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Meister des Swing

Musikwissenschaft. - Ray Charles galt als Meister des Swing, der wie kaum ein anderer bei seinen Auftritten das Publikum verzückte. Dass jemand wie der blinde und mittlerweile verstorbene Musiker den Rhythmus im Blut hatte, hat jetzt ein amerikanischer Musikwissenschaftler technisch gemessen.

Von Michael Stang | 03.01.2007
    Auf der ganzen Welt swingen die Leute, ob in Brasilien, Amerika oder in der Karibik; überall haben sich feste Swing-Richtungen etabliert. Wodurch aber bekommt der Swing seinen Rhythmus, dass Leute plötzlich mit dem Fuß wippen, aufstehen und auf einmal anfangen zu Tanzen, sobald sie diese Musik hören? Im Gegensatz zur Klassik oder Popmusik ist der Swing keine lineare Musikrichtung, sondern eine Art Schleife, bei der sich bestimmte Elemente permanent als Zyklus wiederholen. Das ist der Grund, warum sich diese Musik wie ein Herzschlag anfühlt, sagt Ken Lindsay:

    "Es hört sich an wie ein Herzschlag."

    Der Musikwissenschaftler der Southern Oregon University in Ashland wollte diesem Herzschlag auf den Grund gehen. Dazu hat er diverse Lieder technisch untersucht, darunter Stücke von Bob Marley, Louis Armstrong und Ray Charles. Mit dem technischen Blick auf den Rhythmus wollte Lindsay das Geheimnis des Swing lüften. Dabei bediente er sich der so genannten schnellen Fourier-Transformation, einem Algorithmus, mit dem er die akustischen Signale in ihre Frequenzkomponenten zerlegen konnte. Durch diese Dekodierung der Musik konnte Ken Lindsay anschließend die Musik optisch nachmessen und auf einem Spektrum im Detail sehen, wie genau die einzelnen Musiker tatsächlich spielten.

    "Ich habe verschiedene Stilrichtungen mit dieser Methode untersucht, aber Ray Charles war der Interessanteste. Sein Lied 'Fever' ist so unglaublich präzise, dass sich der Rhythmus fast wie ein wirklicher, biologischer Herzschlag anfühlt."

    Dieses Lied beeindruckte den Musikwissenschaftler sehr, da Ray Charles bei keinem Anschlag auf dem Klavier die bei seinen berühmten Kollegen üblichen 40 bis 70 Millisekunden variierte, beziehungsweise danebenlag.

    "Dieser Ray Charles-Song ist wirklich sehr exakt, fast wie ein Metronom. Er lag nie mehr als fünf Millisekunden daneben. Das ist sehr ungewöhnlich. Normalerweise sind einige Anschläge immer etwas zu schnell oder zu langsam."

    Obwohl "Fever" in dieser Version schon vorher als äußerst präzise galt, hatte der Musikwissenschaftler Ken Lindsay eine solche Perfektion nicht erwartet. Damit hat er nun post mortem auch von technischer Seite bewiesen, dass Ray Charles den Swing tatsächlich bis ins Detail verkörperte.

    "Die Tatsache, dass Ray Charles dieses Lied so exakt gespielt und es auch so aufgenommen hat, imponiert mir sehr, denn so etwas gibt es nirgendwo, auch bei anderen Musikrichtungen, die ich untersucht habe, nicht; die weichen immer viel stärker ab."

    Dieses exakte Timing ist aber nicht von den geschriebenen Noten vorgegeben, sondern nur innerhalb der Umsetzung beim Spielen möglich. Laut Ken Lindsay ist die Art und Weise wann und mit welcher Stärke ein Musiker nach Gefühl in die Tasten greift die Bedingung, die erst den wirklichen Rhythmus bestimmt. Dabei gilt die Regel: Je exakter, desto besser der Swing.

    "Im Grunde habe ich belegen können, dass sich die Umsetzung der Musik deutlich von den Noten unterscheidet und nur eine gute Umsetzung macht wirklich den wahren Swing aus."

    Ray Charles hatte den Rhythmus also tatsächlich im Blut, von dem er wie von einem Herzschlag angetrieben wurde; das steht nun also auch aus technischer Hinsicht zweifelsfrei fest.