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Matthias Dell
Der "Tatort" – oder das Rumgehasse danach

Die schönen Tage des frühen Internets und Kommentierwesens seien vorbei, stellt Matthias Dell fest. Dies zeige die aggressive Art und Weise, wie der ARD-Sonntagabendkrimi inzwischen diskutiert werde.

Von Matthias Dell | 15.06.2017
    Matthias Dell
    Matthias Dell (Daniel Seiffert)
    Ich bin ja nicht nur hier Kolumnist, sondern auch anderswo, ich schreibe zum Beispiel seit gut acht Jahren jeden Sonntag über den "Tatort". Wenn ich das anderen Leute erzähle, ernte ich meistens entschiedene Reaktionen: Die, die selbst gucken, wollen wissen, welches Team ich am meisten mag. Das heißt, eigentlich sagen sie mir, dass sie Münster mögen. Die, die nicht gucken, erklären dagegen, dass sie den "Tatort" für überschätzt halten, dass er sie nervt, dass sie das nicht verstehen können das ganze Trara. Und sie sagen mir das so, als wäre ich der "Tatort" oder zumindest dafür verantwortlich.
    Dabei sehe ich das Ganze leidenschaftslos. Ich bin weder Fan noch Hasser, für mich ist der "Tatort" Arbeit und dabei ein regelmäßiger Kontakt zum deutschen Fernsehfilm. Man kann das Wirken von Redaktionen und Regisseurinnen, Drehbuchautoren und Schauspielerinnen verfolgen, und das ist hilfreich für jemanden, der Kritiken schreibt.
    Was ich mag, ist die Regelmäßigkeit des "Tatort" oder besser: des "ARD-Sonntagabendkrimi", denn der "Polizeiruf" heißt ja nur anders, macht aber das gleiche. ARD-Sonntagabendkrimi ist wie Fußball-Bundesliga oder Stadttheater, die ziehen sich auch in Saisonform durch unser Leben, es gibt Highlights und es gibt Tiefpunkte. Und es gibt so Tage, und die gibt es am häufigsten.
    Beste Folge, bester Film?
    Ich dachte immer, man müsste die jeweilige "Tatort"-Spielzeit so bilanzieren, wie das die Kritikerumfrage im Jahrbuch von "Theater heute" macht: Beste Folge, tollste Newcomerin und so weiter. Der aufregendste ARD-Sonntagabendkrimi in der am Sonntag zu Ende gehenden Saison wäre für mich die Jubiläumsfolge aus dem November, der 1000. "Tatort", der genauso hieß wie der erste: "Taxi nach Leipzig" mit Borowski und Lindholm und der Fahrt durch Deutschland mit dem traumatisierten Bundeswehrsoldaten am Steuer.
    Im Jubiläumsfall sitzen die Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und ihr Berufskollege Klaus Borowski (Axel Milberg) gemeinsam im „Taxi nach Leipzig“.
    In der 1000. Tatort-Folge ging es mal wieder im Taxi nach Leipzig. (ARD/NDR/Meyerbroeker)
    Da gehen die Diskussionen vermutlich schon los. Denn was soll das heißen: Beste Folge, bester Film? Das Komische, Schwierige, aber eben das Erfolgreiche, weil Langlebige am "Tatort" ist ja nicht, dass es sich dabei um einen besonders tollen Krimi handelt. Sondern um eine ziemlich merkwürdige Form, die es so nur hierzulande gibt – eine Mischung aus Krimi und Talkshow; denn wenn der "Tatort" gesellschaftliche Probleme diskutiert, dann klingen die verschiedenen Positionen in der Regel wie der Sitzkreis der "Anne Will"-Runde danach.
    So entstehen selten gute Filme, aber dafür reden über den "Tatort" im Idealfall mehr Menschen als über die meisten anderen Filme. Um die zehn Millionen ZuschauerInnen, die ein Seherlebnis teilen – das ist eine ziemlich große Öffentlichkeit in Zeiten, in denen die Menschen nach Gehaltsklassen getrennt wohnen und in der Filterbubble ihres Supermarkts nur auf Leute stoßen, die genauso sind wie sie.
    Das Klima ist merklich rauer geworden
    Deshalb mag ich am ARD-Sonntagabendkrimi am meisten, dass man darüber reden kann. Das ist bei den Kritiken, die ich schreibe, angedacht, ja, das war der Gründungsgedanke. Dass die Leute kommentieren und diskutieren können. Am Anfang, auf freitag.de, war das eine große Freude. Die Leute, die unter den Kritiken schrieben, hatten Witz und einen Sinn für Schrulligkeiten, sie machten eigene Beobachten und gingen aufeinander ein. Friedlich war das auch nicht immer, aber selbst im Streit doch meistens schön.
    Seit dieser Saison schreibe ich nach zwei Vereinswechseln nun auf Zeit-Online. Und da ist das Klima merklich rauer, was nicht so viel mit Zeit-Online zu tun hat, sondern mit den Veränderungen in der Social-Media-Welt. Ist ja keine neue Erkenntnis, dass die schönen Tage des frühen Internets und Kommentierwesens vorbei sind. Aber man muss sich auch erstmal dran gewöhnen, dass schon die Pseudonyme der Kommentatoren aggro klingen, dass schlecht gelaunt geschimpft wird, dass es weder um den "Tatort" noch um die Kritik geht, sondern nur um Rumgehasse. Dass jemand die Verschwendung seiner GEZ-Gebühren beklagt, danach kann man die Uhr stellen.
    Immerhin ist es ein paar mal gelungen, ins Gespräch zu kommen: Einmal ging es vier, fünf Mal hin und her zwischen mir und einem Kommentator, der der Meinung war, dass die Deutschen immer die Bösen und die Ausländer immer die Guten sind. Der Austausch war interessant, es war zu spüren, wie anstrengend das Ringen ist zwischen der beruhigenden Kraft des Vorurteils und der harten Auseinandersetzung mit anderen Weltsichten. Wenn das der "Tatort" schafft, ist viel gewonnen.