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"Meine Generation ist da etwas blamiert"

Die digitale Revolution könnte zu einem nie dagewesenen Bruch zwischen den Generationen führen, fürchtet die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Silvia Bovenschen. Für die 68erin vermischen sich dabei Dissonanzen zwischen den Generationen mit einer wachsenden sozialen Kluft.

Silvia Bovenschen im Gespräch mit Christoph Schmitz | 09.01.2012
    Christoph Schmitz: Trotz des einen heißen politischen Themas in diesen Tagen, vor Weihnachten hatte es schon begonnen, den Jahresausgang hatte es bestimmt und den Jahresanfang ebenso, trotz alledem waren wir in dieser Kultursendung dabei geblieben, dabei, was zur Kultur eben gehört: zurückzutreten, auf Distanz zu gehen, Abstand gewinnen, Ruhe, Weitblick und unabhängig vom Tag über die Welt philosophieren. Seit dem ersten Januar kommen in "Kultur heute" Denker, Kritiker, Künstler, Schriftsteller, Musiker und Philosophen zu Wort wie Rüdiger Safranski, Hartmut Rosa, Feridun Zaimoglu, Edda Moser und andere. Jeder von ihnen hatte Zeit zum Reden, worüber er oder sie reden wollte, darüber, was am Herzen liegt. Um Innehalten in der beschleunigten Gesellschaft ging es, um Gemeinsinn und Demokratie, um das Lob auf die deutsche Sprache, auf eine Kultur jenseits ethnischer Begrenzung, um öffentliches Philosophieren. Heute, am neunten Tag, schließen wir die Reihe ab mit der Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Essayistin Silvia Bovenschen, 1946 in Oberbayern geboren, heute in Berlin lebend, Mitglied der Akademie der Künste. Am Telefon kurz vor der Sendung sagte Sie, worüber sie gerne sprechen möchte.

    Silvia Bovenschen: Ja, ich dachte mir, wir könnten uns unterhalten über das, welche Auswirkungen das Internet auf das Generationenverhältnis haben könnte.

    Schmitz: Sie meinen damit die junge und die alte Generation?

    Bovenschen: Genau.

    Schmitz: Welche Gedanken haben Sie dazu?

    Bovenschen: Na ja, ich gehe davon aus: Sie haben mein Geburtsdatum genannt, ich gehöre zu der 68er-Generation. Das ist eine Generation, die sich sehr gegen die Vätergeneration gewandt hat. Ich habe mich zwar damals nicht solcher Glaubenssätze wie "Trau keinem über 30" schuldig gemacht, aber trotzdem war es natürlich eine Generation, die sich ganz deutlich in allem von den vorangegangenen unterscheiden wollte, in der Musik, im Verhältnis zur Sexualität, in ihren Lebensformen, in ihren Alltagseinrichtungen, in ihren Sprachgebräuchen, Kommunikationsformen, also in eigentlich allen Bereichen. Aber das war doch alles für die Elterngeneration, die das damals nämlich am meisten interessiert hat, außerordentlich sichtbar. Also die konnten sehen, wie die jungen sprechen, die konnten sehen, welche Musik die hören, die konnten sehen, wie sie sich im einzelnen verhielten, auch wenn sie es entsetzte, sie konnten es wahrnehmen, sie konnten die geistigen Väter des ganzen ausmachen, sie konnten, wenn sie wirklich interessiert waren, mal Sartre lesen oder Bloch oder Adorno oder Mabuse. Das ist jetzt anders, wie mir scheint. Ich taste mich da vor, ich will wirklich darüber sprechen. Das ist jetzt ganz anders, wie mir scheint. Jetzt haben wir es offensichtlich mit einer Jugend zu tun, die, soweit ich das sehe, gar nicht viel gegen die vorangegangene Elterngeneration und die vorangegangenen Menschen hat, aber die gewissermaßen verschwindet und die schon mit dem Tablet auf dem Bauch im Kinderwagen liegen und für die es ganz selbstverständlich ist, sich in dem Netz dieser digitalen Welt zu verständigen, miteinander zu sprechen, sich beeinflussen zu lassen. Und das ist doch, wie mir scheint, so noch nie in der Geschichte vorgekommen, dass da ein solcher Bruch ist.

    Schmitz: Deuten Sie diese Haltung, also das Verschwinden, das Abtauchen in die digitale Welt, als eine Form des Protestes, des sich Entziehens, da Sie gerade die 68er ansprachen, die ja aus Protest auf die Straße gegangen sind? Sehen Sie jetzt hier vielleicht einen Protest, der sich aber zurückzieht in den für die ältere Generation nicht sichtbaren Raum?

    Bovenschen: Nein, überhaupt nicht. Das ist jetzt das Unheimliche. Für Teile, die sich da organisieren für irgendwelche Proteste – das tun sie ja auch im Internet -, für Teile mag das zutreffen, aber im großen Ganzen überhaupt nicht. Das ist einfach zunächst mal die Spielform, das ist die Amüsierform, das ist vielleicht auch zu Teilen die Lernform, das ist alles mögliche. Ich beklage das nicht, ich bin interessiert, also ich sehe das und ich sehe es auch nicht, weil ich sehe nur, dass da unendlich viel stattfindet, was ich natürlich gar nicht mitkriege und was auch diese mittlere Generation, selbst wenn sie interessiert ist, selbst wenn sie im Netz das Nötige und Richtige und Relevante tun kann, doch nicht im einzelnen wahrnehmen kann, weil sie nicht da hineingewachsen ist, weil sie sich sozusagen nicht wie ein Netzeingeborener darin bewegt, wie ein Fisch im Wasser.

    Schmitz: Haben Sie sich denn mal in dieses Wasser begeben, aus Neugier?

    Bovenschen: Ja, aber ganz oberflächlich. Ganz oberflächlich. Ich spreche wirklich über etwas, von dem ich nichts verstehe. Darauf bin ich nicht sonderlich stolz, aber es ist so. Aber die meisten anderen verstehen davon auch nicht so viel wie diejenigen, die da wirklich darin leben. Das ist etwas vollkommen anderes.

    Schmitz: Nehmen Sie denn auch eine Haltung Ihrer Generation, der älteren Generationen wahr, die sich unterscheidet von einem Teil der Alten, damals '68, die ja, wie Sie sagten, durchaus die geistigen Quellen eruieren konnte und ja auch zum Teil das getan hat? Es war ja so, dass sich die studentische Emanzipationsbewegung allgemein auf die Gesellschaft in allen Generationen ausgebreitet hat über die Jahre, über die Jahrzehnte. Spüren Sie heute ein Interesse?

    Bovenschen: Nein. Meine Generation, finde ich, ist da etwas blamiert. Das betrifft auch zum Teil die Politiker dieser Generation. Das ist etwas, was mich wirklich erheitert. Wir sprechen über das Internet wie über etwas, das man gut finden kann oder schlecht finden kann. Man kann das natürlich gut finden oder schlecht finden, aber man kann es gut finden oder schlecht finden, wie man das Wetter gut finden kann oder schlecht finden kann. Das gibt es jetzt. Das können sie ja nicht mehr wegfegen. Ich spreche meines Erachtens irgendwie in einer Blässe und Ahnungslosigkeit darüber, die geradezu erschütternd ist.

    Schmitz: Woher kommt diese Ahnungslosigkeit oder dieses mangelnde Interesse, sich kundig zu machen?

    Bovenschen: Ja, weil es da wirklich Zugangsschwierigkeiten gibt.

    Schmitz: Die technischen?

    Bovenschen: Technische sowieso, aber auch mentale.

    Schmitz: Welche meinen Sie?

    Bovenschen: Ja, das hat ein Maß an Unübersichtlichkeit, und es ist ja auch tatsächlich wahnsinnig beliebig und unübersichtlich, wer da wo was macht. Früher hat die Familie, selbst die 68er in dieser Zeit, das war übersichtlich. Man konnte da was ablesen, blöd finden oder das in Teilen verweigern, aber es war doch ein öffentlicher Raum. Das ist keine Öffentlichkeit! Das ist letztlich ein anderer Raum, der aber mit den alten Öffentlichkeitsstrukturen nicht mehr vergleichbar ist. Und das ist, glaube ich, was die mentalen Zugangsschwierigkeiten schafft.

    Schmitz: Das heißt, da driftet eine Gesellschaft hinsichtlich ihrer Generationen vollkommen auseinander?

    Bovenschen: …, scheint mir.

    Schmitz: Was denken Sie, wie sich das auswirkt auf das Verhältnis der Generationen, denn das war ja die Ausgangsfrage?

    Bovenschen: Ja, Teile dessen belustigen mich. Das ist vielleicht das etwas Irritierende oder Beunruhigende, weil es ja eh so Tendenzen gibt, die Bevölkerungsteile so ein bisschen aufeinanderzuhetzen, die Nichtraucher gegen die Raucher, die Alten gegen die Jungen und so weiter, und das ist eh ein bisschen im Gange. Und durch die etwas schwierige Altersstruktur und Entwicklung, die ja häufig beschworen wird, in der Rentendiskussion und so weiter, könnte sich das verschärfen. Das wäre nicht gut, weil da sozusagen sich dann Generationendissonanzen mit sozialen Dissonanzen auf eine ungute Weise vermischen.

    Schmitz: Das heißt, Sie sorgen sich wegen dieser Kluft, sind erschrocken darüber, dass da Generationen auseinanderdriften durch diese neue Technik?

    Bovenschen: Ja erschrocken ist jetzt ein bisschen zu viel gesagt. Ich bin 65 Jahre alt, also ich mache für eine Zeit lang noch das, was ich kenne und kann. Ich benutze natürlich den Computer und ich gehe auch ins Netz, wenn ich was brauche oder suche oder was weiß ich. Mich beunruhigt das jetzt nicht so stark. Aber es könnte für zukünftige Entwicklungen eine sehr viel größere Rolle spielen, als viele meiner Generation und auch der etwas Jüngeren vermuten. Ich meine, das zeichnet sich ja auch schon stark ab, dass für diese ganzen sozialen Bewegungen und politischen Ausrichtungen das Internet eine eminente Rolle spielt. Da brauche ich nicht erst den Erfolg der Piratenpartei aufzurufen.

    Schmitz: Würden Sie einen Appell formulieren können wollen an die Jungen oder an die Alten oder an beide?

    Bovenschen: Nein. Appelle sind da, glaube ich, müßig. Es hat mich ein bisschen irritiert: es gab im Fernsehen nach der Berlin-Wahl eine Diskussion, an der die Grünen-Politikerin Höhn teilnahm und auch einer von dieser Piratenpartei, und da hat die Frau Höhn sich etwas ungeschickt ausgedrückt. Sie sagte, ich gehe auch ins Internet und dann mache ich das und das, und das war terminologisch nicht korrekt ausgedrückt, zumindest nicht aus Perspektive der Ureinwohner des Internets. Und da hat der Vertreter der Piratenpartei in einer Weise höhnisch aufgelacht, die ich dann doch nicht so gut fand. Diese Art des Lachens fand ich dann doch nicht so gut.

    Schmitz: Silvia Bovenschen über Internet und Generationenverhältnis.


    "Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen."


    Weitere Teile der Serie: "Wir schenken Ihnen Zeit"

    Teil I - Der Soziologe Hartmut Rosa über Kunst und die Beschleunigungskultur
    Teil II - Der neue Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, Gedanken über die Fotografie und die Zeit
    Teil III - Gesine Schwan über Demokratie und Gemeinsinn
    Teil IV - Opernsängerin Edda Moser: Ein Loblied auf die deutsche Sprache
    Teil V - Kulturpolitikerin Monika Grütters über die Rolle der Kultur in multi-ethnischen Gesellschaften
    Teil VI - Der Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski über die Chancen des Philosophierens
    Teil VII - Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu im Gespräch über das Ruhrgebiet
    Teil VIII - Schriftstellerin Juli Zeh über Krisenhysterie und Schwangersein