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Mehr Staat im Klassenzimmer

Der dänischen Schule - ihr stehen stürmische Zeiten bevor. Und das, obwohl ihr auch von europäischen Experten immer wieder bescheinigt wird, dass sie sozial-kompetente und teamfähige Schüler hervorbringt. Ministerpräsident Rasmussen hat angekündigt, die dänischen Schulen strengeren Vorgaben unterwerfen zu wollen.

Von Marc-Chrsistoph Wagner | 07.12.2010
    Große Pause am Ørestad Gymnasium. Die Schule ist bekannt für ihre offene Architektur. Ein Großteil des Unterrichts findet nicht in geschlossenen Klassenräumen, sondern auf offenen Flächen statt, auf denen mehrere Klassen nebeneinandersitzen. Den Schülern gefällt's:

    "Diese Schule hier ist im wahrsten Sinne des Wortes sehr offen – jedermann hat seinen Platz und alle können sich verwirklichen."

    Unterrichten im offenen Raum und ohne Trennwände? Ja, sagt Lehrer Orla Duedahl, am Anfang sei das schwierig gewesen. Aber:

    "Im Laufe der Jahre ist es uns gelungen, eine Kultur des gegenseitigen Respekts zu etablieren. Man nimmt Rücksicht aufeinander und wenn ich einer Klasse sage, jetzt müsst ihr ruhig sein, dann tut sie das auch."

    Das Ørestad Gymnasium ist eine jener dänischen Schulen, die versucht, neue Unterrichtswege zu gehen. Ein Experiment, gewiss. Und ein Experiment, das sich mit den Pisa-Kriterien nicht unbedingt messen lässt, weil die Schule nicht angelerntes Wissen, sondern soziale Kompetenzen fördert. Und dennoch, so berichtet Schulleiter Allan Kjær Andersen, gehörten seine Schüler inzwischen zu den gefragtesten des Landes:

    "Wir arbeiten mit Bildung auf eine andere Art und Weise, denn diese wird nicht alleine durch den Lehrer vermittelt. Wir planen den Unterricht so, dass die Schüler gezwungen werden, sich den Stoff selbst zu erarbeiten, zum Kern einer Problemstellung vorzudringen. Meines Erachtens ist das ein sehr wesentlicher Aspekt der modernen Bildung."

    Doch geht es nach der bürgerlichen Regierung Dänemarks soll sich dies künftig ändern. Erst vor zwei Monaten kündigte Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen an, die dänischen Schulen fortan strengeren Vorgaben zu unterwerfen.

    "Wir schaffen Wachstum, indem wir tüchtiger werden. Gewiss, Dänemark hat eine gute Schule, die sich in den letzten Jahren verbessert hat. Heute lesen die Schüler genauso gut in der dritten Klasse, wie früher in der vierten. Und die Kinder der vierten Klasse sind heute genauso gut in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern, wie zuvor in der fünften. Doch wir müssen uns weiter verbessern. Wir haben mit die teuerste Schule der Welt, und dies muss dann auch in einer der besten Schulen weltweit resultieren."

    Und Rasmussen machte zugleich konkrete Vorschläge. Künftig müssten alle Schüler bereits am Ende der zweiten Klasse lesen können; die Lehrerausbildung müsse reformiert; die Unterrichtsfreiheit des einzelnen Lehrers durch konkrete Vorgaben ersetzt werden. Und schon die jüngsten Schüler sollen die Ambitionen ihres Ministerpräsidenten nun zu spüren bekommen:

    "Die Kleinsten müssen einen Schultag haben von 8 bis 14 Uhr – einen sechsstündigen Tag mit Unterricht, Sport, Kreativität und Hausaufgaben. Ein solcher Schultag wird das Fundament sein, auf dem eine bessere Schule entsteht."

    Und auch mit einem anderen Tabu möchte der Ministerpräsident brechen. Nämlich den Klassenverband von der 1. bis zur 9. Klassen zu bewahren. Stattdessen sollen starke Schüler gefördert sowie schlechte Schüler betreut werden. Eine Differenzierung, die den sozialen Leitgedanken des dänischen Bildungswesens ins Herz trifft und deswegen auch von Experten wie Niels Egelund, Professor an Dänemarks Pädagogischer Universität, scharf kritisiert wird:

    "Die Konsequenz für die schlechten Schüler wäre, dass sie noch schwächer werden, während die starken Schüler sich nicht verbessern. Wenn man jedoch den Klassenverband erhält, dann profitieren alle – das zeigen sämtliche Untersuchungen."

    Der dänischen Schule – ihr also stehen stürmische Zeiten bevor. Und das, obwohl ihr auch von europäischen Experten immer wieder bescheinigt wird, dass sie sozial-kompetente und teamfähige Schüler hervorbringt, die zu den wettbewerbsfähigsten Europas gehören. Normen allerdings, die die Pisa-Studie nicht erfasst, was, so Bildungsexperte Jens Dolin, die heimischen Politiker immer wieder übersehen:

    "Pisa misst bestimmte Dinge, die sich mit Papier und Bleistift messen lassen, andere Dinge aber misst die Studie nicht – zum Beispiel das Vermögen der Schüler, miteinander zu kooperieren, ihre Kreativität, auch nicht ihre sprachliche Kompetenz. Auf diesem Auge ist Pisa blind."