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"Meistens dauert es eben doch noch erheblich länger"

Im Grundsatz ist der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, mit dem Ergebnis in London zufrieden, sagt aber einen viel längeren Abzugszeitraum voraus - und wünscht sich von der muslimischen Welt eine Beteiligung an der "Last dieses Einsatzes".

29.01.2010
    Bettina Klein: Es gab in dieser Nacht Meldungen über Gespräche der UNO mit Vertretern der Taliban auf höherer Ebene und es gibt erste Meldungen heute Morgen, Taliban seien zu Friedensverhandlungen bereit. Ob das erste Reaktionen auf die gestrige Konferenz sind, das muss sich natürlich noch zeigen. Die Staaten, die an der Afghanistan-Konferenz in London beteiligt waren, zeigen sich überwiegend sehr zufrieden, allen voran der deutsche Außenminister.
    Am Telefon begrüße ich Wolfgang Ischinger. Er war Botschafter in London und Washington und ist jetzt Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. Guten Morgen, Herr Ischinger.

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Sie haben jüngst konstatiert eine Krise der westlichen Afghanistan-Politik und eine Krise der deutschen Sicherheitspolitik. Sind in London die richtigen Lehren gezogen worden?

    Ischinger: Ich denke, das kann man schon sagen. Ich habe den Eindruck, dass die positiven Meldungen aus dem Munde unseres eigenen Außenministers und der anderen Konferenzteilnehmer durchaus berechtigt sind. Nur vor einem möchte ich doch warnen: Das Nennen von Daten im Zusammenhang mit der sogenannten Exit-Strategie, das Nennen von konkreten Daten für die tatsächliche, teilweise oder völlige Übergabe an die Afghanen, das ist natürlich mit sehr vielen Unwägbarkeiten verbunden, und diese sogenannten Exit-Strategien haben bei den Krisenverhandlungen, an denen ich zum Teil in den letzten 10, 15 Jahren beteiligt gewesen bin, in aller Regel eben nicht so wie ursprünglich geplant funktioniert. Meistens dauert es eben doch noch erheblich länger. Das muss man als Erfahrung aus der Vergangenheit eben leider auch konstatieren.

    Klein: Es wird ja darauf verzichtet, einen konkreten, einen ganz konkreten endgültigen Abzugstermin zu nennen. Aber Sie würden sagen, schon das vorsichtige Andeuten, dann könnte es losgehen und dann könnten wir noch einen Schritt weiter sein, auch das ist schon zu viel?

    Ischinger: Nein. Ich finde die Darstellung der Übergabestrategie, so wie das durch die Bundesregierung auch schon vor London skizziert worden ist, vollkommen richtig. Ich sehe natürlich auch die politische Notwendigkeit ein, die ja nicht nur in Deutschland besteht, eine Exit-Strategie zu beschreiben. Aber es hat ja hier und da gerade auch in der deutschen Debatte Anstöße gegeben, sozusagen das Ende des Einsatzes auch jetzt schon zu beschreiben, einen konkreten Termin zu nennen. Damit – und das ist ja zum Glück auch in London vermieden worden – würde man eben leider, muss man sagen, den falschen Leuten in die Hände spielen.

    Klein: Der deutsche Außenminister, die Bundesregierung stellen jetzt doch sehr stark die deutsche Rolle in den Vordergrund. Ist das richtig nach Ihrer Wahrnehmung, oder stimmen Sie den Beobachtern zu die sagen, man ist im Prinzip auf das eingeschwenkt, was die Amerikaner und Briten schon vor vielen Monaten festgelegt haben?

    Ischinger: Ich denke, die Bundesregierung kann sich schon zugutehalten, dass sie zu denjenigen gehört (seit vielen Monaten), die auf einen sogenannten vernetzten Gesamtansatz gepocht haben – auf Englisch nennt man das den "comprehensive approach" -, also die Einsicht, dass mit militärischen Mitteln allein, oder mit einem Übergewicht des Militärischen die Sache nicht in den Griff zu bekommen ist. Das war sicherlich ein wesentlicher deutscher Beitrag, dem auch zuzustimmen ist. Es ist schön, dass die USA sich bei ihren eigenen strategischen Überlegungen im Laufe des Jahres 2009 solche Gedanken zueigen gemacht haben. Insoweit kann man jetzt schon sagen, dass es hier Ansätze zu einer kohärenteren westlichen Gesamtstrategie gibt, als das vorher in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist.

    Klein: Sie haben auch beklagt die mangelhafte Begründung für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan in der deutschen Öffentlichkeit. Bleiben Sie bei dieser Beurteilung auch nach der Konferenz gestern, nach den Bundestagsreden, die wir gehört haben, nach der Regierungserklärung und etlichen Pressekonferenzen deutscher Spitzenpolitiker in der zu Ende gehenden Woche, oder haben Sie den Eindruck, man hat jetzt wirklich das vermittelt, was dort unten passiert oder noch passieren muss?

    Ischinger: Mein Ausgangspunkt war, dass es nicht passieren darf, oder möglichst nicht mehr passieren sollte, dass wichtige Vertreter unserer Zivilgesellschaft – ich erinnere an die Predigt von Bischöfin Käßmann – der Politik sozusagen einen Täuschungsvorwurf machen. Von Täuschung ist in dieser Predigt gesprochen worden, Täuschung über die Strategie. Mit anderen Worten: Es muss klarer Wein eingeschenkt werden, es muss Fraktur gesprochen werden, es muss das Kind beim Namen genannt werden. Ich denke, in dieser Richtung ist ja nun in den letzten Wochen viel getan worden. Man hat Klartext geredet, man hat davon gesprochen, auch seitens der verantwortlichen Regierungsmitglieder in Berlin, dass es sich hier um zumindest kriegsähnliche Zustände handelt, dass eben nicht nur Brunnen gebaut werden, sondern dass leider eben auch geschossen werden muss, und zwar in den letzten Monaten eben häufiger als früher. Ich glaube, wir sind also hier auf dem richtigen Weg.

    Klein: Wobei natürlich, kriegsähnlicher Zustand, da kann man sich auch fragen, ob das bedeutet, das Kind beim Namen zu nennen. – Sie haben beklagt, wo ist der deutsche McChrystal-Bericht? Warum geht die Bundesregierung nicht stärker mit eigenen Vorschlägen zum Beispiel auch in diese Konferenz? Brauchen wir die jetzt noch, oder hat sich das erledigt?

    Ischinger: Ich bin der Auffassung, dass es nicht nur wichtig ist, dass wir unseren Soldaten, die im täglichen Einsatz in Afghanistan stehen, in jeder Hinsicht den Rücken stärken. Alles andere wäre verantwortungslos und nicht zu rechtfertigen. Dazu gehört aber auch, dass wir bei der Komplexität dieses Einsatzes, der eben doch sehr stark militärisch geprägt ist, den militärischen Sachverstand nicht nur sozusagen hinter verschlossenen Türen in der Bundesregierung – da passiert das natürlich -, sondern auch in der öffentlichen Diskussion zur Kenntnis nehmen. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass in der Folgezeit in gewissen regelmäßigen Abständen so eine Art deutscher McChrystal-Bericht – ich bleibe mal bei diesem amerikanischen Begriff – in die Debatte eingeführt wird, um auch in der Öffentlichkeit eine Grundlage an Fakten und militärischen Einschätzungen zu vermitteln, die wir doch brauchen, um intelligent und verantwortlich über das Machbare, das Wünschbare, das Sinnvolle und Erfolg und Misserfolg diskutieren zu können.

    Klein: Was lernen wir im Zuge dieser Verhandlungen, Herr Ischinger, über die internationale Sicherheitsarchitektur, wenn wir auf Afghanistan schauen? Wie sind die Machtverhältnisse und wie ist die Verantwortung im Augenblick verteilt?

    Ischinger: Na ja, es ist, wie es ist. Die USA hatten von Anfang an in Afghanistan natürlich den überwältigenden Löwenanteil. Das hat sich durch die jüngeren Entwicklungen, auch durch die Entscheidungen bei uns und in anderen Partnerländern, unsere militärischen Anteile nun etwas aufzustocken, natürlich nicht geändert. Man kann sogar sagen, im Gegenteil. Künftig werden gerade in dem Bezirk, für den die Bundesrepublik Deutschland Verantwortung übernommen hat, ungefähr genauso viele amerikanische Soldaten tätig sein wie deutsche Soldaten. Also der Gedanke, hier das Europäische etwas stärker ins Spiel zu bringen, ist natürlich angesichts der enormen Aufstockungsmaßnahmen auf amerikanischer Seite nicht wirklich zu verwirklichen.
    Die andere Frage, die ich gerne auch immer wieder in die Debatte werfen möchte, ohne selbst die Antwort geben zu können, ist: Ist es denn nicht möglich, einen Teil der Last dieses Einsatzes vielleicht doch in der Zukunft zumindest auch auf Staaten abzuwälzen, die der muslimischen Welt angehören.

    Klein: Herr Ischinger, ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich für das Gespräch. Wir werden es garantiert an anderer Stelle fortführen.

    Links zum Thema:

    Kritik an Ergebnis der Afghanistan-Konferenz Außenminister Westerwelle verteidigt Ausstiegsprogramm für Taliban

    Karsai ruft Kampf gegen Korruption in Afghanistan aus Konferenz zum ISAF-Einsatz hat begonnen

    Website der Münchener Sicherheitskonferenz