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Meinungsfreiheit in Spanien
Wenn Twittern zur Straftat wird

"Twittere, wenn Du Dich traust!" - Mit diesem Aufruf wollen Menschenrechtler darauf aufmerksam machen, wie spanische Anti-Terror-Gesetze ihrer Ansicht nach die Meinungsfreiheit einschränken. Nach einigen Verurteilungen wegen abgesetzter Tweets zensierten sich viele Menschen mittlerweile selbst.

Von Marc Dugge | 16.03.2018
    Auf dem Display eines iPhone 6 wird am 20.03.2015 die App "Twitter" als Icon angezeigt.
    Die Twitterin Cassandra Vera ist bei ihren Tweets vorsichtiger geworden - sie stand wegen eines scharfzüngigen Tweets vor Gericht (dpa / Britta Pedersen)
    Cassandra Vera kann sich noch gut an den Moment erinnern, als das Urteil gesprochen wurde. Von Richtern der Audiencia Nacional - jenem Gericht, das sich normalerweise mit schwersten Vergehen beschäftigt.
    "Ich konnte es nicht fassen. Ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein! Dass ich wegen eines Witzes für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis komme!"
    Ihr Vergehen: Sie hatte einige ziemlich scharfzüngige Tweets über die Ermordung von Luis Carrero Blanco veröffentlicht, Regierungschef in der Zeit der Franco-Diktatur. Die Terrorgruppe ETA hatte ihn vor 44 Jahren bei einem Attentat getötet.
    Anti-Terror-Gesetze und die Meinungsfreiheit
    Eine Verhöhnung der Opfer des Terrorismus, befand die Audiencia Nacional - und verurteilte Cassandra zu einer Gefängnisstrafe.
    Damit nicht genug: Im Internet wurde die Transsexuelle Opfer von Beleidigungen und Drohungen. Der Oberste Gerichtshof hat die Strafe vor zwei Wochen aufgehoben. Jetzt steht Cassandra wieder vor dem Gerichtsgebäude in Madrid, zusammen mit Aktivisten von Amnesty International.
    "Die Meinungsfreiheit wäre fast tot, wenn wir nicht wie jetzt kämpfen würden. Wenn wir das jetzt nicht tun, werden wir es in der Zukunft bereuen."
    Vor dem Gerichtsgebäude haben sich einige Demonstranten eingefunden. Das Motto der Kundgebung: "Twittere, wenn Du Dich traust". Amnesty International will darauf aufmerksam machen, wie spanische Anti-Terror-Gesetze die Meinungsfreiheit einschränken.
    Konkret geht es um den Artikel 578 im spanischen Strafgesetzbuch, der erst vor zwei Jahren verschärft wurde. Er verbietet, Terrorismus zu verherrlichen oder Terror-Opfer zu verhöhnen. Seit 2014 durchkämmen spanische Polizeibeamte das Netz nach entsprechenden Inhalten. Im Internet stellt die Guardia Civil ihre Arbeit vor.
    Zahl der Verurteilten gestiegen
    Die Justiz schieße bei der Terrorbekämpfung aber oft über das Ziel hinaus, so Esteban Beltrán, Spanien-Direktor von Amnesty International. Wurde 2011 noch ein Mensch aufgrund des Terror-Artikels verurteilt, waren es in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 66. Zwar sei es gerechtfertigt, angesichts der Terrorgefahr die Meinungsfreiheit unter bestimmten Umständen einzuschränken, um die Gesellschaft zu schützen, so Beltrán. Doch allzu oft würde das Gesetz viel zu weit ausgelegt.
    "Unter dem Vorwand der Nationalen Sicherheit versucht man, Künstler, Journalisten und Nutzer Sozialer Netzwerke zum Schweigen zu bringen, nur, weil sie ihre Meinung ausdrücken - wenn auch manchmal auf beleidigende, herabsetzende Weise. Aber keiner von ihnen hat wirklich zu einem Terroranschlag aufgerufen oder wäre selbst zu einem solchen Anschlag bereit gewesen."
    Selbstzensur aus Angst vor Repressalien
    Die Wucht des Artikels 578 hat auch Nyto Rukeli zu spüren bekommen. Der junge kommunistische Rapper landete mit seinen subversiven Texten ebenfalls vor der Audiencia Nacional. Zusammen mit elf weiteren Musikern.
    "Ich wurde auf der Straße angehalten und mir wurde gesagt, wann ich vor Gericht zu erscheinen habe. Sie erklärten mir nicht, was mir vorgeworfen wird. Und sie nahmen mir alle elektronischen Geräte weg, darunter auch ein Handy. Und dann wurden wir zu zwei Jahren und einem Tag Gefängnis verurteilt."
    Nyto hofft jetzt darauf, dass der Oberste Gerichtshof ein Einsehen hat - und die Strafe für ungültig erklärt. Doch er sei nicht sehr optimistisch, sagt er. Die Twitterin Cassandra Vera ist bei ihren Tweets vorsichtiger geworden, sagt sie. Und sie sei damit nicht allein. Längst hätten Komiker, Journalisten oder Rapper begonnen, sich selbst zu zensieren. Aus Angst vor Repressalien.