Aus den Feuilletons

Über das Suchtpotenzial von Facebook und Co.

04:11 Minuten
ILLUSTRATION - Ein nach oben zeigender Daumen ("gefällt mir") spiegelt sich am 28.06.2013 in Münster (Nordrhein-Westfalen) im Auge des Betrachters
"Sucht ist die zwanghafte Abhängigkeit von einem Handlungsmuster oder einer Substanz, die dem Süchtigen schaden", sagt Nir Eyal. Auf Social Media treffe das nicht zu. © dpa / Friso Gentsch
Von Tobias Wenzel · 01.01.2020
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Ist Facebook eine Droge oder eine Gewohnheit? Was würde passieren, wenn man es abschalten würde? Für den Informatiker Nir Eyal kein Grund zur Sorge, schließlich kann man weder Facebook rauchen, noch Instagram injizieren. Nachzulesen in der "SZ".
Wünschen Sie, liebe Hörer, sich beim nächsten Mal einen Roborder unterm Weihnachtsbaum? Nein, keinen Roboter, sondern einen Roborder. Einen Roboter, der die Grenze überwacht, zum Beispiel die zum Nachbarsgrundstück. Ist aber, wenn man Björn Brinkmanns Artikel für die TAZ glauben darf, noch gar nicht für die private, sondern nur die europäische Grenzsicherung vorgesehen:
"In Zukunft soll eine vernetzte Armada aus Drohnen in der Luft, an Land sowie in und unter Wasser ein lückenloses Live-Monitoring ermöglichen", schreibt Brinkmann. Und dieses Projekt habe in Brüssel den Namen "Roborder" bekommen. Auf dem Chaos Communication Congress in Leipzig wurde darüber gesprochen, wie Flucht im digitalen Zeitalter abläuft und von den Staaten beziehungsweise der EU kontrolliert wird.

Kritik am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Die Informatikerin und Journalistin Anna Biselli kritisiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF. Das werte zur Identitätsüberprüfung Handydaten von Flüchtlingen aus, die keinen Pass vorzeigen könnten. Eine Spezialsoftware durchforste die Smartphones und gebe eine Einschätzung zur Herkunft ab. Für Biselli verfassungswidrig. Außerdem werte das BAMF Anhörungsprotokolle mithilfe künstlicher Intelligenz aus. Die TAZ zitiert die Informatikerin mit den Worten:
"Wenn die Schufa mit intransparenten Algorithmen darüber entscheidet, wer einen Handy-Vertrag bekommt, regen wir uns auf." Aber bei den Flüchtlingen sei die Lage viel extremer. Natürlich, so Björn Brinkmann in seinem Artikel, bringe die digitale Technik auch Vorteile für Flüchtlinge: Mit ihren Smartphones würden sie zum Beispiel Routenplaner nutzen und sich über Facebook-Gruppen von Hilfsorganisationen miteinander vernetzen.

Facebook - Sucht oder Gewohnheit?

"Facebook ist gar keine Droge", sondern nur eine Gewohnheit, behauptet der Informatiker Nir Eyal im Gespräch mit Andrian Kreye für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Wo denn die Grenze zwischen Gewohnheit und Sucht verlaufe? "Eine Gewohnheit ist eine Handlung, die keine Reflexion benötigt", antwortet Eyal. "Sucht ist die zwanghafte Abhängigkeit von einem Handlungsmuster oder einer Substanz, die dem Süchtigen schaden. Aber wir rauchen Facebook ja nicht und injizieren kein Instagram." Außerdem gebe es dort keinen Dealer.
Sind Facebook und Instagram nicht Drogenhersteller und Dealer zugleich? Möchte man beim Lesen den Informatiker fragen. Andrian Kreye hakt anders nach: "Aber wir sind doch anfällig für digitale Abhängigkeiten." Darauf Nir Eyal: "Das liegt daran, dass Technologie so überzeugend ist. Aber wir leben ja nicht in einem Vakuum. Die Leute haben früher mehr Alkohol getrunken, sie haben mehr ferngesehen. Würde Mark Zuckerberg Facebook abschalten, glauben Sie, dass dann alle anfangen, Shakespeare zu lesen?"

Erstmals übersetzte Beckett-Erzählung

Das vielleicht nicht. Aber wenigstens Beckett? Dessen Erzählung "Echos Knochen" liegt nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vor. Am Schluss beobachtet ein Mann, die Hauptfigur Belacqua, wie sein eigenes Grab von einem Totengräber ausgeschaufelt wird, aber keine Knochen, sondern nur Steine zum Vorschein kommen, verrät Lothar Müller in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und zitiert aus der Erzählung:
"Nieder sauste die Hacke auf den geheiligten Moder wie der Rammbär im Märchen, ein Schlag wie selten einer, der Grabstein wankte, von Belacquas letzter Ruhestätte spritzte eine Sandfontäne hoch – ihm ins Auge." Für Samuel Becketts Lektor Charles Prentice war das zu viel. 1933 lehnte er eine Veröffentlichung der Erzählung ab. "Sie ist ein Albtraum", schrieb er dem Autor. "Sie macht mich ganz kribbelig."
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