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EU-Emissionshandel
"Klimaziele sind damit nicht zu erreichen"

Der Kompromiss, der im europäischen Emissionshandel erzielt worden sei, komme zu spät, sagte WWF-Expertin Juliette de Grandpré im Dlf. Damit verliere man eine weitere Dekade. In Deutschland seien die Emissionen seit 2009 nicht gesunken. Was jetzt gebraucht werde, sei der Kohleausstieg.

Juliette de Grandpré im Gespräch mit Sandra Schulz | 09.11.2017
    Die Kohlendioxidemissionen auf der Erde. Rote Flächen zeigen hohe Konzentrationen etwa von Auspuffgasen. Blaue Flächen zeigen hohe CO2-Konzentrationen über städtischen Zentren.
    Die Kohlendioxidkonzentration auf der Erde: Blaue Flächen zeigen hohe CO2-Konzentrationen über Städten. Bei rote Flächen handelt es sich um hohe Konzentrationen etwa von Auspuffgasen. (dpa / picture alliance / Nasa)
    Sandra Schulz: Über die Einigung auf neue Regeln zum Emissionshandel konnte ich vorhin mit Juliette de Grandpré sprechen vom Fachbereich Klimaschutz und Energiepolitik der Umweltorganisation WorldWide Fund for Nature, WWF. Und ich habe sie gefragt, warum sie den Kompromiss für eine Schande hält.
    Juliette de Grandpré: Ja, es gibt mehrere Gründe. Erstens: Der Europäische Emissionshandel existiert seit zehn Jahren und hat bis heute zu keiner CO2-Emissionsminderung geführt, was eigentlich sein Ziel ist. Ein wirksames Preissignal gibt es bis heute nicht. – Zweitens: Die Regeln, die gestern beschlossen wurden, führen nur sehr langsam zu einer Verstärkung des Instrumentes. Das bedeutet, dass wir eigentlich noch mal eine Dekade verlieren. – Drittens – und das ist mein letzter Punkt: Sowohl die deutschen, aber auch die internationalen Klimaziele sind damit nicht zu erreichen. Ich will noch mal daran erinnern, dass in Deutschland die Emissionen seit 2009 nicht gesunken sind. Da muss man sich im Klaren sein. Den Klimavorreiter Deutschland gibt es nur auf internationalen Konferenzen.
    "CO2-Zertifikate können nach neuen Regeln gelöscht werden"
    Schulz: Aber wenn die Einigung jetzt nicht da wäre, dann bliebe ja alles so, wie es bisher war. Die Verschmutzungsrechte blieben so billig wie bisher. Was wäre denn dann besser?
    de Grandpré: Was ich gerade gesagt habe. Ich glaube, langfristig sind die Beschlüsse, die gestern beschlossen worden sind, schon ein Fortschritt, aber die kommen zu spät. Für uns ist es sehr wichtig, in der Zwischenzeit schon was zu machen und jetzt anzufangen. Was wir jetzt brauchen, um die deutschen Klimaziele noch zu erreichen, ist der Kohleausstieg. Das haben wir auch positiv kommentiert. Seit gestern steht der Emissionshandel nicht mehr im Weg. Nach den neuen Regeln können CO2-Zertifikate gelöscht werden, wenn die Bundesregierung Kohlekraftwerke vom Netz nimmt.
    Schulz: Das ist der Punkt, den Sie auch explizit gut finden jetzt an diesem Kompromiss?
    de Grandpré: Genau.
    "Für Unternehmen kein Anreiz, in Klimaschutz zu investieren"
    Schulz: Wenn wir das noch mal festhalten: Wir haben ja eine Verfünffachung – so ist es zumindest ausgerechnet worden – des Preises für jede Tonne Kohlendioxid, die in die Atmosphäre geblasen wurde. Die Unternehmen, die Industrie, die stöhnen schon jetzt darunter. Dass deren Interessen auch eine Rolle spielen mussten auch bei dieser Einigung – deswegen nennt sich das Ganze ja Kompromiss -, das sehen Sie schon?
    de Grandpré: Ich weiß jetzt nicht, wo Sie das mit dieser Vervierfachung herhaben. Wir haben ganz andere Zahlen. Letztendlich arbeite ich seit zehn Jahren zum Thema Emissionshandel und CO2-Projektionen habe ich sehr viele gesehen, und die haben eigentlich nie gestimmt. Deshalb bin ich damit sehr vorsichtig. Bis jetzt, seit 2009, haben wir einen CO2-Preis zwischen fünf und neun Euro, meistens zwischen fünf und sieben Euro, und damit entsteht einfach kein Preissignal. Das bedeutet, dass für die Unternehmen gar kein Anreiz entsteht, in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Und da möchte ich schon sehen, eine Verfünffachung würde bedeuten 25 bis 30 Euro. Das haben wir noch nie gesehen auf dem Markt und ich will das gerne sehen. Aber ich bin da sehr skeptisch.
    "Schwierig, seriöse CO2-Projektionen langfristig zu machen"
    Schulz: Das sind die Berechnungen eines Europaparlamentariers, der in der Tat von einem Preis von 25 Euro spricht, was ja diese Verfünffachung wäre. Da gibt es überhaupt keine Klarheit über die Zahlenbasis, über die wir sprechen?
    de Grandpré: Genau, weil da muss man sehr viele Annahmen treffen, um CO2-Preisprojektionen zu bekommen. Wir wissen nicht, wie das Wirtschaftswachstum sein wird. Wir wissen nicht, ob wirtschaftlich bestimmte Kohlekraftwerke beschlossen werden, was dazu führen würde, dass mehr Überschuss auf den Markt kommt, etc. Da sind jetzt so viele Annahmen, die es eigentlich sehr schwierig machen, seriöse CO2-Projektionen langfristig zu machen.
    "Ungefähr drei Milliarden Zertifikate zu viel auf dem Markt"
    Schulz: Aber woher wissen Sie denn dann jetzt schon, wenn es diese ganzen Unwägbarkeiten gibt, dass das alles nicht reichen wird?
    de Grandpré: Nein, wir reden eigentlich ungern über CO2-Projektionen, sondern über Volumen, und da sehen wir schon, es gibt ja im Moment ungefähr drei Milliarden Zertifikate zu viel auf dem Markt. Diese werden langsam weggehen durch die Verbesserungen, die gestern beschlossen worden sind. Aber wie gesagt: Aus unserer Sicht viel zu langsam, um in der Zwischenzeit effektiven Klimaschutz zu machen.
    "Riesen Zertifikatsüberschuss hat zu CO2-Preisverfall geführt"
    Schulz: Wenn Sie das entscheiden könnten, wenn man sich da nicht auch einigen müsste und wie gesagt auch die Interessen der Unternehmen, der Industrie mit berücksichtigen müsste, wie würden Sie dann jetzt bei diesem Instrument Emissionshandel nachsteuern?
    de Grandpré: Wir haben schon lange gefordert, dass der Überschuss vom Markt genommen wird, das heißt viel schneller. Dieses Instrument gibt es eigentlich seit 2005 und es wurden am Anfang zu viele CO2-Zertifikate den Unternehmen gegeben, sodass wir heute noch einen riesen Zertifikatsüberschuss schleppen. Der führt zu einem CO2-Preisverfall beziehungsweise der hat schon zu einem CO2-Preisverfall geführt. Diesen Überschuss schleppen wir immer noch, obwohl der schon eine Weile im System ist. Mit den Beschlüssen von gestern wird zum ersten Mal tatsächlich – das sehen wir auch positiv-. Dieser Überschuss langsam abgebaut, aber viel zu langsam.
    Schulz: Juliette de Grandpré von der Umweltorganisation WorldWide Fund for Nature heute bei uns im Deutschlandfunk. Danke dafür.
    de Grandpré: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.