Der Theaterautor Björn SC Deigner

"Ich empfinde historische Distanz als fruchtbar"

05:32 Minuten
Auf einer Bühne, die nur von Leuchtröhren erleuchtet ist, stehen Polizisten in Uniform.
Das Ensemble zu "Die Polizey" am ETA Hoffmann Theater in Bamberg. Björn SC Deigner nahm Schillers Ideen zum Ausgangspunkt seines Stücks. © Martin Kaufhold
Von Barbara Behrendt · 10.10.2020
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Ob Reichsbürger oder Kritik an den Polizeistrukturen: Björn SC Deigners Theaterstrücke wirken oft gespenstisch prophetisch. Dabei findet er seine Stoffe vor allem beim Blick in die Geschichte und im Archiv. Jetzt läuft "Die Polizey" in Bamberg.
"Die Polizei muss oft das Üble zulassen, ja begünstigen, um das Gute zu tun oder das größere Übel zu entfernen": Die kleine Straftat begünstigen, um das große Verbrechen zu ahnden, so steht es im Fragment "Die Polizey", an dem Friedrich Schiller bis zu seinem Tod arbeitete. Viel ist nicht erhalten geblieben: ein paar Skizzen, Ideen – mehr Stoffsammlung als Stückentwurf. Diese wenigen Seiten hat Björn SC Deigner nun zum Ausgangspunkt seines neuen Stücks gemacht:
"Das war meine große Hoffnung, als ich dem Fragment von Schiller begegnete, dass er schon zur damaligen Zeit den Polizeiapparat mit einer großen Hellsichtigkeit betrachtet: die Verwicklungen und die Graubereiche, in denen Polizei agieren muss. In der Mitschuld, in der Polizei auch agieren muss. Zu einer Zeit, in der Polizei, wie wir sie kennen, eigentlich erst erfunden wird. Da hatte ich den eindeutigen Impuls, dass darin genug Aktualität begraben liegt."

Von Schillers Zeiten bis zum NSU

Zwei Wochen, nachdem Deigner den Text ans ETA-Hoffmann-Theater in Bamberg geschickt hatte, wurde in den USA George Floyd von Polizisten ermordet. Ändern wollte der Theater- und Hörspielautor nachträglich aber nichts an seinem Stück. Zum einen, weil er die amerikanische Polizeigewalt nicht mit der deutschen gleichsetzen mochte. Und zum anderen:
"Ich habe als Autor gar nicht so sehr das Bedürfnis, Tagesaktuelles reinzubringen, auch weil ich skeptisch bin, was meine Position als Zeitgenosse angeht. Ich empfinde historische Distanz immer als fruchtbar, weil ich den Vorsprung von 200 Jahren habe, um auf Schiller zu schauen, um auf Paris um 1800 zu schauen. Meine eigene Lesart von Realität empfinde ich immer als defizitär."
Das ist ungewöhnlich, geht es zeitgenössischen Autoren doch oft um ihre persönliche, heutige Sicht auf die Dinge. Deigners Stück hingegen ist gerade deshalb spannungsreich, weil er den Blick durch die Jahrhunderte schweifen lässt: von der Entstehung der französischen Polizei bei Schiller ins deutsche Kaiserreich, die NS-Zeit bis in die jüngere Vergangenheit.
Auch Rostock-Lichtenhagen und der NSU kommen vor – als zwei von vielen Puzzleteilen zum Umgang des Polizeiapparats mit rechtsradikalen Straftaten. Die Verstrickung von Teilen der Institution in rechte Organisationen wie den Ku-Klux-Klan schwingt immer mit, wie in dieser Szene etwa:
Anwältin: "Sie waren Mitglied im KKK."
Zeuge: "Ja. Na ja. Ich habe das Aufnahmeritual gemacht, aber ich hatte keinen Mitgliedsausweis."
Anwältin: "Sie sind Polizeibeamter. Sie haben sich sicher informiert, was der Ku-Klux-Klan ist."
Zeuge: "Über meine eigene Blödheit ärgere ich mich heute genug, das ist klar."
Anwältin: "Sie bleiben also dabei, dass Sie dem Klan vorrangig beigetreten sind, um nette Gesellschaft zu haben und Frauen kennenzulernen."
Zeuge: "Ja, das stimmt so."

Politisch sein, ohne didaktisch zu agieren

Man kann dem vielstimmigen Stück Geschichts-Hopping vorwerfen. Doch das breite Tableau an belegten rechten Tendenzen, die Deigner gesammelt hat, ist eindrücklich. Während sein Vorgängerdrama "Der Reichskanzler von Atlantis", eingeladen zum Heidelberger Stückemarkt, die Reichsbürgerszene in eine groteske Farce gießt, ist "Polizey" ein düster-abgründiger Text, der den Chor über die Einzelstimme stellt und verdeutlicht: Das Personal wechselt, die Mechanismen bleiben ähnlich.
Deigner, so sagt er selbst, empfindet sich als politischer Autor, der jedoch nicht didaktisch agieren, es nicht besser wissen möchte. Seine Dramen seien Spielmaterial, für die er die Verantwortung immer noch gern abgebe, sobald die Regie hinzukomme.

Debatte um Umgang mit Stücken

Auch das verwundert, erinnert man sich an das Desaster bei den Berliner Autorentheatertagen 2018. Deigners Doku-Drama "In Stanniolpapier" war damals zur Uraufführung ausgewählt worden. Der Regisseur Sebastian Hartmann verkehrte die Geschichte einer ehemaligen Prostituierten, die sich gegen die Stilisierung als Opfer der Verhältnisse wehrt, in genau das: ein nacktes Opfer, brutal und pornografisch auf der Bühne erniedrigt.
Deigner macht dafür nicht die Regie verantwortlich, sondern das Theater. Er möchte analysieren:
"Wenn man diesen Vorgang als Phänomen ernst nimmt, wäre es vielleicht lohnenswert nachzudenken: Was bedeutet das? Wertefrei. Bedeutet der Umgang mit Theaterstücken im Jahr 2018 vielleicht, dass das eine Abraumhalde für Ideen der Regie ist? Das kann sein. Dann würde mich eher interessieren, welche Regelungen wir finden, wie offen wir damit umgehen können, sodass wir kein verdecktes Spiel spielen. Letzten Endes hat man diese Chance verpasst und das finde ich auch hier wieder die größte Tragik am Ganzen."
Ganz verpasst blieb die Chance allerdings nicht: Der Vorfall löste auch medial eine große Debatte über den Umgang mit neuer Dramatik aus, die längst nicht beendet ist.

"Die Polizey"
Von Björn SC Deigner nach einem Fragment von Friedrich Schiller
Regie: Daniel Kunze
Mit: Daniel Dietrich, Stefan Herrmann, Ewa Rataj und Anne Weise
Premiere am Theater Bamberg am 11. Oktober

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