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"Meisterhaft gemacht"

Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler ist voll des Lobes für den siebten und letzten Harry-Potter-Band. Auch für den Abschluss der Saga um den Zauberlehrling seien der Autorin Joanne K. Rowling noch einmal "ganz überraschende Variationen" eingefallen. "Das ist schon alles sehr meisterhaft gemacht", sagte Löffler.

Moderation: Oliver Thoma | 27.10.2007
    Oliver Thoma: Über diesen Hype wollen wir jetzt sprechen mit Sigrid Löffler, früher bekannt aus dem "Literarischen Quartett" im ZDF, jetzt Chefredakteurin der Zeitschrift "Literaturen". Schönen guten Morgen! Hallo Frau Löffler?

    Sigrid Löffler: Morgen! Hören Sie mich?

    Thoma: Jetzt höre ich Sie, ja. Ich habe gelesen, am Montag halten Sie in Wien einen Vortrag: Was hat Harry Potter, was andere Bücher nicht haben? Haben Sie sich also über die Jahre da auch zur Harry-Potter-Expertin gemausert sozusagen?

    Löffler: Ich weiß nicht, auf jeden Fall zur Liebhaberin. Ich hab den denkbar größten Respekt vor der Autorin Rowling und vor dem, was sie da innerhalb von zehn Jahren geleistet hat. Die größte Leistung, finde ich, dass der siebente und letzte Band, der Abschlussband der Harry-Potter-Serie, noch einmal ganz große Qualitäten und auch noch eine ganze Reihe von Überraschungen bereithält. Da werden natürlich alle Handlungsfäden, Themen und Motive noch einmal aufgenommen und verknüpft. Es geht um das wichtigste Thema überhaupt, um das Thema Tod und Unsterblichkeit. Wie kann man den Tod überwinden? Und da fallen Rowling auch im letzten Band noch ganz überraschende Variationen ein. Auch die Figuren, die wir jetzt aus sieben Romanen schon so gut kennen, werden noch einmal in ein neues Licht gedreht. Wir entdecken zusätzliche Facetten an ihnen. Ihre Vergangenheit wird noch einmal anders aufgerollt. Das ist schon alles sehr meisterhaft gemacht.

    Thoma: Was hat Harry Potter, was andere Bücher nicht haben?

    Löffler: Ich denke, das Geheimnis liegt darin, dass es ein All-Age-Book geworden ist. Es war mal ein Fantasy-Kinderbuch. Aber heute ist es ein global anschlussfähiger Lesestoff für Menschen jeden Alters und jedes kulturellen Hintergrunds geworden. Denn diese Serie lässt sich auf den verschiedensten Ebenen lesen je nach der Leseerfahrung oder nach dem Vergleichshorizont. Man kann also sagen, das Buch ist vielfältig kodiert. Kinder oder kindliche Leser, für die ist es eine spannende und lustige Schul- und Zauberabenteuergeschichte. Aber für die anspruchsvollen, für die erfahrenen, für die erwachsenen Leser, die können da ein ganzes Amalgam von Geschichten oder Gattungen drin sehen. Das ist ein Internatsroman, ein Bildungs- und Entwicklungsroman. Es ist natürlich Fantasy mit einem wunderbar ausfabulierten Paralleluniversum. Es ist aber auch ein politischer Thriller. Es ist eine romantische Schauergeschichte, und vor allem: Es ist eine Heilsgeschichte. Es geht um gut und böse. Es geht um den Tod und wie man ihn überwindet. Es geht um das richtige Leben.

    Thoma: Also tatsächlich muss man auch sagen, es ist ein bisschen Flucht aus dem Alltag in die Fantasiewelt aus dem richtigen Leben ja auch für alle, oder?

    Löffler: Ja, aber ich denke, die Flucht klingt zu negativ. Es ist eine Bereicherung des eigenen Lebens, wenn man in ein Paralleluniversum übertreten kann, das aber einem doch so viel zurückspiegelt aus der richtigen Welt.

    Thoma: Ist es trotzdem gut, dass der Hype jetzt irgendwann auch mal vorbei ist?

    Löffler: Ach, ich weiß nicht, dieser Hype hat doch eigentlichen allen genützt. Es hat aber vor allem auch der Leselust genützt. Man darf doch nicht vergessen, dass Harry Potter von allem Anfang an eben nicht ein marktgemachter Bucherfolg gewesen ist, sondern ein naturwüchsiger. Das war ja nicht das Ergebnis von irgendeinem durchtriebenen Bestseller-Engineering. Ursprünglich waren es die Leser und nicht die Marktstrategen, die den Harry Potter entdeckt haben. Die ersten Leser haben dieses Buch auf ganz altmodische Weise ins Herz geschlossen und weiterempfohlen, auch über Internetseiten, dann natürlich Fan-Websites. Aber dann erst sind die Marktstrategen aufgetreten. Die haben dann erkannt, was hier für ein Potenzial ist. Die haben das dann natürlich global beschleunigt und global intensiviert und ihrer Verwertungsmechanik unterworfen. Aber ursprünglich haben die Leser dieses Buch entdeckt.

    Thoma: Und viele sind auf diese Weise vielleicht überhaupt erst zum Lesen gekommen. Auf der anderen Seite wurden vielleicht manche gute Autoren zugedeckt von dieser Marketing-Maschine um Harry Potter?

    Löffler: Nein, das scheint mir ein Mythos zu sein. Ich denke, dass tatsächlich Harry Potter anderen Kinderbüchern geholfen hat. Das wird Ihnen jeder Kinderbuchverlag bestätigen. Es gibt ein verstärktes Interesse für Kinderbücher. Es gibt da andere, ähnliche Kinderbücher, die überhaupt nur, denken Sie an die Frau Funke, die ist überhaupt nur im Kielwasser von Harry Potter so erfolgreich und auch ein Welterfolg geworden. Also ich denke, das ist eine Antriebsmaschine für andere Kinderbücher auch. Es verdrängt sie nicht, sondern es bereichert eigentlich den Markt.

    Thoma: Sigrid Löffler, ganz begeistert von Harry Potter. Vielen Dank für das Gespräch!

    Löffler: Danke!