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Die Lange Nacht der Gedichte aus Ravensbrück
Mein Herz schlägt zurück

Im Jahr 1939 ließ die SS in Ravensbrück das größte Frauenkonzentrationslager auf deutschem Gebiet errichten. Bis Ende April 1945 waren dort über 130.000 Frauen und Kinder inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden erschossen oder vergast, starben an Hunger, Krankheiten oder an den Folgen medizinischer Experimente.

Von Jürgen Nendza und Eduard Hoffmann | 25.04.2015
    Gedenkstätte im ehemaligen Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, Brandenburg
    Gedenkstätte im ehemaligen Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, Brandenburg (AFP)
    Der KZ-Alltag war ein abgründiges Martyrium, angelegt auf brutale Erniedrigung und Persönlichkeitszerstörung. Manche Frauen begehrten innerlich dagegen auf und versuchten auf ihre Art, die eigene Stimme zu bewahren.
    Heimlich und unter Lebensgefahr schrieben sie Gedichte. Die wurden beim Appellstehen auf- und weitergesagt, an heimlich veranstalteten Kulturabenden vorgelesen sowie in selbst hergestellten Heftchen aufgeschrieben und weitergereicht.

    Die Gedichte halfen zu überleben. Sie schufen einen inneren Raum der Freiheit, in dem viele Häftlinge ihre menschliche Würde bewahren konnten.
    (Wiederholung von 2013)


    Link-Empfehlungen der Autoren:
    Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
    Ravensbrück – Überlebende erzählen
    Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
    Frauenlager Ravensbrück - Selbstbehauptung zwischen Leben und Tod
    Gedichte aus dem Frauenkonzentrationslager
    Online-Datenbankprojekt: Die Frauen von Ravensbrück - Das Videoarchiv
    Loretta Walz Videoproduktion, Produktion von Dokumentarfilmen für Kino und Fernsehen sowie Erstellung von Medien für die Jugend- und Erwachsenenbildung, für Gedenkstätten und Museen zu allen Themenbereichen rund um Geschichte und Biografie.
    Die Literaturwissenschaftlerin und Theologin Constanze Jaiser und der Musiker Jacob David Pampuch bieten unter dem Namen tonworte verschiedene Bildungsprojekte zu Ravensbrück an.
    Du bist anders?
    Eine Online-Ausstellung über Jugendliche in der Zeit des Nationalsozialismus
    Verein für Medienkultur
    Auszug aus dem Manuskript der ersten Stunde:

    Ravensbrücklied (CD "Damit die Welt es erfährt")

    Nicht weit von Berlin, von der Hauptstadt
    ein Stück Erde, das Wasser umgibt
    darauf leben wir hinter der Mauer
    darauf steht das KZ Ravensbrück
    Aus Holz zweiunddreißig Baracken
    Bunker, Küche, Betrieb und Revier
    Und die Mädchen, sie geh'n ohne Jacken
    und wir haben noch März, und es friert.

    Im Mai 1939 nahmen die Nationalsozialisten das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück in Betrieb. Die ersten Häftlinge wurden aus dem KZ Lichtenburg überstellt. Die Lichtenburg war ein altes Schloss südlich von Wittenberg, das im 16. Jahrhundert als Witwensitz der sächsischen Kurfürstinnen diente und später als Zuchthaus. Schon 1933 hatten die Nazis es zu einem Konzentrationslager umfunktioniert. Zunächst für Männer und ab 1937 für weibliche Gefangene aus dem gesamten deutschen Reichsgebiet. Im Frühjahr 1939 müssen die etwa 1.000 inhaftierten Frauen den Weg nach Ravensbrück antreten.
    Matthias Heyl, pädagogischer Leiter der Mahn- und Gedenkstätten Ravensbrück, weiß, "dass zum Beispiel eine sehr große Gruppe Zeuginnen Jehovas hierher gebracht wurden, eine Religionsgemeinschaft, die auch den Kriegsdienst ablehnt, dann viele politische Häftlinge, Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen, andere politisch Widerständige, und dann Frauen, die als Kriminelle oder Asoziale verfolgt worden sind, einige Jüdinnen, die wegen Rassenschande belangt wurden, und dann auch Sinti und Roma. Das ist so die Erstbelegung im Lager gewesen, und dann mit dem Kriegsgeschehen sind immer mehr aus den besetzten Ländern Frauen hierher gebracht worden."
    Loretta Waltz: "Das war mir bei meinen Arbeiten zum Thema Ravensbrück immer wichtig, dass man diese Bedingungen im Lager einfach im Kontext des Krieges sehen muss, mit dem Überfall jedes neuen Landes kamen aus diesen Ländern die Transporte, und natürlich, aus Polen kamen zunächst mal eine riesige Gruppe von Frauen, und vielleicht n ganz entscheidender Einschnitt ist mit Sicherheit die Niederlage der deutschen Wehrmacht in Stalingrad, weil da ja nicht nur in den Lagern, sondern überhaupt, es wurde alles auf Rüstungsproduktion, alle Lebensmittel an die Front, alle Kleidung an die Front, und dass da noch mal die Bedingungen auch im Lager erheblich verschärft haben, also die Schichten, die Arbeitsschichten verlängert wurden, die Arbeitsbedingungen härter wurden, die Rationen runtergesetzt wurden, aber katastrophal, richtig katastrophal ist es mit Sicherheit geworden, nachdem eben die Lager im Osten geleert wurden und die ganzen Transporte Richtung Westen zurückkamen und dann eben Frauen aus Auschwitz, aus Mauthausen, aus allen Lagern im Osten sozusagen nach Ravensbrück gekommen sind."
    Die Dokumentarfilmerin Loretta Waltz, Jahrgang 1955, beschäftigt sich schon seit Ende der 70er-Jahre mit den Frauen aus Ravensbrück und hat mit über 200 ehemaligen Insassen gesprochen und in deren Leben hineinschauen können. "Ein großer Schatz" und "eine Bereicherung" für ihr Leben, wie sie sagt. Ihr Film "Die Frauen aus Ravensbrück" wurde 2006 mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet.
    Die Konzentrationslager waren ein wichtiges Instrument zur Aufrechterhaltung und Festigung nationalsozialistischer Herrschaft. Hier konnten politische Oppositionelle sowie rassistisch und sozial Verfolgte ohne gerichtliche Verurteilung auf unbestimmte Zeit eingewiesen werden." Neben den herkömmlichen KZs gab es speziell für die Ermordung der Juden eingerichtete Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau, Treblinka oder Sobibór. In Konzentrations- und Vernichtungslagern starben insgesamt über sechs Millionen Menschen. Die Historikerin Nicola Wenige, die in Ulm das Dokumentationszentrum und die KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg leitet, schreibt:
    Nicola Wenige: "Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 begann der offene Terror gegen die politische Opposition. Die juristische Grundlage bildete hierfür die "Reichstagsbrandverordnung" vom 28. Februar 1933, mit der zum "Schutz von Volk und Staat" politische Gegnerinnen und Gegner des Regimes "präventiv" verhaftet und ohne Justizurteil festgehalten werden konnten. Allein im März und April 1933 wurden rund 35.000 Personen von Polizei, Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) in "Schutzhaft" genommen und waren damit staatlicher Willkür ohne jeden Rechtsbeistand ausgeliefert. Zu den ersten Opfern gehörten vor allem Kommunistinnen und Kommunisten, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie persönliche Gegnerinnen und Gegner lokaler NS-Funktionäre. Sie wurden in ihren Heimatorten in Kellerräumen oder anderen improvisierten Haftstätten, in "Schutzhaftabteilungen" von Polizei- und Justizhaftanstalten sowie in mindestens 70 Lagern eingesperrt und gefoltert. Mehrere Hundert Inhaftierte wurden ohne Gerichtsurteil ermordet. Der entfesselte Terror sollte die Bevölkerung einschüchtern und abschrecken; rasch wurden diese frühen Lager zum Synonym für den Staatsterror."
    Zwischen 1936 und 1939 kam es im Zuge der intensivierten Kriegsvorbereitungen zu einer Neuorganisierung der Konzentrationslager. Mit Ausnahme Dachaus wurden die bestehenden Lager aufgelöst. In Sachsenhausen (1936), Buchenwald (1937), Flossenbürg und Mauthausen (1938) sowie Ravensbrück (1939), das einzige Frauenkonzentrationslager auf deutschem Boden, errichteten die Nazis dezentral neue, größere Lager, insbesondere um die Arbeit der Gefangenen gewinnbringend ausbeuten zu können.
    "Die Konzentrationslager wurden zunehmend zu Stätten der Zwangsarbeit, mittels derer die SS versuchte, die Arbeitskraft der Lagerhäftlinge für militärische und zivile Bauvorhaben des Regimes auszunutzen und ihre eigene Stellung zu stärken. Etwa ein Drittel der Häftlinge wurde als Arbeitssklaven in angesiedelten Lagerwerkstätten und SS-eigenen Ziegeleien und Steinbrüchen ausgebeutet. Bis Kriegsbeginn war die Zahl der KZ-Wächterinnen und -Wächter von 2.000, Anfang 1935, auf 24.000 gestiegen. Die Konzentrationslager waren zu Orten wirtschaftlicher Ausbeutung und fest institutionalisierten Instrumenten der politischen und rassistischen Repression geworden. ... Mit der Verschärfung der sicherheitspolizeilichen Bestimmungen, die es der Gestapo erlaubten, Hinrichtungen ohne Todesurteil vorzunehmen, wurden die Konzentrationslager seit 1939 auch zu Exekutionsorten." (Zitat Nicola Wenige)
    Literaturliste:
    Constanze Jaiser / Jacob David Pampuch (Hg): Europa im Kampf 1939-1944. Internationale Poesie aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Faksimile, Begleitband und Hör-CD mit Stimmen von Überlebenden. Metropol Verlag. Berlin 2009. 2.Auflage.
    Constanze Jaiser: Poetische Zeugnisse. Gedichte aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. (Dissertation). In der Reihe: Ergebnisse der Frauenforschung. Bd 55. Metzler Verlag. Stuttgart 2000.
    Helga Schwarz / Gerda Szepansky (Hg.) ... und dennoch blühten Blumen. Dokumente, Berichte, Gedichte und Zeichnungen vom Lageralltag 1939-1945. Herausgegeben von der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Potsdam 2000.
    Micheline Maurel: Kein Ort für Tränen. Bericht aus einem Frauenlager. Classen Verlag. Hamburg 1960.
    Germaine Tillion: Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Zu Klampen Verlag. Lüneburg 1998.
    Loretta Walz: "Und dann kommst du dahin an einem schönen Sommertag." Die Frauen von Ravensbrück. Verlag Antje Kunstmann. München 2005.
    Gabriele Knapp: Frauenstimmen - Musikerinnen erinnern an Ravensbrück. Metropol Verlag. Berlin 2003.
    Wanda Poltawska: Und ich fürchte meine Träume. Josef Kral Verlagsdruckerei. Abensberg 1993.
    Antonia Bruha: Ich war keine Heldin. Europaverlag 1995.
    Dunya Breuer: Ich lebe, weil du dich erinnerst. Frauen und Kinder in Ravensbrück. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin 1997.
    Batsheva Dagan: Gesegnet sei die Phantasie - verflucht sei sie! Erinnerungen von "Dort". Metropol Verlag, Berlin 2005.

    DVD:
    Die Frauen von Ravensbrück. Überlebende des Frauenkonzentrationslagers erinnern sich. Ein Film von Loretta Walz. Loretta Walz Videoproduktion 2005.
    Das hängt einem immer an - das KZ von nebenan Waidak Media e.V. 2007.

    CD:
    Damit die Welt es erfährt ...
    Produktion von Constanze Jaiser / Jacob David Pampuch mit Jugendlichen des Alternativen Jugendzentrums Dessau 2011

    Auszug aus dem Manuskript:
    Ein besonders beeindruckendes und außergewöhnliches Projekt haben Constanze Jaiser und der Musiker Jacob David Pampuch im November 2010 durchgeführt. Zusammen mit einem guten Dutzend Jugendlicher und junger Erwachsener aus dem Umfeld des Alternativen Jugendzentrums Dessau besuchten sie das ehemalige Schloss Lichtenburg, das von den Nazis in ein Konzentrationslager umfunktioniert wurde und von wo 1939 die ersten Frauen nach Ravensbrück überstellt würden. Gemeinsam mit dem Historiker Sven Langhammer übernachteten die beiden Projektleiter mit ihrer Gruppe in der alten Schlosskirche der Lichtenburg. Dort entstand eine mehrstimmige, von Gitarre und Perkussionsinstrumenten begleitete Gedenklesung mit Gedichten und Briefen aus dem "Schmuggelfund", jenem Glasbehälter, der Schriftstücke und Gedichte von polnischen Häftlingen aus Ravensbrück enthielt und 1975 an der Bahnstrecke Burg Stargard-Neubrandenburg gefunden wurde.
    Constanze Jaiser: "Wir hatten so schon das Gefühl, dass der Ort und seine Atmosphäre ganz stark dieses Tun da vor Ort geprägt haben. Also wir haben eine ganz ausführliche Führung bekommen von Sven Langhammer und Zutritt zu Räumlichkeiten, in die wir sonst normalerweise nicht reingekommen wären, zum Beispiel so eine Zelle, das hat die Atmosphäre geprägt. Und dann stellen Sie sich vor, es war November, es war eigentlich schon ganz schön kalt, die Kirche war ja so eine Art Kirchruine, die war nicht beheizt. Wir saßen alle da eingemummelt in Schlafsäcken und wir hatten all das gleiche Ziel, wir wollten die Stimmen dieser Häftlinge zu Gehör bringen. Wir haben die Geschichte der Lichterburg kennengelernt, und das war ja das KZ vor Ravensbrück, andererseits uns dieser Geschichte des Schmuggelfundes angenähert, und als Drittes sind wir gemeinsam kreativ gewesen und haben da spontan Dinge entwickelt, wie wir die Gedichte interpretieren und welche Geräuschkulisse wir da ausprobiert haben, wie wir die Text gesprochen haben, die Briefe und so weiter."

    Brot von Grazyna Chrostowska
    Die Menschen zählten es voller List und Gier,
    Sie legten es hastig hin und um.
    Dabei irrten irgendwelche Hände hin und her,
    Aber es zu nehmen, wird es niemand tun.
    Sie saßen andächtig geneigt über dem Tisch
    Warteten gierig, verschlossen, nicht gemein.
    Dieses Brot, mit scharfem, bloßem Hunger gewürzt,
    Ist ein Brot, das aus Liebe entstand.
    Constanze Jaiser: "Es gab keinen weinerlichen Ton und nicht so eine Betroffenheitsattitüde, sondern ganz tief gehende Auseinandersetzungen. Was man daran gemerkt hat, dass ein kleines Experiment, das wir da vorbereitet hatten, unglaublich gut geklappt hat. Wir haben nämlich einen Chor der allgemeinen Menschenrechte da einberufen. Also es war ein Versuch, mit den Artikeln aus der allgemeinen Menschenrechtserklärung so eine Art Klangcollage zu inszenieren. Eigentlich dachten wir, wir müssten das üben und die würden das vielleicht ganz blöd finden und so. In Wirklichkeit aber stellte sich heraus: Es war eine Möglichkeit, über das, worüber sie gelesen haben, sich noch mal zu verständigen."
    In Kooperation mit der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft und mit dem Haus der Wannsee-Konferenz haben Constanze Jaiser und Jacob David Pampuch die Ergebnisse dieser Projektarbeit in Form eines Hörbuchs dokumentiert. Es heißt "Damit die Welt es erfährt" und eröffnet auf bemerkenswerte Art Klang- und Erinnerungsräume, die im Medium von Gedichten, Briefen, Musik und Collagen mit ungewohnter Intensität Aspekte des Lageralltags in Ravensbrück vermitteln.
    Einen pädagogischen Auftrag hatte von Anfang an auch die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Lange Zeit glichen die Bildungs- und Erziehungsveranstaltungen eher zwanghaften Ritualen. Zu DDR-Zeiten dienten die sogenannten Jugendstunden zur Vorbereitung auf die Jugendweihe und später wurden die Jugendlichen dann meist schulklassenweise durch das ehemalige KZ geschleppt und belehrt. Derartiger Umgang mit dem Nationalsozialismus, so erklärt der pädagogische Leiter der Gedenkstätte Ravensbrück Matthias Heyl, sei wenig geeignet, bei den Jugendlichen Interesse für Geschichte zu wecken. Deshalb habe man in Ravensbrück andere Konzepte entwickelt, um zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus anzuregen wie etwa die Selbstführung.
    Matthias Heyl: "Wo die Jugendlichen erst ohne Informationen ins Gelände gehen und uns dann, uns pädagogische Führungskräfte, zu den Orten führen, wo sie Fragen haben. Und dann kommt die Frage, was ist das gewesen, und dann sage ich, die Desinfektion, und dann merken die Jugendlichen im Zweifel, dass ihnen das Wort Desinfektion auch nicht weiterhilft, und müssen weiter fragen, und unsere Verantwortung ist es, dann immer wieder aus dem sehr zufällig manchmal Gefragten eine Erzählung entstehen zulassen, die wieder auch Sinn macht. Oder dass Jugendliche hier die gleiche Form von Selbsterkundung mit Fotoapparaten von uns ausgestattet machen und wir uns die Bilder hinterher gemeinsam anschauen und die den Gesprächsanlass bieten."
    Seit 2002 bietet eine eigene internationale Jugendbegegnungsstätte weitere Möglichkeiten für eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der Geschichte. Unter anderem erlaubt diese Einrichtung auch eine intensive Begegnung zwischen Jugendlichen und Überlebenden des Konzentrationslagers.
    Matthias Heyl: "Wir haben hier in Ravensbrück zum Beispiel eine Form entwickelt in den letzten Jahren, das Generationenforum, wo wir fünf Überlebende einladen, die fünf Tage mit 40, 50 Jugendlichen zubringen, wo zwei Vormittage jeweils der Geschichte der Überlebenden gewidmet sind, in kleinen Gruppen, und wo die Jugendlichen auch im Programm rundherum auch immer wieder die Chance haben, informell ins Gespräch zu kommen mit den Überlebenden. Und den Überlebenden, die daran beteiligt sind, ist das so wichtig, auch als Erfahrung, weil sie merken, man geht auch Bindungen ein, da werden dann Überlebende zu Ersatzgroßeltern für Jugendliche. Und dass es also so schon ist, dass die Überlebenden, die jetzt seit Jahren daran teilnehmen, Urlaube, Kuraufenthalte danach ausrichten, dass sie auf jeden Fall am Ravensbrücker Generationenforum teilnehmen können."

    Blumen (Grazyna Chrostowska, 1941)
    Oft, weiß ich noch kaufte ich Blumen
    an irgendeiner Straßenecke,
    Aber um diese Zeit, sind meine herbstlichen, blassen,
    Schon kühlen Astern vergangen
    Und verblüht ...
    Sogar die Rosen. Alles ist schon vergangen,
    Auch ich komme nicht als dieselbe zurück
    zu denselben Dingen,
    Weil jeder Augenblick ein neues Leben ist,
    Und das Leben fließt.
    Die Bedeutung der Zeitzeugen und ihrer Erzählungen insbesondere bei der Arbeit mit Jugendlichen hat auch die Dokumentarfilmerin Loretta Walz immer wieder erfahren können. Meist waren es gerade ihre zahlreichen Interviews mit Überlebenden aus Konzentrationslagern, die sie auch in einem Internet-Videoarchiv zugänglich gemacht hat, die den Jugendlichen einen Zugang zum Thema eröffneten.
    Loretta Waltz: " Dadurch, dass ich ja nun selbst aus der Pädagogik komme, und immer dachte, diese Interviews müssen auch eingesetzt werden in Schule, Bildungsarbeit und so weiter, haben wir immer versucht Schülerprojekte zu initiieren, und wir haben dafür in Berlin auch einen Verein gegründet, den Waidak Media e.V., der Medienprojekte mit Jugendlichen zu Themen Ravensbrück und Lager, Nationalsozialismus, gegen Rechts und so weiter, also da auch eine Menge getan hat, und da hatten wir zum Beispiel eines unserer ersten großen Projekte, da haben wir mit einer Schulklasse ein Projekt gemacht in Mohringen, in diesem ersten Frauen-KZ Moringen, wir waren dann mehrere Tage da, wir hatten Zeitzeugen und Zeitzeuginnen eingeladen, sie haben Interviews geführt sie haben ein Theaterstück entwickelt, haben Szenen nachgespielt und daraus ist dann ein Film entstanden, der, ja, der wirklich von dieser Schulklasse gemacht war. Und wir haben mehrere solcher Projekte, auch später dann natürlich im Schwerpunkt in Ravensbrück und das geht eigentlich bis heute. "
    Cornelia Henkel: "Wirklich nahe gekommen ist es mir bei den Interviews, die ich gesehen oder halt auch zum Teil gelesen habe und auch bei der Ausstellung über die Aufseherinnen, weil man da doch irgendwo teilweise den Kontrast zwischen Menschlichkeit und Aufseher gesehen hat, ich weiß nicht, ich fand das ziemlich kurios, wie man einerseits also wirklich so schönes Familienleben führen kann und im nächsten Moment eigentlich auch n anderem Mensch, der eigentlich auch aus der eigenen Familie stammen könnte, mehr oder weniger, so was antut, das war oder das ist für mich unbegreiflich."
    Catharina Dietrich: "Ich finde, für mich als Mensch ist es einfach wichtig, dass man trotz alledem man nicht wusste, was da passiert war, trotzdem Blumen niederlegt und an die Leute gedenkt, die da waren, und, ja, irgendwie halt eine Verbindung versucht aufzubauen, was denk ich mal, nicht hundertprozentig klappen wird, weil man sich absolut gar nicht vorstellen kann, was da passiert ist, finde ich jetzt persönlich. Also dass man da denkt, man, diese Pflastersteine, die zum KZ hin, zum ehemaligen KZ da hinführen, dass die Menschen die gebaut haben mit der Asche deren Mitgefangenen, man kann es sich einfach nicht vorstellen."
    Mit Oberstufenschülern des Strittmatter-Gymnasiums Gransee, nur 20 Kilometer südlich von Fürstenberg und der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück gelegen, verbrachte Loretta Waltz 2007 eine Woche in der Jugendbegegnungsstätte auf dem Gelände des ehemaligen KZs. Die Jugendlichen, die zum Teil selber in Fürstenberg lebten, gingen dabei der Frage nach, wie die Fürstenberger das KZ Ravensbrück erlebt haben und wie sie heute dazu stehen. Der Aufenthalt in der Mahn- und Gedenkstätte ermöglichte eine intensive Archivrecherche vor Ort. Zudem standen den Schülern die zahlreichen Interviews mit Häftlingen von Loretta Waltz zur Verfügung. Und schließlich konnten die Projektteilnehmer Interviews mit verschiedenen Bürgern aus Fürstenberg führen. Aus dem umfangreichen Material haben die Schüler einen spannenden mehrteiligen Film produziert.
    Christoph Tiede: "Durch die ganze Projektsache ist die Beziehung bisschen, also es ist mehr Interesse vorhanden, man ist mehr in der Geschichte drinnen, vorher wurde es eher bloß oberflächlich behandelt durch die ganzen Führungen früher und man war halt nicht richtig drinnen in der Sache, und war halt, ich sag mal, ich sag jetzt einfach mal, ein vollkommenes Desinteresse vorhanden."
    Marc Schröder: "Wenn man jetzt so die Interviews von den älteren Damen oder Herren hört, dann kommt das einem n bisschen näher, aber so richtig nachvollziehen, ich glaube nicht, dass man das noch so kann, weil wir sind, das ist ja für uns 60 Jahre her, ich meine, wir haben ja damit nicht viel zu tun, eher gar nichts, aber halt die Interviews, die regen die Leute schon an, um mal nachzudenken darüber, man hat sich hier halt nach und nach so reingearbeitet in das Thema, wurde auch dann, fand ich, immer besser."
    Loretta Waltz: "Mein Hauptinteresse war auch, taugen denn diese Interviews, die ich aufnehme, überhaupt dazu, in so eine Arbeit Eingang zu finden, und ich hab immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die, natürlich können die eine Begegnung mit Zeitzeugen überhaupt nicht ersetzen, und trotzdem gibt es ja irgendwann keine andere Möglichkeit und dann ist es immer noch eindrucksvoll. Also es ist immer noch sehr eindrucksvoll, die Stimmen zu hören, die Gesichter zu sehen, und auch zu sehen, und ich glaube, das ist das, was ich bei diesen Jugendbegegnungen immer so eindrucksvoll fand, war, dass dann die Schülerinnen und Schüler oft sagen, man sieht es denen ja gar nicht an, also da sitzen attraktive alte Damen, schön geschmückt und mit Lippenstift und Nagellack und erzählen über die größten Grausamkeiten, die sie erlebt haben, und das ist für die Schüler oft, hat was Verwirrendes, aber ich glaube, es hilft ihnen auch, den Zugang zu finden. Und das finde ich, haben diese Ravensbrücker Frauen wirklich mit Bravour geschafft."