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Mehrzahl des Episkopats waren "Mitläufer"

Die meisten argentinischen Geistlichen waren in Zeiten der Militärdiktatur Mitläufer, sagt Klaus Bodemer, ehemaliger Direktor des GIGA-Instituts für Lateinamerika. Für den Vorwurf, der neue Papst Franziskus habe mit der Junta kollaboriert, gebe es aber keine Beweise.

Klaus Bodemer im Gespräch mit Jürgen Liminski | 15.03.2013
    Bettina Klein: Kaum war der Name des neuen Papstes bekannt, da tauchten auch schon die ersten Fragen nach dem Verhalten des argentinischen Jesuiten während der Zeit der Militärjunta auf. Hat er andere verraten, oder gar ausgeliefert, oder hat er im Gegenteil versucht, Menschen zu schützen? Das Thema hat einen Vorlauf in Argentinien, es gibt keine wirklichen Beweise, aber auch nun wieder Zeitzeugen, die sich äußern.
    Professor Klaus Bodemer war Direktor des Institutes für Lateinamerika-Studien in Hamburg, und mit ihm hat mein Kollege Jürgen Liminski gestern am späten Abend gesprochen über dieses Thema und ihn zunächst gefragt, ob man dem neuen Papst tatsächlich in dieser Zeit Kollaboration vorwerfen könne.

    Klaus Bodemer: Das ist ein sehr harter Vorwurf und ich glaube, man muss da sehr vorsichtig sein. Ich würde da nicht spekulieren. Es gibt keine Beweise dafür. Es ist sicher klar, dass er nicht im Widerstand war, das kann man aber auch nicht erwarten. Es gibt immerhin eine doch gewichtige Stimme, nämlich der Friedenspreisträger Esquivel hatte gesagt, das seien keine dunklen Flecken.

    Jürgen Liminski: Hätte er denn offener auftreten und zum Widerstand aufrufen sollen? War das damals überhaupt denkbar?

    Bodemer: Ich glaube, was man als gesichert doch annehmen kann, dass die Mehrzahl des Episkopats zur Zeit der Militärdiktatur vielleicht nicht Kollaborateure waren, aber doch zumindest Mitläufer. Es gab aber auch natürlich andere Stimmen, es gab auch Priester, die verschwunden sind, die gefoltert wurden, aber ein Großteil, die Mehrheit hat wohl doch stillschweigend das Militärregime geduldet, und die wenigen Stimmen, die ihre Stimme erhoben haben, die kann man eigentlich an einer Hand abzählen.

    Liminski: Der jetzige Papst gehörte ja damals nicht zum Episkopat in Argentinien.

    Bodemer: Ja, das ist richtig.

    Liminski: Es wird vermutlich auch nicht lange dauern, bis Parallelen zu Pius XII. gezogen werden, dessen Bild in Deutschland unter dem Schatten Hochhuths steht, das die Wissenschaft aber längst korrigiert hat. Pius XII. hat Hunderttausende Juden gerettet, wie man heute weiß. Hat Papst Franziskus als Geistlicher damals ähnlich gehandelt?

    Bodemer: Das kann man nicht sagen. Es ist auch sehr schwierig, die Situation zu vergleichen. Es gab ja kein etwas vergleichbares der Judenverfolgung. Es gab zwar die 30.000 Verschwundenen. Spannender ist die Frage, wie hat sich das Episkopat verhalten nach der Demokratisierung, das heißt also nach den Jahren 1984 folgende. Und da muss man vielleicht sagen, da hätte man sich eine klare Stellungnahme gewünscht. Es gab einige spektakuläre Fälle, der bekannteste ist 2007 die Verhaftung eines Priesters, übrigens deutschstämmig, Christian von Wernich, der wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er an Folterungen und an der Ermordung von Oppositionellen teilgenommen hat. Und die Reaktion damals der Kirche, des Episkopats, war ausgesprochen wachsweich.

    Liminski: War der jetzige Papst damals schon im Episkopat und in führender Stellung?

    Bodemer: Das stimmt, er war damals schon Bischof – das war 2007 – von Buenos Aires.

    Liminski: Ist Kardinal Jorge Mario Bergoglio populär in Argentinien?

    Bodemer: Ich glaube, das kann man sagen. Ich meine, man muss bedenken: Von der argentinischen Bevölkerung sind etwa 90 Prozent Katholiken. Aber Argentinien hat eine politische Kultur, die sehr stark republikanisch geprägt ist. Also man darf jetzt nicht von den 90 Prozent auf gläubige Katholiken schließen. Aber trotzdem: Unterschwellig ist natürlich – das sieht man jetzt auch an dem Stolz, dass ein Argentinier Papst wurde – er doch vorhanden und er war durchaus populär, weil er im Unterschied zu dem Pomp mancher anderer Bischöfe sich sehr volksnah gegeben hat. Es ist also bekannt, dass er zum Beispiel mit dem Bus in seinen Amtssitz fuhr und dass er sehr bescheiden gelebt hat, auch gewohnt hat in einem Viertel, das eher kleinbürgerlich ist, nämlich in Flores in Buenos Aires. Das sind so kleine Gesten, die ihn sehr populär gemacht haben. Und er hat das Thema Armut ja immer – und es ist ja auch kein Zufall, dass er sich jetzt Franziskus nennt – ganz stark in den Vordergrund gestellt.

    Liminski: Wie ist denn die Stellung der Kirche im Land der Peróns und Kirchners heute? Es fiel auf, dass die Präsidentin, die doch sonst eher kritisch mit der Kirche umgeht, ihm die Unterstützung der Politik angeboten hat.

    Bodemer: Ja das ist natürlich, wenn man so will, ein symbolischer Erfolg, und die Präsidentin ist natürlich clever genug, dass sie das auch entsprechend ausschlachtet. Man darf aber nicht vergessen, dass es in letzter Zeit mehrfach kritische Stimmen gegeben hat. Es gab ein Grundsatzpapier des Episkopats vor etwa einem halben Jahr, das von der Regierung nicht beantwortet wurde. Es wurde nicht nur nicht beantwortet, sondern der Vizepräsident hat auch gemeint, es würde keinen Mensch interessieren, wenn die Kirche die Regierung kritisiert. Und zwar wurde vor allem auf drei Dinge abgehoben: auf die endemische Korruption, auf die zunehmende Armut und auf das etwas caudillohafte Verhalten, also auch die Aushebelung der Gewaltenteilung durch die Präsidentin. Die Antwort war: keine Antwort vonseiten der Regierung. Und er hat sich natürlich auch sehr kritisch geäußert zu Fragen, die natürlich seine konservative Position unterstreichen, also das Thema Schwulenehe, Abtreibung nach Vergewaltigung. Das sind ja zwei Gesetze, die in Argentinien durch den Kongress gingen – übrigens das einzige Land, das das bisher in Lateinamerika gemacht hat -, und da hat er sehr deutlich sich dagegen positioniert.

    Klein: Professor Klaus Bodemer im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Liminski.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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