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"Mein Lieblingsgitarrist außer Jimi Hendrix"

Man nennt sie "Musician’s Musicians" – Musiker, deren Fans vor allem andere Musiker sind. Auch der Gitarrist Ollie Halsall beeindruckte Kollegen wie John Cale oder Brian Eno. Selbst wurde er jedoch nie berühmt.

Von Ralf Bei der Kellen | 02.06.2012
    "Wenn Du ein Gitarrist bist, und Du siehst einen anderen Gitarristen, der viel besser spielt als Du, dann sagst Du: Okay, ich weiß, was er da macht, aber ich kann es nicht. Aber bei Ollie wusste ich überhaupt nicht, was er da mit seiner Gitarre tat. Er war Linkshänder, spielte Akkorde und Soli zur selben Zeit, er war unglaublich schnell aber auch unglaublich melodisch."

    So erinnert sich der Gitarrist und Songwriter Nick Saloman alias Bevis Frond an seine erste Begegnung mit dem Gitarristen Ollie Halsall. Zufällig war der 17-jährige Saloman 1970 in ein Konzert geraten, in dem Halsall mit seiner Band Patto auftrat. Sein Urteil wird heute von vielen geteilt:

    "Er ist mein Lieblingsgitarrist außer Jimi Hendrix!”"

    Peter Halsall, Spitzname "Ollie”, wird 1949 im britischen Southport geboren. Beeinflusst von den Beatles, die damals noch eine regionale Größe sind, beginnt der 13-jährige, Schlagzeug zu spielen. Als er 16 ist, bekommt er von einem Freund das Angebot, als Vibraphonist in dessen Jazzband einzusteigen. Und das, obwohl Halsall das Instrument nicht beherrscht. Nick Saloman:

    ""John Halsey, der Schlagzeuger von Patto, erzählte mir, dass Ollies Eltern ihm das Vibrafon nur kaufen wollten, wenn er es spielen könne. Also bastelte sich Ollie Pappkartonstreifen in der Größe der Klangplatten des Vibrafons, legte sie auf sein Bett und übte so, ohne auch nur einen Ton zu hören. Dann nahm er seine Eltern mit in eine Musikalienhandlung und spielte ihnen vor. Wahrscheinlich war Ollie ein musikalisches Genie."

    Es ist 1967, die Beatles haben gerade ihr Meisterwerk Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band veröffentlicht und London swingt zum Summer of Love. Aus der Jazzband wird die Popgruppe Timebox. Und aus dem Vibrafonisten Ollie Halsall wird ein Gitarrist.

    "Eines Abends schnappte sich Ollie die Gitarre unseres Gitarristen. Ollie war Linkshänder, aber das machte ihm nichts, er spielte die Gitarre eben falsch herum und er überraschte uns alle mit einer absolut unglaublichen Interpretation von "Green Onions”. Ich habe keine Ahnung, wie er das machte.

    Schreibt Keyboarder Chris Holmes im Klappentext einer 2008 veröffentlichten Timebox -CD. Aus der Beatband Timebox wird 1970 die Progressiv-Rock-Gruppe Patto, die wie eine Mischung aus dem Jazz des Modern Jazz Quartett und dem Hardrock ihrer Label-Kollegen Black Sabbath klingt.

    Die Band veröffentlicht drei von der Kritik gefeierte und vom Publikum verschmähte Alben. Man geht auf Tour mit Joe Cocker, Rod Stewart und Ten Years After, deren Gitarrist Alvin Lee jeden Abend vor der Bühne steht und Halsalls Gitarrensoli aufnimmt. Als der kommerzielle Erfolg ausbleibt, verlässt Halsall desillusioniert die Band und verdingt sich als Studiomusiker. Ende der 70er-Jahre ist er so verschuldet, dass ihm sogar seine geliebte Gitarre, eine weiße Gibson SG, gepfändet wird. Er ist so tief gesunken, dass er Radiowerbejingles für Tiefkühlpizzen einspielt.

    "Er konnte die Miete nicht zahlen, man hatte ihm Gas und Strom abgestellt, seine Milch klaute er anderen Leuten von den Treppenstufen, und sein Essen stahl er sich im Supermarkt.”

    Erinnert sich Patto-Schlagzeuger John Halsey in den Liner Notes einer CD mit Aufnahmen Hallsalls. Anfang der 80er-Jahre besorgt er seinem Freund einen gut bezahlten Session-Job für den britischen Exzentriker Vivan Stanshall, in der Hoffnung, dass Halsall dadurch die Miete zahlen und sich wieder eine eigene Gitarre kaufen könne.

    "Ich komme zu ihm nach Hause, und er sagte: Ja, klar habe ich das Geld bekommen. Guck mal. Und er zeigt mir diese gigantischen Zeichnungen, die überall im Haus hängen: 'Von dem Geld habe ich Pläne für eine Jacht zeichnen lassen, die ich mir bauen werde – hinten im Garten. Wenn sie dann fertig ist, lasse ich einen Kran kommen, der sie übers Haus hebt."

    Das Schiff wird – natürlich – nie gebaut. Halsall spielt in dieser Zeit mit seinem alten Freund Kevin Ayers, mit John Cale und mit dem damals sehr bekanten britischen Komiker und Songwriter John Otway, mit dem er auch durch die USA tourt. War er da immer noch ein 'Musician’s Musician'?

    "Auf jeden Fall! Als wir in New York spielten, kamen alle möglichen Musiker – Chris Spedding kam, und auch Brian Eno, mit dem Ollie dann noch zusammengearbeitet hat. Zu unseren Konzerten kamen genauso viel Leute wegen Ollie wie meinetwegen."

    "Got my back against the wall" – ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Ein scheinbar autobiografischer Song, den Halsall Anfang der 80er-Jahre schreibt und auf einem kleinen Mehrspurgerät aufnimmt. Immerhin findet er mit dem Songwriter Kevin Ayers, mit dem er seit 1972 immer wieder zusammenspielt, in den 80ern einen ständigen Partner.

    "Ich sagte immer: Ollie ist vielleicht nicht der beste Gitarrist der Welt, aber er gehört auf jeden Fall zu den Top Two! Er spielte immer das, was für den Song am besten war. Deshalb konnten wir so gut zusammen arbeiten."

    Mitte der 80er war Halsall zu Ayers nach Spanien gezogen. Doch in der lokalen Rockszene fand er zum Heroin. Am 29. Mai 1992 starb er an den Folgen einer Überdosis.

    20 Jahre nach Halsalls Tod findet man auf Youtube eine ganze Reihe Videos von ihm. Es gibt eine Homepage, auf der jede Aufnahmesession Halsalls dokumentiert wird, es gibt eine eigene Facebook-Gruppe, und ein britisches Label veröffentlicht alles, was Halsall je einspielte – auch die erwähnten Pizza-Werbejingles. Viele sehen es heute so wie Nick Saloman: Eigentlich hätte Ollie Halsall berühmt sein müssen – aber das Leben läuft oft anders.

    "Yeah, he should have been hugely famous, but – alas, that’s not the way it goes."