Donnerstag, 28. März 2024

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Mein Klassiker
"Dieses Buch hat meine Welt verändert"

Sie kam und blieb: Das kann man nicht nur über die Sängerin und Komponistin Inga Humpe sagen, die seit mehr als 30 Jahren erfolgreich im deutschsprachigen Musikgeschäft mitmischt. "Sie kam und blieb" von Simone de Beauvoir ist auch der Titel des Buches, von dem sie sagt, es habe nachhaltig ihre Welt verändert.

Von Julian Ignatowitsch | 25.03.2014
    Ich bin Inga Humpe – und ich erzähle hier in der Reihe "Mein Klassiker" über ein Buch, das mich sehr geprägt hat: Von Simone de Beauvoir "Sie kam und blieb".
    "Sie verließ das Studio. Auf den Whiskey war sie gar nicht so wild, die dunklen Korridore zogen sie an. Wenn sie nicht da war, existierte alles das, der Staub, das Halbdunkle die trostlose Öde für niemand, es existierte überhaupt nicht. Aber nun war sie da, und das Rot des Teppichs drang durch das Dunkel wie ein schüchternes Nachtlicht."
    Ich habe das mit ungefähr 20 gelesen, es ist in den 70ern rausgekommen. Dieses Buch – es hat meine Welt verändert, und ich habe mich da so drin gefunden. Und alles, was ich mir an Idealen vorstellen konnte, wie man die Welt verbessern würde, wie man ehrlicher sein würde, wie man freier sein würde – alles das ist in diesem Buch.
    "Ich könnte tatsächlich niemals jemanden lieben, für den ich nicht vorher schon freundschaftliche Gefühle gehabt hätte", meinte Francoise. Sie sprach den Satz wie eine Hypothese aus, aber in dem gleichgültigen Ton, in dem man eine Feststellung macht; schließlich meinte sie: "Bloße Freundschaft kommt mir leicht etwas langweilig vor."
    Sie schildert das als zwei Personen: Eine Schriftstellerin, die heißt Francoise, und ein Regisseur, der heißt Pierre, und sie schildert, was deren Beziehung so einzigartig macht.
    Und wenn man das in einem Satz sagen kann: Die Einzigartigkeit der Beziehung der beiden ist, dass sie sich niemals eine Grenze setzen, dass sie sich bedingungslos alles erzählen, was sie empfinden und denken.
    Eigentlich die Geschichte von Simone de Beauvoir und Sartre
    "Ganz allmählich hatte sie sich daran gewöhnt, alles mitzuteilen; es gab für sie nun kein Alleinsein mehr […]. Alle Momente ihres Lebens, die sie Pierre anvertraute, gab er ihr hell durchleuchtet, geglättet, abgerundet zurück, und es wurden nun Augenblicke ihres gemeinsamen Daseins daraus."
    Es spielt in Paris und ist eigentlich die Geschichte von Simone de Beauvoir und Sartre – so wie sie auch gelebt haben.
    Simone de Beauvoir: "Wenn das, was man eine freie Verbindung nennt, unter den gleichen Bedingungen abläuft wie eine Ehe, wird die Frau trotz allem die Frauenrolle spielen. Wir hingegen haben eine sehr flexible Lebensweise, die uns manchmal erlaubt hat, unter demselben Dach zu leben, ohne ganz zusammen zu sein. Ich mache zum Beispiel gern Fußwanderungen, Sartre nicht. Also ging ich alleine los und er war in der Zeit mit Freunden zusammen. Diese Art von Freiheit, die wir im Alltag aufrechterhalten haben, ist wichtig. Und hat verhindert, dass sich zwischen uns die lähmende Seite der Ehe breitmachte."
    Was mich wahnsinnig begeistert in dem Buch, ist die unfassbar gute Beobachtung. Es ist so genau. Es beschreibt natürlich auch Paris. Aber es beschreibt vor allem die Widersprüchlichkeit von Wahrnehmung und von Gefühlen. Dadurch kommt eine Wahrheit zustande, die selten dargestellt wird.
    "Francoise fühlte, wie ihr Herz sich zusammenzog. Noch war Zeit. Sie konnte ihre Wange an seine lehnen und ganz laut die Worte sagen, die ihr auf die Lippen kamen. Sie schloss die Augen. Sie konnte nicht sagen: Ich liebe dich. Sie konnte es nicht denken. Sie liebte Pierre. In ihrem Leben war kein Raum für eine andere Liebe. Und doch würde es Freuden geben, die diesen ähnlich wären, dachte sie mit einer Art von Angst."
    Man kann dieses Buch auch wirklich nicht jedem empfehlen: Das ist ganz schön krass!