Bündnis für Kreuzvielfalt an Bayerischen Hochschulen

"Das Kreuz prägt tiefer und anders, als man denkt"

Das Foto ""Untitled" der schwedischen Künstlerin Elisabeth Ohlson Wallin aus der Ausstellung Ecce Homo, Stockholm/Schweden, 1998.
"Untitled" von Elisabeth Ohlson Wallin: Auch die schwedische Künstlerin unterstützt die Aktion des "Bündnisses für Kreuzvielfalt an Bayerischen Hochschulen". © Elisabeth Ohlson Wallin
Von Tobias Krone · 01.06.2018
Das Kruzifix sei "Ausdruck kultureller und geschichtlicher Prägung", meint Markus Söder. Münchner Geisteswissenschaftler haben den bayerischen Ministerpräsidenten beim Wort genommen - und sich diese kulturelle Prägung genauer angesehen.
Eine der ältesten Kreuzdarstellungen des Abendlandes zeigt einen gekreuzigten Esel. In den Schriften aus dem dritten Jahrhundert wird beschrieben, dass es in Karthago derartige Karikaturen gab, mit der Überschrift: Koitis. Der Gott der Christen. "Was so viel heißt wie der, der bei den Eseln liegt, oder der von einem Esel Geborene", erläutert der evangelische Theologe Florian Wöller die Kritzelei hinter sich auf einer Leinwand in seiner Lecture-Performance.
Die Esels-Karikatur, die offensichtlich den Ur-Christen galt, wurde in Rom gefunden – in der Ruine einer römischen Behörde. Die Pointe des Vortrags: Die ersten staatlich verordneten Kreuze dienten der Verspottung von Christen.
Das Kruzifix als Ausdruck kultureller und geschichtlicher Prägung. In München, auf dem Platz vor der Ludwig-Maximilians-Universität leistet an diesem Abend eine Gruppe Geisteswissenschaftler Aufklärungsarbeit.
"Das ist so eine Art wissenschaftliche Performance, die wir hier machen", sagt die Komparatistik-Studentin Franziska Koohestani, die den Abend mitorganisiert hat. "Wir nehmen Söder sozusagen beim Wort, indem wir die kulturelle Prägung des Kreuzes darstellen. Und zeigen, wie breit das Kreuz eigentlich prägt. Also von den Anfängen – 238 ist das erste Kreuz datiert – bis hin zu 2018: Popkultur."

"Die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los"

Die Lecture draußen ist kein Seminar – sondern das Treffen einer Facebook-Gruppe, des sogenannten "Bündnisses für Kreuzvielfalt an Bayerischen Hochschulen". Ins Leben gerufen hat sie Jenny Willner, Dozentin für Literaturwissenschaft, die für Söders Erlass vor allem Spott übrig hat.
"Weiß Söder eigentlich, wovon er spricht, wenn er sagt, er meint es nicht als christliches, sondern als kulturelles Symbol?", fragt sie sich. "Hat er überhaupt eine Ahnung, was er sich ins Haus holt? Also, die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los, und jetzt hat er auch noch die Geisteswissenschaftler am Hals." - Die Geisteswissenschaftler posteten in ein paar Wochen knapp 1000 Kreuzdarstellungen aus Literatur, Kunst und Popkultur in die Gruppe.

Eine gottgemachte Dragqueen

Die Masterstudentin Elisa Purschke hat eine ganz besondere Kreuzdarstellung ausgegraben: die Wilgefortis. Oberflächlich betrachtet eine Jesusdarstellung im Frauengewand. Dabei ist es nicht Jesus, sondern Wilgefortis, eine gottgemachte Dragqueen, die im Spätmittelalter eine offizielle Heilige war.
"Sie ist eigentlich eingegangen in die Kulturgeschichte als eine transgeschlechtliche Heilige", sagt Purschke. "Und das fand ich spannend und habe mich auf Recherche begeben und habe da unter anderem rausgefunden, dass sie vor allem in Bayern sehr, sehr verbreitet ist, und sehr viele Kapellen immer noch ihrem Namen gewidmet sind."
Der Legende nach bat die Jungfrau Wilgefortis Gott, ihr Gesicht zu entstellen, damit sie keinen Mann heiraten müsse. Daraufhin ließ Gott ihr einen Bart wachsen – aus Zorn kreuzigte sie der Vater. Daraus entstand ein queerer Christenkult, der auch Söders Heimat prägte.
"Wenn man ein Symbol aufhängen möchte, das die kulturelle Prägung Bayerns zum Ausdruck bringt, ist die Wilgefortis eigentlich eine bessere Wahl als das Jesus-Kreuz", gibt Elisa Purschke daher als Empfehlung.
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