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Der Mensch als Ware

Seit Graig Venter vor sieben Jahren den genetischen Code des Menschen vorlegte, schwankt die Gentechnik zwischen Hoffnungen und Befürchtungen. In die vielfach ideologisch geführte Debatte mischen sich Unkenntnis in der Sache und kommerzielle Interessen. Der Publizist Stefan Rehder versucht, in seinem Buch diesen anderen Motiven auf den Grund zu gehen.

Von Reinhard Backes | 15.10.2007
    In den Gesellschaften der westlichen Hemisphäre mit zunehmend alternden Bevölkerungen ist der Gesundheitsmarkt lukrativ - und hart umkämpft. Die neuen Möglichkeiten der Gentechnik versprechen hohes Prestige und sehr viel Geld. Graig Venter selbst gründet bereits Ende der 1990er Jahre eine eigene Firma, Celera Genomics. Seinen Namen synonym für clevere Vermarktung zu nennen, ist deshalb durchaus berechtigt. Was aber passiert eigentlich in den Labors? Nach welchen Kriterien - und ethischen Maßstäben - wird geforscht?

    Der Pattloch-Verlag hat sich dieser Fragen angenommen. Mit "Gott spielen - Im Supermarkt der Gentechnik" liegt jetzt ein Buch vor, das kritische Fragen stellt - und eindeutig Stellung bezieht: Der Mensch ist zur Ware geworden, einer "wertvollen, die hohe Rendite verspricht". Der Autor, Stefan Rehder, der sich seit Jahren mit der Thematik befasst, dabei Ethik grundsätzlich vor Kommerz stellt, nimmt seinen Lesern gleich zu Beginn jegliche Illusionen: Er schreibt:

    Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie feststellen, dass Betrug in der Wissenschaft keine Seltenheit ist und Geld längst auch die Welt der Wissenschaft regiert. In ihr wird verschwiegen, gelogen und betrogen, was das Zeug hält. Sie werden die inhumanen Seiten des medizinisch-technischen Fortschritts kennen lernen und zum Beispiel erfahren, was Post- und Transhumanisten sonst noch alles anstreben. Und Sie werden damit konfrontiert, dass Eugenik kein Gespenst von gestern, sondern allgegenwärtige Realität ist.

    Was der Aachener Journalist auf 240 Seiten zusammenträgt, ist bemerkenswert. Zwar haben Skandale immer wieder ein wenig Licht ins Dunkel mancher Labors gebracht - etwa, dass der südkoreanische Forscher Hwang Woo Suk, der 2004 behauptet, aus 242 weiblichen Eizellen 30 menschliche Embryonen geklont zu haben, um Stammzell-Linien zu etablieren, Wissenschaft und Öffentlichkeit betrogen hat; das Ausmaß an Betrügereien, bewusster Irreführung und Verschleierung, das Rehder offen legt, erstaunt allerdings. Dass - wie zum Beispiel unter der Regie von Hwang Woo Suk geschehen - im Namen der Wissenschaft tausende Embryonen künstlich erzeugt und getötet werden, oder dass Szenarien, die baldige Erfolge für konkrete Leiden dank wissenschaftlicher Forschung an embryonalen Stammzellen versprechen, unhaltbar sind, ahnen die wenigsten.

    Das Publikum - so der Autor - wird an der Nase herumgeführt. Der Kampf um die wirtschaftliche Nutzung der Gentechnik ist ein Kampf um Worte: Wer die Begriffe besetzt, bestimmt über die Medien die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Denn die Wissenschaft ist auf private oder öffentliche Geldgeber angewiesen. Niemand kann sich erlauben, etwas zu tun, dass ethisch nicht vertretbar wäre. Ein solcher Makel muss unter allen Umständen vermieden werden:

    Seriös kann der Naturwissenschaftler über den Embryo nicht viel mehr sagen, als dass er aus Zellen besteht. Ihn als "Zellhaufen" zu bezeichnen, stellt bereits eine Abklassifizierung dar; eine negative Wertung, hinter der unausgesprochen die unwissenschaftliche Behauptung steckt, dieser sei "nichts anderes als" das. Wäre dies anders gemeint, als hier unterstellt, müsste von jedem Lebewesen als "Zellhaufen" gesprochen werden. Denn auch der ausgewachsene Mensch besteht ja aus Zellen. Es gibt "Wissenschaftler", die nicht einmal davor zurückschrecken, den ausgewachsenen Mensch derart unterzubestimmen: "Wir sind Überlebensmaschinen - Roboter, blind programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden", schreibt etwa der Soziobiologe Richard Dawkins. Auch hier schwingt das "nichts anderes als" unausgesprochen mit.

    Die Logik solcher Argumente ist offensichtlich: Ist der Ungeborene, der Mensch in seinem verletzlichsten Stadium, kein Mensch mehr, wird er zum Material, das sich beliebig erzeugen, verwerten, aber auch "verwerfen" lässt - wie es bezeichnenderweise unter Wissenschaftlern heißt. Das Buch zeichnet diese Versuche nach. Es beschreibt konkrete Fälle, nennt die Abläufe und Beteiligten. Was Stefan Rehder schildert, dürfte niemanden kaltlassen, denn Krankheit, Leben und Tod berühren letztlich jeden zutiefst - und sie berühren die Würde des Menschen, ethische Fragen also. Gerade deshalb verdient "Gott spielen. Im Supermarkt der Gentechnik" viele Leser.

    Ein Beispiel: Ende August 2000 wird im US-amerikanischen Minneapolis ein kleiner Junge geboren, den seine Eltern Adam nennen. Bei der Geburt werden der Nabelschnur des Neugeborenen Zellen entnommen, die anschließend im Labor kultiviert werden. Adams sechs Jahre ältere Schwester Molly leidet an einer seltenen Erbkrankheit. Ohne einen passenden Zellspender müsste das Mädchen voraussichtlich sterben. Dank Adams Geburt kann Molly hoffen. Stefan Rehder kommentiert:

    Im Grunde wäre die Geschichte von Molly und Adam eine wunderschöne. Bedauerlicherweise hat sie jedoch einen Haken: Sie ist noch nicht zu Ende. Denn Adam war nicht Mollys einziger Bruder. Außer Adam besaß Molly noch 14 weitere Geschwister. Wie Adam wurden auch sie alle im Reagenzglas erzeugt und danach einer Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, unterzogen. Da alle vierzehn Embryonen jedoch dieselbe Erbkrankheit wie Molly aufwiesen und daher zu ihrer Heilung nichts beitragen konnten, wurden sie - wie das in der Fachsprache der Ärzte heißt - verworfen. Einzig und allein Adam, der 15. Embryo, überlebte den Gen-Check, denn er besaß schließlich jene Zellen, die Molly für ihre Genesung so dringend benötigte.

    Das war eine Rezension von Reinhard Backes zu dem Buch von Stefan Rehder, Gott spielen - Im Supermarkt der Gentechnik, erschienen bei Pattloch in München, 240 Seiten zu 16 Euro 95.