Samstag mit Mondtag: Theaterkolumne

Das Theater ist kein Bordell des Mangels

Der Regisseur Ersan Mondtag
Theraterreagisseur Ersan Mondtag. © dpa/ picture alliance/ Sören Stache
Von Ersan Mondtag · 15.07.2017
Viel Heuchelei sieht Ersan Mondtag im Streit zwischen dem dramatischen und dem "postdramatischen" Theater. Vielleicht seien die jammernden Autoren einfach daran gescheitert, Charaktere zu schreiben, die die Kraft alter Texte haben oder den Witz von modernen Serien.
Die Heuchelei ist eine angeborene Krankheit der Demokratie. Denn dass das Volk herrsche, ist Unsinn. Aber jeder Politiker muss salbungsvoll behaupten, er glaube ganz fest daran. Und dieser Tage frisst sich die Heuchelei satt an zwei Diskussionen, die scheinbar nichts miteinander zu tun zu haben.
Das eine ist die Ehe für alle. Und das andere ist der Streit zwischen dramatischen und postdramatischen Theater. Da taucht regelmäßig ein Stückeschreiber im Feuilleton auf, der den Verlust des Menschendarstellers bejammert.

Die Heuchelei ist gewaltig

In beiden Fällen wird ähnlich argumentiert und vorgegeben, für etwas von Wert zu streiten. In beiden Fällen ist die Gegenseite schlichtweg vom Heil ausgeschlossen. In beiden Fällen trifft man auf den gleichen Humor: Bei der Ehe für alle witzelt man über das Heiraten von Kindern oder Tieren, auf der anderen Seite macht man sich dann über Leute lustig, die beim Versuch einen Roman zu schreiben, psychotisch wurden, weil sie vorher auch noch Adorno gelesen hatten.
Hauptsache, der andere wird denunziert und idealerweise kann man dabei noch Glucksen und sich aufs Schenkelchen klopfen.
Aber die Heuchelei ist gewaltig. Im Falle der Ehe für alle waren es die Gegner selbst, die die Ehe entwertet haben. Sie haben sie missbraucht als Schutzwall gegen die Gleichberechtigung von Lebensformen. Sie haben die Ehe nur noch gedacht, als das, was die Homos nicht haben können. Weil sie eben Homos sind. Weil es um die grundsätzliche Ablehnung einer Lebens- und Liebesform geht. Und jetzt tun sie alle ganz überrascht, weil man ihnen ins Gesicht sagt, dass sie natürlich homophob sind.
Heuchler sind aber immer überrascht, wenn man sie erwischt.
Die Ehe war nie gedacht als uneinnehmbare Burg gegen Schwule und Lesben. Sie wurde aber lange als eben diese Burg besetzt gehalten. Egal, was man vom Institut der Ehe selber halten mag, mit all dieser zementierten Monogamie und ihren obskuren Privilegien.
Jetzt endlich muss sich die Ehe nicht mehr in Geiselhaft nehmen lassen von Leuten, die beim Gedanken an LGBT sofort soviel Analverkehr im Kopf haben, dass die Schnappatmung einsetzt.

Der Untergang des Theaters wird beschworen

Und ähnlich wird jetzt auch der seltsame Streit zwischen dem angeblich dramatischen und dem sogenannten postdramatischen Theater geführt. Das dramatische oder auch erzählerische Theater ist in diesem Fall die Ehe. Von Menschen, die Menschendarsteller sehen wollen, wird geredet; von einem Fetisch um das Echte, das Authentische zugleich; von einem drohenden Theater ohne Autoren, ohne Stücke, ohne Geschichten.
Es wird der Untergang des Theaters selbst beschworen, genau wie die Gesellschaft ihre "Keimzelle" verlieren würde, wenn auf einmal Männer Männer und Frauen Frauen heiraten und das sogar genauso nennen dürfen.
Dabei herrsche doch Sehnsucht nach Charakteren, denn warum sonst sollte man denn den klassischen Kanon bespielen oder neuerdings Filme und Romane adaptieren.

Die, die jammern, sind gescheitert

Doch ist dies eine Heuchelei. Und vielleicht sind die Autoren, die so lautstark jammern, schlicht und ergreifend daran gescheitert, Charaktere zu schreiben, die die Kraft alter Texte haben oder den Witze von modernen Serien. Keinem Autor wird etwas weggenommen, wenn Stücke anders entstehen als in der einsamen Konzentration. Kein Schauspieler ist weniger Darsteller eines Menschen, wenn er keine Anfang-Mitte-Ende-Erzählung illustriert.
Der Theatertext wird also zur uneinnehmbaren Burg gegen das Performative. Die Lüge wird vor allem einem Publikum erzählt, das glauben soll, wenn kein sogenannter Autor einen inszenierten Text verantwortet: Dann gäbe es weder Erzählungen, noch Stücke, noch dramatische Situationen, noch Menschendarstellung. Damit wird dem Publikum aber jede Fantasie versagt. Dass das Publikum in einem assoziativen Abend all das sehen kann, was die strengste Dramenlehre gebietet: Dass es wie ein Kind sein kann, das in Wolken, Götter und Einhörner sieht – das darf nicht sein!
Der Text selbst wird dadurch banal, und sei er von Shakespeare oder Sophokles. Banal wie die Ehe, wenn sie nur ein Argument gegen etwas ist und nicht steht für die Möglichkeit der Schönheit ihrer selbst.

Rätselhafte Theatererlebnisse statt Heuchelei

Hinter beiden reaktionären Bewegungen stehen Verunsicherte. Vielleicht schlechte Konservative, vielleicht schlechte Autoren. Das Theater ist kein Bordell des Mangels.
Da sind die großen Stücke, die uns ansprechen, weil sie anders sprechen als wir. Und da sind die neuen, anders rätselhaften Theatererlebnisse, in denen wir andere vor allem anders sehen, als wir uns sonst sehen. Die Heuchelei, die da kämpft, ist die Angst eines eingebildeten Bedeutungsverlustes.
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