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Französische Flüchtlingshelfer vor Gericht
"Das ist doch kein Verbrechen solidarisch zu sein"

Vor allem junge Afrikaner, die illegal nach Frankreich einreisen wollen, landen häufig im Tal der Roya an der französisch-italienischen Grenze. Dort versorgen Bergbewohner die Flüchtlinge und helfen ihnen auch dabei, die strengen Kontrollen zu umgehen. Jetzt gibt es dafür Ärger mit der französischen Justiz.

Von Martin Zagatta | 29.12.2016
    Freiwillige verteilen Essen an Flüchtlinge in einem provisorischen Camp in Saint-Dalmas-de-Tende im äußersten Südosten Frankreichs an der Grenze zu Italien.
    Afrikaner, die sich von Italien Richtung Norden durchschlagen wollen, landen inzwischen häufig im Tal der Roya an der französisch-italienischen Grenze. (picture alliance / dpa / Jean-François Ottonello)
    "Hilfsbereitschaft ist kein Verbrechen", steht auf den selbst geschriebenen Plakaten, die sie in die Luft halten. Und sie singen, um zwei ihrer Nachbarn zu unterstützen. Knapp 200 Menschen protestieren so in Nizza vor dem Gerichtsgebäude, in dem sich Pierre-Alain Mannoni, ein Universitätsdozent, verantworten muss, weil er Flüchtlingen geholfen hat, und der Bergbauer Cédric Herrou: "Menschen zu helfen, die in Gefahr sind, ist nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht. Dafür kann man mich doch nicht verurteilen, trotz des politischen Drucks. Ich denke, dass sich die Justiz davon nicht beeindrucken lässt."
    Bis zu fünf Jahre Gefängnis und eine Geldbuße von 30.000 Euro
    Angeklagt sind die Beiden wegen Beihilfe, so heißt es offiziell, "zum Eintritt und Aufenthalt von Flüchtlingen mit illegalem Aufenthaltsstatus". Das kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldbuße von 30.000 Euro geahndet werden. Eine Strafe, die nicht nur Herrou und Mannoni droht, sondern vielen der Einwohner im Tal der Roya, des Flusses Roya, in den französischen Seealpen ganz im Süden direkt an der Grenze mit Italien. Sie lassen sich bisher nicht davon abbringen, den Flüchtlingen zu helfen, die hier versuchen, sich an den strengen Kontrollen vorbei nach Frankreich durchzuschlagen.
    "Die sind tagelang marschiert, ohne Essen, ohne zu trinken. So sind sie hier angekommen, erschöpft, völlig durchgefroren, und wir geben ihnen etwas zu essen", sagt einer der Helfer in der 2500-Seelen-Gemeinde Breil-sur-Roya. Und nicht durch das: Bewohner aus den fünf Dörfern im oberen Tal haben sich zu der Hilfsvereinigung Roya Citoyenne zusammengeschlossen. Bergbauern, Hausfrauen, Lehrer, Krankenschwestern. Sogar ein ehemaliger Polizist macht mit im "Tal der Hilfsbereiten", im "Tal der Barmherzigen", wie es mittlerweile in französischen Medien genannt wird. Die Helfer bringen die Flüchtlinge vorrübergehend bei sich unter, versorgen sie mit Lebensmitteln, Schuhen und Kleidung, unterstützen sie bei der Weiterreise - und wollen anonym bleiben, weil ihnen sonst eine Strafverfolgung droht.
    Mehr als 50 Afrikaner in leerstehendem Ferienzentrum untergebracht
    "Das ist doch kein Verbrechen solidarisch zu sein. Man kann diese Menschen doch nicht verhungern lassen oder erfrieren. Und wir machen das nicht für Geld. Wir sind keine Schlepper. Diese Flüchtlinge sind ja schon zu Fuß über die Grenze gekommen. Wir helfen da nur weiter. Wir können sie nicht im Stich lassen. Das ist unmöglich." Doch so ganz stimmt das nicht. Denn Mitglieder der Hilfsorganisation kümmern sich auch schon jenseits der Grenze, auf italienischem Boden, um die Flüchtlinge. Sie machen keinen Hehl daraus, dass sie sie auch beraten, wie man am besten an den strikten Kontrollen der französischen Gendarmerie vorbeikommt und fahren sie manchmal auch selbst.
    Der 37-jährige Cédric Herrou, der einen Bauernhof betreibt, ist zur Symbolfigur dieser Flüchtlingshilfe geworden, seit er sich von französischen Fernsehteams beim Transport von Flüchtlingen begleiten ließ. Angeklagt ist er jetzt aber auch, weil er mehr als 50 Afrikaner in einem leerstehenden Ferienzentrum untergebracht hat.
    Lockt die Hilfsorganisation Flüchtlinge regelrecht an?
    "Wenn ich auf jemanden in Not treffe, dann helfe ich. Ich nehme die auf, die kommen, die sich an mich wenden, egal ob die nun Papiere haben oder nicht, sagt der Bauer, auf dessen fast ständig mehr als ein Dutzend Flüchtlinge leben. Fast 2000 Durchreisende haben die Talbewohner so schätzungsweise schon untergebracht, vor allem junge Afrikaner wie eine vierköpfige Familie aus dem Sudan. Wie so viele ist sie mehrfach an der Grenze aufgegriffen und nach Italien zurückgebracht worden. Dann hat sie es bis in das ins Roya-Tal geschafft.
    "Wir stecken hier schon drei Monate fest. Wir versuchen alles Mögliche, mit dem Zug oder sonst wie weiter zu kommen. Aber bisher ist uns das noch nicht gelungen, und mit Kindern ist das auch schwierig." Zudem hat sich die Situation noch zugespitzt in den letzten Tagen. Der Chef des Regionalparlaments, Eric Ciotti von den konservativen Republikanern, hat jetzt auch die Hilfsorganisation als solche angezeigt. Sie locke die Flüchtlinge regelrecht an und verhelfe ihnen zu einer illegalen Einreise. Und das, obwohl die Gefahr bestehe, dass damit auch Dschihadisten unkontrolliert ins Land kommen. Das französische Gesetz müsse auch im Roya-Tal gelten.
    Klage wegen Ausweisung minderjähriger Flüchtlinge
    Fast dreihundert Bürger aus der Region klagen nun ihrerseits, weil die französischen Behörden auch minderjährige Flüchtlinge ausweisen, sie umgehend nach Italien zurückschicken. Doch das geschehe genauso wie die Grenzkontrollen derzeit im Einklang mit dem europäischen Recht, beteuert der Sprecher der Präfektur in Nizza. Italien sei wie Frankreich ein großes europäisches Land, das die internationalen Konventionen zum Schutz von Minderjährigen genauso anwenden müsse und deshalb auch die Pflicht habe, sich um diese ja in Italien angekommenen Kinder und Jugendlichen zu kümmern.
    Pierre-Alain Mannoni, dem vorgeworfen wird, illegal eingereiste Minderjährige bei einer Polizeikontrolle in seinem Auto versteckt zu haben, gibt sich dennoch zuversichtlich. Er verstehe gar nicht richtig, warum er angeklagt wurde. Denn es gebe keinen Zweifel daran, dass er aus humanitären Gründen gehandelt habe. Das habe sogar der Staatsanwalt eingeräumt. Doch der sagt auch, es sei ein Unterschied, Hilfe zu leisten oder illegal Eingereisten Unterkunft zu gewähren und sie zu transportieren. Wenn nächste Woche das Urteil gesprochen wird im Prozess gegen den Universitätsdozenten und auch gegen den Bergbauer Herrou, dann wollen ihre Mitstreiter wieder protestieren vor dem Gericht in Nizza.