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Meilenstein der Frauenbewegung

Bildung für alle, auch für Frauen! Mit dieser Forderung sorgte der Frauenverein Reform vor 125 Jahren für Aufsehen. Mädchen und Frauen durften damals weder ein Gymnasium noch eine Universität besuchen. Der Verein kämpfte jahrelang für die Einrichtung von Mädchenschulen - und gewann.

Von Ulrike Rückert | 30.03.2013
    "Der Frauenverein Reform beschränkt seinen Zweck darauf, für die Erschließung der auf wissenschaftlichen Studien beruhenden Berufe für das weibliche Geschlecht zu wirken: und zwar vertritt der Verein die Ansicht, daß die Frau gleich dem Manne zum Studium aller Wissenschaften Zutritt haben soll, nicht aber auf vereinzelte derselben beschränkt werden darf!"

    Am 30. März 1888 gründete Hedwig Kettler in Weimar den deutschen Frauenverein Reform. Seine Forderung fand die Öffentlichkeit…

    "…schräg. Das kam ausgesprochen schräg an. Also die galten wirklich als die Radikalen,"

    so die Bildungshistorikerin Elke Kleinau. Schon in vielen Ländern, von Italien bis Norwegen, konnten Frauen studieren, doch die Tore der deutschen Universitäten wurden um so fester verbarrikadiert. Noch 1886 verbot Preußen per Gesetz, Frauen auch nur als Gasthörerinnen zuzulassen.

    "Koedukation wurde gänzlich abgelehnt, also da schrie man Zeter und Mordio, dass das doch die Sittlichkeit, also der Jungen und Mädchen, aufs Höchste gefährden würde. Das ganze niedere Schulwesen war natürlich geschlechtergemischt, und da hat sich kein Mensch um Sittlichkeit geschert."

    Höhere Töchter lernten an privaten Schulen Sprachen, Musik und etwas Geschichte, damit, wie eine Konferenz von Mädchenschullehrern verkündete ...

    "... der deutsche Mann nicht durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herde gelangweilt werde."

    Für die bürgerliche Frauenbewegung sprach die Lehrerin Helene Lange:

    "Denn unerschüttert steht eins auch in der neuen Zeit: der Gedanke, dass der höchste Beruf der Frau der Mutterberuf ist."

    Diese natürliche Bestimmung befähige sie aber durchaus zu Berufen wie Lehrerin und Ärztin, und dafür solle sie studieren dürfen. Weiter gingen ihre Forderungen nicht.

    Elke Kleinau:
    "Wenn man sich schon nur die Polemiken anguckt, die gegen Helene Lange gefahren wurden, die aus unserer heutigen Sicht ja nun wirklich sehr gemäßigt agiert hat, dann kann man sich vorstellen, also dass das Konzept der Radikalen also auf völlige Ablehnung gestoßen ist."

    "Es gehört wenig Scharfblick dazu, den Geist übermütiger Herrschsucht und rücksichtlosen Eigennutzes zu erkennen. Frau Kettler und ihre Genossinnen sind angesteckt von dem krankhaften Gelüst unsrer Zeit, sich nicht fügen zu wollen."

    ... zeterte die viel gelesene Zeitschrift "Die Grenzboten". Doch für Hedwig Kettler war Bildung ein Menschenrecht.

    "Wir glauben, daß kein Mensch das Recht hat, seinem Nebenmenschen, auch wenn dieser eine Frau ist, vorzuschreiben: Bis hierher entwickelst du dich, aber um keine Linie weiter; bis hierher denkst du, aber um keinen Gedanken weiter! - Und wir glauben, daß kein Mensch das Recht hat, seinem Nebenmenschen, auch wenn dieser eine Frau ist, aus Prinzip das größte Glück des Lebens zu rauben: befriedigende Arbeit in einem selbst erwählten, einem nicht aufgezwungenen Berufe."

    Der Frauenverein Reform forderte staatliche Mädchengymnasien mit gleichem Lehrplan und Abitur wie an Jungenschulen sowie unbeschränkten Zugang zur Universität und zu den Staatsexamen für die freien Berufe.

    Elke Kleinau:
    "Das haben wir erst seit 1920, dass Frauen zu allen Studiengängen und auch zu allen Abschlussprüfungen zugelassen sind. Weil, die Zulassung zum Studium war ja lange nicht damit verbunden, dass man auch unbedingt dann die entsprechenden Abschlüsse machen konnte, zum Beispiel in Jura."

    Petition um Petition schickte der Frauenverein Reform an den Reichstag, die Landtage und Unterrichtsministerien. 1893 konnte Hedwig Kettler in Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium gründen, von ihrem Verein verwaltet und mit Spenden finanziert. Erst sechs Jahre später wurde ein zweites in Hannover genehmigt. 1900 öffnete Baden als erstes deutsches Land seine Universitäten für Frauen, die übrigen folgten bis 1909. Mädchengymnasien wurden ins staatliche Schulsystem eingegliedert – aber nur als Oberstufenschulen.

    Elke Kleinau:
    "Weil man gesagt hat, also man soll jetzt nicht durch die Einrichtung grundständiger Mädchengymnasien die Mädchen dazu ermuntern, auf das Abitur zuzusteuern, sondern das soll eigentlich nur ein Weg sein, der besonders begabten Mädchen eröffnet wird. Also dahinter steckte so eine Überlegung, also wenn, dann werden sich eigentlich nur so hässliche, blaustrümpfige Mädchen überhaupt für ein Abitur und Studiumslaufbahn entscheiden. Was natürlich eine Fehleinschätzung war."