irene Selig von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Mehr Praxis- und Auslandserfahrung sollte es jedoch geben.

Irene Selig im Gespräch mit Sandra Pfister | 08.08.2012
    Sandra Pfister: Ja, viele Großunternehmen gehen offenbar schon souverän mit den neuen Absolventen um. Andererseits gibt es noch durchaus viele Personaler, die immer noch nicht wissen, wie sie diese 21-, 22-jährigen Hochschulabsolventen einschätzen sollen. Irene Seling, Sie sind die Fachfrau für Hochschulpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Drei von vier Bachelor-Absolventen trauen ihrem eigenen Abschluss noch nicht so recht, sie entscheiden sich, wo immer sie können, für ein aufbauendes Master-Studium. Das tun sie vor allem, weil sie ihre Berufschancen verbessern wollen, und das kommt ja nicht von ungefähr. In den vergangenen Jahren haben viele Arbeitgeber lauthals geklagt, dass ihnen die jungen Bachelor viel zu jung seien und zu unqualifiziert. Hat sich das geändert?

    Irene Seling: Das hat sich deutlich geändert, durch viel Informationsarbeit der Verbände, der Arbeitgeberverbände und der Wirtschaftsverbände. Ich glaube, dass die Position, die Haltung der Arbeitgeber und der Unternehmen insgesamt sehr positiv ist gegenüber dem Bachelor, und das ist auch das, was wir aus den Unternehmen und Verbänden gespiegelt bekommen. Für uns deutlich positiv ist, dass die Bachelor- und Master-Studiengänge in dem Sinne neu strukturiert wurden und jetzt viel stärker die Kompetenzorientierung und die größere Praxisnähe im Vordergrund stehen soll und vielfach auch Gott sei Dank im Vordergrund steht. Aber da gibt es auch Einschränkungen. Wir wünschen uns in vielen Studiengängen deutlich mehr Praxisorientierung, ein Praxissemester, idealerweise eine Phase von drei bis sechs Monaten im Unternehmen, um die jungen Menschen für ihren späteren Berufseinstieg, für den Einstieg in den Arbeitsmarkt vorzubereiten.

    Pfister: Das würde natürlich die Studiengänge wieder verlängern …

    Seling: Das würde sie verlängern um ein Semester, in der Tat, das ist so. Aber wir sehen immer oder die Unternehmen sehen immer das Gesamtprofil des Bewerbers und da kommt es nicht unbedingt auf ein Semester plus minus an, sondern auf das Gesamtprofil. Und wenn sich dann eben eine Praxisphase in dieses Gesamtprofil sehr gut einbettet, dann ist das ein deutlicher Vorteil. Das Gleiche gilt auch für einen Auslandsaufenthalt von Bachelor-Absolventen, für den wir auch werben, und nicht erst ein Auslandsaufenthalt während des Masters, weil wir uns eben wünschen, dass die Bachelor-Absolventen mit diesem Bachelor-Abschluss in den Arbeitsmarkt einsteigen, dann einige Jahre berufstätig sind und gezielt und sehr passgenau dann ein Master-Programm auswählen und dieses studieren.

    Pfister: Das wünschen Sie sich, das war ja auch immer die große Verheißung, dass da viele Bachelor nach ein paar Jahren noch mal rausgehen können an die Uni, um sich noch fitter zu machen in ihrem Fachbereich. Sind da die Arbeitgeber nicht noch mehr in der Pflicht, das auch mitzutragen? Das passiert ja im Moment kaum.

    Seling: Ich glaube, dass es viele Arbeitgeber mittragen. Und die Zahl derer, die diese Masterprogramme aufseiten des Unternehmens unterstützen und ihre Mitarbeiter motivieren, in ein solches Programm einzusteigen, ist deutlich gestiegen in der Vergangenheit. Wo es aber fehlt, das ist im Bereich der Angebote an den Hochschulen. Es gibt noch viel zu wenig Weiterbildungsangebote an den Hochschulen. Und da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass viele Bachelor-Absolventen sozusagen auf Nummer Sicher gehen und gleich den Master, den konsekutiven Master an den Bachelor anschließen.

    Pfister: Dass viele [auf] diesen Bachelor direkt draufsatteln, das liegt aber auch daran, dass sie beim Einstiegsgehalt Abstriche machen müssen, wenn sie nur mit dem Bachelor ankommen. 20 bis 25 Prozent kriegen sie weniger, sagt eine Studie des Hochschulinformationssystems. Wann beginnen denn die Gehälter, sich der angeblichen Wertschätzung anzupassen?

    Seling: Ich glaube, dass es erstens zu unterstreichen ist, dass es sich um ein Einstiegsgehalt handelt. Die Frage ist, wie sich das Gehalt weiterentwickelt, und da stehen Bachelor-Absolventen genau so wie den vorherigen oder den traditionellen Diplomabsolventen alle beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen offen. Bachelor-Absolventen stoßen nicht an eine gläserne Decke.

    Pfister: Aber es dauert eben länger, bis sie oben sind, wenn sie sehr viel niedriger einsteigen …

    Seling: … ja, sie steigen natürlich auch deutlich jünger ein. Das Durchschnittsalter der Absolventen hat sich deutlich gesenkt und dann ist auch mit einem etwas geringeren Einstiegsgehalt durchaus da erfolgreich zu reüssieren.

    Pfister: Ich habe darauf eingangs abgehoben: In Firmenumfragen heißt es ja regelmäßig, die Kandidaten, die mit dem Bachelor kommen, die sind durch die Bank schlechter qualifiziert als früher. Stimmt es denn, dass viele Großunternehmen im ganz großen Stil nachqualifizieren, dass die sich darauf gezielt schon eingestellt haben?

    Seling: Also, es gab immer schon Trainee-Programme für Diplomabsolventen, Einstiegsprogramme in den Unternehmen. Es gibt genau so heute Einstiegsprogramme für Bachelor- und Masterabsolventen. Das, was bisher an den Diplomabsolventen kritisiert wurde, wird auch von Unternehmen häufig bei den Bachelor-Absolventen kritisiert, dass eben, was ich eingangs sagte, eine fehlende Praxisorientierung und auch ein fehlender oder nicht vorhanden… nicht in breiter Front Vorhandensein von sozialen Kompetenzen, von Schlüsselkompetenzen. Also, die Fachkenntnisse sind da, die Methodenkenntnisse sind da, aber die Schlüsselkompetenzen sind noch relativ stark ausbaufähig bei vielen Absolventen.

    Pfister: Was Sie sagen, die Unterschiede zwischen Bachelor-Absolventen und den früheren Diplomanden, die waren gar nicht oder sind gar nicht so groß, das kann ja jetzt viele auch beruhigen. Beruhigen allerdings nur, wenn sie in Großkonzerne einsteigen wollen! Ich glaube, die richtigen Probleme hat der Mittelstand, oder?

    Seling: Es gibt sicherlich beim Mittelstand noch Informationsbedarf und wir müssen da weiter offensiv für den Bachelor werben vonseiten der BDA und anderer Verbände. Es ist eben auch so, dass in mittelständischen Unternehmen die Zahl der Akademiker, die eingestellt werden, nicht sehr groß ist. Und insofern müssen mittelständische Unternehmen da erst noch ihre Erfahrungen machen. Wir hören aber auch aus kleineren Unternehmen, dass sie durchaus positiv sind.

    Pfister: Der Bachelor kommt in der Wirtschaft besser an, als viele Absolventen glauben! Irene Seling war das, Referentin für Hochschulpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.