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Meister lakonischer Krimis

Der deutsch-türkische Privatdetektiv Kemal Kayankaya ist wohl seine bekannteste Figur, insgesamt fünf Mal schickte Jakob Arjouni ihn auf Verbrecherjagd in Frankfurt. Der Autor mit einer Vorliebe für Außenseiterfiguren ist mit nur 48 Jahren an Krebs gestorben.

Johanan Shelliem im Gespräch mit Karin Fischer | 17.01.2013
    Karin Fischer: "Happy birthday, Türke!", der Krimi um den deutsch-türkischen Privatdetektiv Kemal Kayankaya, hat den Autor Jakob Arjouni mit 23 Jahren in die erste Reihe deutscher Krimiautoren katapultiert. Das war 1987. Das Buch wurde von Doris Dörrie verfilmt und Jakob Arjouni schrieb weitere Großstadtthriller, "Mehr Bier" oder "Ein Mann, ein Mord".

    Das Feuilleton lobt ihn als großen, an der amerikanischen Tradition eines Raymond Chandler oder Dashiell Hammett geschulten Erzählers, der aber auch das Deutsche nicht vergisst – die philosophischen Fragen, den Moraldiskurs. Er selbst sagt dazu:

    "Mich interessiert die Figur im Krimi an sich überhaupt nicht. Das heißt, die Geschichte hätte man auch ohne einen Privatdetektiv erzählen können. Ich wollte sie halt nur mit dieser Figur erzählen, und der ist nun ein Privatdetektiv."

    Fischer: Es hat dann lange gedauert, bis 2001 ein weiterer Kayankaya-Krimi erschienen ist. Zwischendurch schrieb Arjouni Theaterstücke und Hörspiele und Romane - sein erster heißt "Magic Hoffmann". Jetzt ist der Autor viel zu jung gestorben; Frage an Johanan Shelliem: Gibt es da eigentlich Verbindendes zwischen diesen vielen Genres? Was macht Arjounis Schreiben aus?

    Johanan Shelliem: Arjouni hat - das fiel mir heute auf, als ich die traurige Nachricht las – geschrieben, als hätte er keine Zeit. Er hat sich erst einmal verlieren müssen. Er ist nach Montpellier gegangen und hat sich ganz neu erfinden müssen und sich dann an seinen letztlich Lebensthemen abgearbeitet: an Nationalismus und Rassismus, Kleinbürgertum und der Schule. Sein Vater war selbst Schriftsteller. Er hat sich an Berlin zuletzt abgearbeitet und am Rechtsradikalismus.

    Fischer: Was war das für eine Figur, dieser deutsch-türkische Privatdetektiv? Das ist ja tatsächlich ein etwas neuer Tonfall, den er da auch in die Krimi-Literatur brachte.

    Shelliem: Ja dieses Kind aus hohem bürgerlichen Hause, aus der Odenwald-Schule – da hat er Abitur 1983 gemacht, einer der wenigen Abschlüsse, die er überhaupt gemacht hat -, dieses Kind hat sich immer nach Frankfurt gesehnt und da nach dem dunkelsten, also diesem New York am Main, dieser Kaschemmenwelt, und genau so hat er ja letztlich dann auch geschrieben, wie im Billard-Salon. Er hat sich nach diesem schäbigen, schnellen, konkreten gesehnt. "Da hat man wenig Zeit", hat er mir mal gesagt, "da musst du deinen Punkt gleich machen, sonst ist die Frau weg." Als seit Jahrzehnten in Frankfurt lebender kann ich sagen, ich habe sehr viele Orte lachend wiedererkannt auch nach Jahrzehnten. Selbst die ehemals jugoslawische Szene hat er so böse dargestellt, dass man ihm als Lokalpatriot nur böse sein kann, oder lachend durch diesen Stadtteil läuft.

    Fischer: Um diese Szene geht es in "Kismet", Jugoslawien-Krieg. Gleichzeitig spielt es im Frankfurter Bahnhofsviertel. Im Gegensatz zu solchem Realitätsgehalt seiner Krimis hat Arjouni nur selten für die Geschichten recherchiert, so wie Krimi-Kollegen das sehr akribisch zu tun pflegen. "Höchstens mal eine Telefonvorwahl", hat er zu Protokoll gegeben. Dennoch wirken diese Bücher ja auf keinen Fall ausgedacht?

    Shelliem: Nein! Diese Bücher haben einen gelebten Hintergrund. Er hat sich zwar diesen Türken erfunden, zu einer Zeit, in der jeder Türke hätte Türkisch sprechen müssen, jeder Türke hatte zehn ungewaschene Kinder um sich herum zu haben. So hat man sich das in hessischen Haushalten in den 80ern ausgedacht. Und er ging nach Montpellier, um sich von dieser Welt zu entfernen und sich gleichzeitig eine neue zu erfinden. Der Krimi ist für ihn die neue, die moderne Form des Märchens. Und er hat dann auch, wenn er jetzt zum Beispiel in Berlin, wenn wir auf die letzten Romane sehen, "Der heilige Eddy", wo man sich schippelig lachen kann über die Beschreibung am Hauptbahnhof mit seinen vielen Rolltreppen, die sind ganz genau beschrieben, weil er eben dort auch gelebt hat, und ich weiß, dass er sehr lange gesucht hat nach einer eigenen neuen Heimstadt für sein dunkles Kind, für seine Familie ohne Rechtsradikalismus. Und diesen Rechtsradikalismus hat er dann auch in "Cherryman jagt Mister White" 2011, in dem vorletzten Roman, beschrieben.

    Fischer: Er hat ein Faible für Außenseiterfiguren. Den heiligen Eddy haben Sie schon genannt, das ist eine Art Gaunerkomödie. In "Magic Hoffmann" wird ein aus dem Jugendgefängnis Entlassener durch ein ziemlich realistisches Berlin geschickt. Ist Arjouni ein romantisierender Realist oder ein realistischer Phantast, oder trifft das beides nicht ganz genau?

    Shelliem: Er ist ein realistischer Romantiker. Er hat sich nach Schönem gesehnt, aber er hat den Dreck gesehen. Deswegen war für ihn diese Synthese, diese Comic-Welt, "Cherryman jagt Mister White"; also wenn die Welt schon so ekelhaft und profan und unreparierbar ist, dann braucht man einen unkaputtbaren Helden, dann muss man in den Comic gehen. Das war für ihn die Lösung. Und diese blutigen Schlüsse seiner Romane sind eigentlich Appelle an die lebenden Leser in der Gegenwart, es anders zu machen.

    Fischer: Wir wollen nicht blutig aufhören, deswegen eine kurze Frage zur Verwendung des Dialekts in seinen Romanen.

    Shelliem: Der ist natürlich für Hessisch sprechende ganz wunderbar. Es gibt da einen Dialog am Telefon, wo dieser Kayankaya in seinem nunmehr letzten Fall sich völlig verheddert hat und sich dann mit einem Scheich überwirft, dem Scheich Hakhim, dessen Sekretär spricht. Der will, dass der Scheich anständig angeredet wird und sagt, "kannst ihn mit seiner Hellischkeit anrede, gell". Dann sagt er, "Heiligkeit, Helligkeit, was meinst du, tut mir leid!" – "Hellisch wie hellische Aussischt, Mensch!" – "Ah, seine Herrlichkeit!" – das ist ein Zitat aus dem Roman von Jakob Arjouni.

    Fischer: Herzlichen Dank an Johanan Shelliem für diese auch dialektale Würdigung von Jakob Arjouni, der Dramatiker und Schriftsteller ist im Alter von 48 Jahren gestorben.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.