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Mehr Privatsphäre und Vertrauen im Internet

Welche Daten werden über jeden Einzelnen von uns im Netz gespeichert und eventuell weitergegeben? Die Angst vor dem gläsernen Nutzer geht um. Wie real diese ist, darüber haben sich am Wochenende Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Disziplinen ausgetauscht. Ihr Ziel: mehr Privatheit und Vertrauen im Netz.

Von Ingeborg Breuer | 29.03.2012
    " Privatsphäre und Internet wird dann zum Problem, wenn die Marketingmethoden so aufgeteilt sind, dass man den Nutzern Wünsche von den Lippen ablesen kann, von denen sie nicht mal selbst wussten, dass sie sie hatten."

    Carsten Ochs, Soziologe an der Universität Darmstadt über die Gefährdung der Privatsphäre im Internet. Die Darmstädter Soziologin Prof. Martina Löw fügt veranschaulichend hinzu:

    "Ich war kürzlich zum Forschungsaufenthalt in Schweden und ich war noch keine drei Tage da und hatte mich über das Netz der Uni eingewählt, schon bekam ich Tipps für Reiseführer in Schweden. Schwedische Städte besuchen, das ist diese Art von "Wünsche von den Lippen ablesen", von denen man früher gar nicht wusste, dass man sie haben könnte."

    In Zeiten des World Wide Web ist der gläserne Mensch – fast - Wirklichkeit geworden. Da lässt jeder Klick beim Surfen Rückschlüsse auf den Nutzer zu. Da ortet das Smartphone den aktuellen Standort seines Besitzers, um ihm Restaurants in der Umgebung vorzuschlagen. Da recherchiert der Arbeitgeber bei Facebook, welche Hobbys der neue Mitarbeiter hat.

    Zudem vergisst das Internet nicht. Einmal ins Netz gestellt, sind private Daten – Fotos, persönliche Vorlieben, manchmal auch Peinliches - kaum mehr zu löschen. Das Erstaunliche allerdings – die Menschen geben ihre Daten ja freiwillig preis. Sind aber zugleich beunruhigt; wie Martina Löw untersucht hat.

    "Was wir zeigen können, dass es wirklich erstaunlich ist, wie weit verbreitet die Befürchtung durch alle Gruppen hindurch ist, dass Daten missbraucht werden können. Das ist wirklich eine Sorge in der Gesellschaft, auch bei den ganz Jungen, auch bei denen, die mit Internet schon aufgewachsen sind."

    Viele dieser Sorgen sind allerdings diffus, so Professor Johannes Buchmann, Informatiker an der Universität Darmstadt und Leiter des Forschungsprojekts "Internet Privacy". Was ist schlimm daran, wenn Daten gesammelt werden? Wenn Onlineportale gezielt Kaufvorschläge machen?

    "Wir müssen in dem Projekt auch ein bisschen genauer identifizieren, wo wir denn wirklich Risiken vermuten oder wo es ne reine Befürchtung ist. Die Sache jetzt mit dem Reiseführer ist ja ganz einfach, also früher haben die Leute Kinder gekriegt und gleich danach haben sie dann so ne Packung nach Hause geschickt gekriegt. Also der Umstand, dass Deutsche in Schweden ist, ist ja Anlass genug, dir nen schwedischen Reiseführer zu empfehlen, das hat noch nicht so viel mit Privatsphäre zu tun. Und die Vermutung, dass man dann manipuliert würde, gut, man weiß es nicht, aber im Augenblick gibt es dafür noch nicht viele plausible Hinweise."

    Klar ist jedenfalls, dass die Nutzung von Internetdiensten zunehmend mit der Preisgabe der eigenen Daten gekoppelt ist. Zwar gilt in Deutschland das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht also, selbst über die Veröffentlichung der eigenen personenbezogenen Daten zu bestimmen. Doch ist eine Firma im Ausland ansässig, gelten die deutschen Datenschutzgesetze für sie nicht. Und den meisten Nutzern ist zu aufwendig, sich durch seitenlange Geschäftsbedingungen zu kämpfen, um zu erfahren, was mit den persönlichen Daten geschieht. Sie setzen stattdessen ihr Einwilligungshäkchen unter einen Vertrag, den sie gar nicht kennen. Zwar versucht man derzeit in Europa, den Datenschutz zu überarbeiten und zu vereinheitlichen; doch, so Philipp Richter, Jurist an der Universität Kassel, mit durchaus offenem Ausgang:

    "In dem Entwurf wird die Rechtslage in Europa vereinheitlicht. Es wird im Augenblick darüber gestritten, ob dies aus deutscher Sicht auf hohem Niveau erfolgt, da gibt es Licht und Schatten in der EU-Verordnung. Zum technischen Datenschutz bleibt die EU-Verordnung vage. Das Problem ist, dass der technische Datenschutz im augenblicklichen Entwurf nicht auf Herstellerebene ansetzt, sondern erst auf Anwenderebene. Und das ist viel zu spät, denn wenn Technik einmal gestaltet ist, können die Anwender nur noch im Rahmen dieser gestalteten Technik überhaupt reagieren."

    Gesetze allein, darin sind sich die Projektmitglieder einig, werden in Zukunft immer weniger reichen, Privatsphäre im Netz zuverlässig zu schützen. Es bedürfe deshalb, so ja auch der Titel des Projekts, "einer Kultur der Privatsphäre und des Vertrauens im Internet". Was aber könnte das sein? Der Medienphilosoph Prof. Rafael Capurro schlägt angesichts der immer stärkeren Verschmelzung von digitaler und physischer Welt eine Informationsethik vor, eine "Ethik des Internets", in der neue Regeln für Begegnungen im digitalen Raum aufgestellt werden.

    "Also, dann ist klar, dass durch diese Revolution, die das Internet gebracht hat, neue Regeln notwendig sind, es reicht nicht wie früher, bitte keine Werbung im Postfach. Also wir brauchen sozusagen eine neue Form des Marketings, Regeln für eine neue respektvolle Form des Marketings, was natürlich eigentlich fast ein Widerspruch in sich ist, weil Marketing oder Respekt aber nicht beides. Früher nannte man das Manieren und das Problem ist, dass wir für das Internet noch keine Manieren entwickelt haben."

    Auch Martina Löw kann der Forderung nach Manieren für die digitale Welt etwas abgewinnen. Und veranschaulichte dies damit, dass etwa bei den Holländern aufgrund ihrer calvinistischen Tradition Vorhänge zwar verpönt seien. Dies aber dennoch nicht dazu führe, dass jeder in ihre Wohnzimmer schaue. Die Privatsphäre werde dennoch gewahrt.

    "Also dieser Moment, dass es Regeln gibt, dass man bestimmte Dinge nicht tut, dass man nicht hinguckt und Informationen auf ne bestimmte Art und Weise nicht weitergibt, das ist ne gesamtgesellschaftliche Bewegung. Und da stehen wir ganz am Anfang."

    Kann man aber von Facebook oder Google Manieren erwarten? Wohl kaum, leben diese Unternehmen doch gerade davon, aus ihren Kundendaten Geld zu machen. Und je gläserner der Kunde, desto mehr klingeln ihre Kassen. Eher schon entwickeln Facebooknutzer vielleicht allmählich Manieren, lernen, wie man mit eigenen und fremden – privaten - Daten umgeht. Insofern erfordert eine Vertrauenskultur eben doch neben einer neuen Moral auch rechtliche und technische Vorgaben, so sehr diese möglicherweise auch wieder unterlaufen werden. Und natürlich eine Diskussion darüber, was Privatsphäre im digitalen Zeitalter noch bedeuten kann. Johannes Buchmann ist jedenfalls optimistisch, dass auf Dauer die Vorteile der digitalen Revolution überwiegen werden.

    "Was meinen wir mit Kultur, wir meinen damit einerseits Regeln, die gesetzlich existieren. Aber auch Regeln in den Köpfen der Menschen, an die sie sich halten, um das Internet zu nutzen. Das hat was mit Kompetenz zu tun, das hat was mit Ethik zu tun. Medienentwicklungen haben immer dramatische Folgen gehabt. Der Buchdruck hatte wahrscheinlich drastischere Folgen als das Internet, da durch den Buchdruck sich der Protestantismus, dadurch die Religionskriege in schrecklichster Ausführung sich entwickelten. Aber dann waren die Menschen klug genug, da bin ich Optimist, Kulturen zu entwickeln, die das Positive darin unterstützten."