Donnerstag, 28. März 2024

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Mein Klassiker
Annette Hess: "Ich bin eine Frau, die Klassiker liebt“

Annette Hess schreibt Drehbücher und beschäftigt sich mit neuer deutscher Gesichte. Um neue Geschichte erzählen zu können, blickt sie immer wieder auf Vergangenes zurück. Als Dialogfetischistin liebt sie Literaturklassiker, von Fontane bis Mann. Ihren Klassiker "Effi Briest" liest sie immer wieder.

Aufgezeichnet von Susanne Luerweg | 05.07.2016
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    Die Drehbuchautorin Annette Hess (Deutschlandradio - Matthias Dreier)
    Mein Name ist Annette Hess. Ich bin Drehbuchautorin, unter anderem von "Weißensee" oder "Ku'damm 56". Und ich bin eine Frau, die Klassiker liebt. Also ich neige dazu Fernsehsendungen auszuschalten und wieder zurückzugreifen auf Fernsehsendungen, die ich schon hundert Mal gesehen habe. Genauso in der Literatur. Ich fange neue Bücher an, schmeiße sie in die Ecke und nehme dann "Effi Briest" von Theodor Fontane.
    "Die Front des Herrenhauses gewährte bei bewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuung bietenden Aufenthalt. An Tagen aber an denen die Sonne niederbrannte, wurde die Gartenseite ganz entschieden bevorzugt."
    Das ist für mich der beste Roman, der je geschrieben wurde, was für mich den Inhalt, die Dramatik, die Figuren, die Struktur, die Sprache angeht.
    "Sie war wie gebannt von allem was sie sah. Und dabei geblendet von der Fülle von Licht. In der vorderen Flurhalle brannten vier, fünf Leuchter. Die Leuchter selbst sehr primitiv, von bloßem Weißblech, was aber den Glanz und die Helle nur noch steigerte. Über den Flur fort liefen drei Balken. An dem vorderen hing ein Schiff mit vollen Segeln, während weiter hinten ein riesiger Fisch in der Luft zu schwimmen schien."
    Ich glaube sogar wirklich in der Schule, mit vierzehn, fünfzehn, zum ersten Mal gelesen und sofort großartig und ergreifend gefunden. Wie ja eben ein Mensch an den gesellschaftlichen Konventionen kaputt geht und das ist ja auch immer mein Thema. Das was mich interessiert. Die Gesellschaft und das Individuum. Diese Reibung. Und wozu das führt.
    Unglaublich gute Dialogsprache
    "Der Eindruck den Effi empfing war überall derselbe. Mittelmäßige Menschen von oft zweifelhafter Freundlichkeit, die während sie vorgaben über Bismarck zu sprechen eigentlich nur Effis Toilette musterten."
    Was mich fasziniert, also ich bin Dialogfetischistin, ist die unglaublich gute Dialogsprache, der verschiedenen Typen. Also die Dialoge sind sehr lebendig. Also zum Beispiel die zwischen dem Vater und der Mutter, die sind sehr lebendig, die reiben sich, also so Szenen einer Ehe, das hat einen Sprachreichtum, was für mich als Autorin ganz wichtig ist. Ich habe immer das Gefühl ich muss mich mit Wörtern füttern, damit das nicht verkümmert.
    "Sprich was du willst, aber poetische Bilder liegen jenseits deiner Sphäre. Ist möglich, dass du Recht hast, Luise."
    Meine Lieblingsstelle ist, wenn sie schon zurück bei den Eltern ist. Also ihr Leben schon gescheitert ist, die Eltern sie wieder aufgenommen haben, obwohl sie ihren Mann betrogen hat, und man aber spürt, sie ist krank, sie wird sterben.
    "An der Stelle wo sie gestanden hat, lag seit gestern eine weiße Marmorplatte, darauf stand nichts als Effi Briest und darunter ein Kreuz."
    Es gibt von Fassbinder eine Filmversion, und es gibt eine Neuere mit Julia Jentsch, von Hermine Huntgeburth. Also dafür könnte ich Hermine Huntgeburth immer noch "steinigen" (*), weil sie Effi Briest am Ende nämlich überleben lässt. Ich dachte, ich guck nicht richtig. Also die geht dann so in ihr selbstbestimmtes Leben.
    "- Komm einfach wieder nach Hause.
    - Nach Hause?
    - Für immer.
    - Haben sich auf einmal eure moralischen Maßstäbe verändert?
    - Komm schon. Wenn sie will kann die Gesellschaft auch immer mal ein Auge zudrücken.
    - Kann schon sein, dass die Gesellschaft ein Auge zudrücken kann.
    - Ich kann es nicht."
    Und da habe ich gedacht, wie kann man ein Buch derart falsch verstehen. Also dem Ganzen komplett den Sinn nehmen.
    (*) Richtigstellung von Annette Hess: Das Verb ist ironisch gemeint.