Donnerstag, 25. April 2024

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Schmochtitz in der Oberlausitz
Vom Rittergut zur Bildungsstätte

In der Oberlausitz gibt es den sehr kleinen Ort Schmochtitz, in dem sich ein großes, geschichtsträchtiges ehemaliges Rittergut befindet. Inzwischen ist daraus eine katholische Bildungsstätte geworden, die allerdings nur schlecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. In Schmochtitz ist dennoch viel los.

Von Sibylle Kölmel | 29.07.2018
    Die parallel stehenden beiden großen Wirtschaftsgebäude des ehemaligen Ritterguts in Schmochtitz
    Die parallel stehenden beiden großen Wirtschaftsgebäude des ehemaligen Ritterguts in Schmochtitz (Deutschlandradio/Sibylle Kölmel)
    Uwe Ziegenbalg, Küchenleiter Bischof-Benno-Haus: "Ja Schmochtitz ist der schönste Ort in Deutschland sage ich mal. Wenn ich das so sagen darf. Schmochtitz ist ganz einfach eine kleine Gemeinde, wir waren früher so 1960 170 Einwohner, jetzt sind wir zusammengeschrumpft auf circa 50, durch ein paar Neuzuzüge vielleicht auf 55 oder 60, ich hab’s nicht genau im Kopf, aber Schmochtitz ist einfach schön."
    Uwe Ziegenbalg sitzt in seinem – ziemlich – kleinen Büro unten im Keller des Haupthauses mit dem prachtvollen Foyer aus weissem Sandstein. Es ist Nachmittag und weiter vorne, in der angrenzenden großen Küche, wird schon mal Fleisch geklopft für abends, zum Grillen, für Tagungsteilnehmer. Uwe Ziegenbalg ist hier im Bischof-Benno-Haus der Küchenleiter, seit 25 Jahren, außerdem Schmochtitzer mit Herz und Leidenschaft – und da Schmochtitz so klein ist und alle irgendwie Nachbarn sind, ist er von Montag bis Sonntag Küchenleiter, manchmal Fluch und manchmal Segen, wie er sagt:
    "Ich hab ja keinen weiten Arbeitsweg, nein. Ich hab’s ja nur 200 Meter".
    Bewegte Geschichte des Rittergutes
    Draußen, im Freien, auf dem großen Platz, plätschert der Springbrunnen, um den Brunnen, stehen, im Bogen, weiße Holzstühle. Die Sonne scheint, hin und wieder schlägt die Glocke des Taufturms – sonst ist es still – und großzügig. Die Geschichte des Rittergutes und dessen zahlreicher Besitzer ist spannend und bewegt. In den 1980er-Jahren wurde hier auf dem Areal ein Münzschatz aus dem 12. und 13. Jahrhundert entdeckt; er deutet darauf hin, dass Schmochtitz damals eine Zollstation an der Via Regia war, die hier von Bautzen nach Kamenz führte. Das Rittergut existierte vermutlich bereits vor dem 14. Jahrhundert.
    Nachdem verschiedene Familien des Oberlausitzer Adels Eigentümer gewesen waren, gelangte es 1892 in die Hände von Otto Thost aus Zwickau, einem Industriellen, der die jetzt parallel stehenden beiden großen Wirtschaftsgebäude im Schweizer-Landhaus-Stil baute und die barocken Parkanlagen erweiterte. 1925, nach seinem Tod kauft das Anwesen: Das katholische Bistum Meißen – und baut es zum Priesterseminar um. Unter anderem der sorbische Märtyrer Alois Andritzki, der im KZ Dachau umgebracht wurde, wurde hier ausgebildet.
    "Mancher der hier reinkommt, fragt sich wie kann es sein, dass die kleine arme katholische Kirche in Sachsen sich mal ein Rittergut zugelegt hat. Da haben wir im letzten Jahr im Reformationsjahr immer gesagt: Das hängt mit Luther zusammen. Denn als Luther aktiv war, war das Bistum einige Jahre später nicht mehr existent. Und erst 1921 ist das Bistum wieder errichtet worden mit Sitz in Bautzen und nicht in Dresden oder Meißen und da hat man dann zur Ausbildung von Pfarrern eine schöne Stätte gesucht und ist auf das Rittergut Schmochtitz gekommen."
    Berichtet Peter-Paul Straube, studierter Theologe und Erziehungswissenschaftler, seit 1998 der Rektor des Hauses und gebürtig aus Werdau. 1945, im April, kurz vor Kriegsende, brennt das Haupthaus vollständig ab.
    "So konnte dann nach dem Krieg kein Seminar hier mehr stattfinden. Aber interessanterweise haben die Sowjets das Ganze nicht enteignet und so konnte die katholische Kirche bis zur Wende hier Landwirtschaft in eigener Regie durchführen lassen, es wurde nicht verpachtet, sondern die katholische Kirche war der Träger und so hat man auch den Grundbesitz erhalten können."
    Das Gut als Ansprechpartner
    Die KILAFO, die "Kirchliche Land- und Forstwirtschaft", hatte zu DDR-Zeiten hier ihren Sitz. Die verschiedenen Güter der Kirche, der evangelischen und katholischen, wurden von hier aus, DDR-weit, verwaltet. Die Schmochtitzerin Gertrud Ziegenbalg, 82, hat hier lange als Büroangestellte für die Landwirtschaft gearbeitet:
    "Das Gut das war immer so ein Ansprechpartner. Das Gut das gehört zu Schmochtitz, das ist ganz normal. Na und dann kam die Wende, und dann kam wirklich die Wende, und dann wurden nicht mehr alle Leute gebraucht und ich bin dann mit 56 ausgeschieden und in die Vorruhe gegangen. Und ich hatte dann eigentlich auch schon ein bisschen genug aber auf der anderen Seite braucht man ja seine Arbeit. Die Arbeitsjahre für die Rente. Und die fehlten mir dann."

    Das Bistum Dresden-Meißen begann das abgebrannte Herrenhaus bereits zu DDR-Zeiten wieder aufzubauen, die alten Baupläne lagen noch auf einem Schmochtitzer Dachboden. 1992 dann eröffnete das Bischof-Benno-Haus als Tagungs-, Veranstaltungs- und Erholungsort. Sechs große Gebäude, 80 Zimmer – und Ferienwohnungen in einem separaten Haus. Ansgar Hoffmann arbeitet hier als Bildungsreferent und ist zum Beispiel mit zuständig für Projekte mit jungen Straftätern:
    Allee in Schmochtitz
    Allee in Schmochtitz (Deutschlandradio/Sibylle Kölmel)
    "Das nennt sich sozialpädagogisches Pilgern. Die laufen 80 Kilometer quer durch Sachsen innerhalb einer Woche, bekommen das als Trainingskurs angeboten, da ist ein Sozialpädagoge dabei und kommen hierher zu uns, als eine der Herbergen und leisten hier gemeinnützige Arbeit, damit ihre Sozialstunden ab, und bekommen aber auch Trainings. Der eigentliche Gedanke aber ist der, den Leuten durch das monotone Laufen, durch die Anstrengung auch, sie in einen anderen Kontext zu führen, in die Irritation zu führen."
    "Diese Mauern, die halten, die sind stabil"
    Gerade verbringt eine Gruppe ehemals pflegender Angehöriger hier ein paar Tage – die Frauen und ein Mann haben alle ihre an Demenz erkrankten Partner gepflegt, jetzt, nach deren Tod, treffen sie sich einmal im Jahr hier in Schmochtitz. Sie kommen aus der Gegend, aus Meißen, aus Weinböhla, zum Teil von weiter weg.
    "Wenn die Einladung kommt, bin ich glücklich, vor allem man kann, mir geht es so man kann direkt mal abschalten."; "Wir sind alle fast Einzelgänger sag ich mal und hier können wir uns austauschen und auch mal lustig sein."
    Maria Wenk, Pädagogische Mitarbeiterin, führt die Gruppe durch den Innenraum der Kirche, in der auch evangelische Gottesdienste stattfinden. Untergebracht ist sie in der ehemaligen Scheune, dem ältesten Gebäude auf dem Rittergut-Gelände. Den auferstandenen Christus, den Glockenturm und den Altarbereich gestaltete ein Künstler aus Dresden.
    "Die Mauern mit den Steinen, mit den unterschiedlichen Steinen, mit den großen und Kleinen und ich sag immer: Genauso wie diese Mauern sind, so sind auch die Gäste die zu uns kommen, also kleine Gäste, große, junge, alte, Gäste mit ganz ganz verschiedenen Ansichten, mit verschiedenen Problemen, Freuden, Talenten, so wie das Leben sie gestaltet, und das macht auch das Leben in unserem Haus schön, das macht die Begegnungen schön und das hält. Diese Mauern, die halten, die sind stabil."

    Stabil ist das Leben in Sachsen leider nicht überall und die Bilder des brennenden ehemaligen Hotels und Restaurants "Husarenhof" in Bautzen, in das Flüchtlinge einziehen sollten, sind vielen noch sehr präsent. Was macht das Bischof-Benno-Haus gegen die Angst vor dem Fremden? Gegen den Hass?
    Peter-Paul Straube: "Das ist ein komplexes Thema. Also ich gehe davon aus, dass präventiv schon viel laufen kann, im Vorfeld, bis es dazu kommt. Meinetwegen versuchen wir, mit Jugendlichen Projekte zu machen die dahingehend hier die Möglichkeit haben mit Menschen zusammenzutreffen, die im KZ waren, in der Ukraine, in Polen, oder mit Menschen die 45 jung aus dem Sudetenland fliehen mussten oder vertrieben wurden. Die kommen jetzt hier mit Jugendlichen zusammen und sind drei Tage in Kleinstgruppen und berichten über ihr Leben, da denke ich, dass solche Leute die sowas mitgemacht haben ein Stück weit auch gefeit sind gegenüber rechten, populistischen Fängern, die versuchen wollen, irgendwelche Leute unter ihre Fittiche zu bekommen."
    Mehrere Planwagen fahren auf der alten Handelsstraße "Via Regia" nahe Schmochtitz
    Planwagenfahrt auf der alten Handelsstraße "Via Regia" nahe Schmochtitz (Picture Alliance / Arno Burgi)
    Pflege der sorbischen Kultur
    Und: Da das Haus in der Oberlausitz steht, soll die sorbische Kultur gepflegt – und umfassend vermittelt werden:
    "Zunächst haben die Sorben eigene Veranstaltungen auch in sorbischer Sprache hier bei uns, zum anderen findet bei uns im Jahr vielleicht 20 bis 25 Mal ein sorbischer Abend statt, da laden wir Gruppen dazu ein, wenn die hier im Haus sind, die dann von Musikern, von Tänzern in die sorbische Kultur und Geschichte und Sprache eingeführt werden."
    Uwe Ziegenbalg, der Küchenleiter vom Anfang, ist heute 61. Einmal in seinem Leben war er länger weg von hier: Sieben Wochen am Stück, zur Reha.
    "Schmochtitz ist ein Ort, wo die Häuser immer nur so groß waren, dass nur eine Familie darin wohnen konnte. Also die Leute sind alt geworden, die sind gestorben, dann haben die Kinder das übernommen und dann sind die wieder alt geworden und so ist das weitergegangen. Das waren kleinere Wirtschaften, die ja in Schmochtitz waren, und alles, was an jungen Leuten jetzt hier dazu gekommen ist, hat eben durch Um- und Ausbau der Grundstücke, durch fehlende Landwirtschaft, Gebäude gewonnen und das sind dann die jüngeren Leute, die hiergeblieben sind. Also jetzt direkt einen Grund aus Schmochtitz wegzugehen sehe ich gar keinen, aus Schmochtitz rauszufahren: Ich möchte mal ein paar Leute kennenlernen.