Ich bin ein Nichtwähler

26.05.2009
Die Parteien bereiten sich auf die Europa- und Bundestagswahl vor. Doch ob Parolen oder Plakate die Wähler an die Urnen treiben können, ist fraglich. In Mönchengladbach ist die Wahlenthaltung seit Jahren besonders hoch. Weshalb das so ist, hat Gabor Steingart in seinem Buch "Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers" untersucht.
"Für den Inhalt sind die Parteien verantwortlich."

Worüber ärgern sich Politiker mehr? Über eine niedrige Wahlbeteiligung oder über ihre Politik?

Mönchengladbach. Lediglich 45 Prozent der Bürger gingen bei der jüngsten Kommunalwahl wählen. Bei der letzten Europawahl steuerten gar nur 33 Prozent die Wahlurne an.

Seit 1975 sind die Mönchengladbacher messbar wahlenthaltsamer als der Rest der Republik. Im Schnitt um 6,7 Prozentpunkte. Das besagt eine Studie der Hochschule Niederrhein. Sie wurde im Auftrag der Stadt erstellt und gibt den Kreuzchen-Verweigerern ein Gesicht: junge Menschen mit null Bock auf Politik, "Verwaltungsfrustierte" aus allen Milieus sowie "Saturierte" aus der Mittelschicht.

Frau: "Zur Politik kann ich überhaupt nichts sagen, weil mich da eigentlich nicht wirklich was interessiert. Ich gucke zwar Nachrichten. Ich höre auch Radio, aber so – nicht wirklich."
"Wählen gehen? Na ja, es wird ja doch meistens nicht das gewählt, was man sich eigentlich erhofft."

Eine 23-jährige Mutter, der Sohn sitzt im Buggy. Eigentlich genau das Zielpublikum des Kinderfestes auf einem Reiterhof am Ortsrand von Mönchengladbach-Giesenkirchen. Der SPD-Ortsverein hat zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt eingeladen. Kostenfreies Ponyreiten, Eierlaufen, Sackhüpfen und Torwandschießen. Die Mutter der 23-Jähjrigen hat dieses Programm nicht nötig. Sie geht zur Wahl - anders als ihre Tochter.

Tochter: "Ja, wir reden schon da drüber. Aber ich denke, die müssen erstmal selber ihre Erfahrungen machen. Und jede Stimme, die nicht wählen geht, wählt den falschen, ja?"

Hinter einem Tisch hebt ein SPD-Landtagsabgeordneter unermüdlich Blechbüchsen auf. Er stapelt sie zu Pyramiden, damit zwei Jungen weiter mit Bällen auf sie werfen können. Einem Großvater gefällt das Kinderfest, aber nicht die Politik der Parteien.

Mann: "Es ist wirklich nett. Aber man hat so viel mitbekommen. SPD, CDU, die ganzen Wahlen, unterm Strich bleibt nichts. Ich bin selber Hartz-IV-Empfänger, ich kann mitreden. Ich weiß nicht, wen ich wählen soll. (…) Mit 351 Euro – da muss ich mich von bekleiden, leben. Da kann man sich nichts von leisten. Wir haben die höchste Quote in Mönchengladbach von Nordrhein-Westfalen mit Arbeitslosenzahlen. Was wählt man? Linke, Rechte? CDU? SPD? FDP? Man weiß es gar nicht, was man wählen soll. Die NPD sowieso nicht."

Er wird nicht wählen gehen. Typisch für Mönchengladbach.

Seit 35 Jahren liegt die Wahlbeteiligung im deutlich unter dem Schnitt Nordrhein-Westfalens. Bei der letzten Kommunalwahl war der Abstand zum NRW-Schnitt noch deutlicher. Nur 45 Prozent gaben ihr Votum ab, das waren noch einmal 9,3 Prozent weniger als im Land.

Weil die Stadt Mönchengladbach mehr wissen wollte über den Bürger, der bewusst vom Nichtwahlrecht Gebrauch macht, ließ sie Ursachenforschung betreiben. Der Auftrag nebst vielen Statistiken ging an die Hochschule Niederrhein. Akribisch vergleich der Wirtschaftswissenschaftsprofessor Ingo Bieberstein die Stimmbezirke mit den Sozialdaten der Stadtteile. Wenig überraschend: Mit vielen Hartz-IV-Empfängern verfärbte sich auch die Nichtwähler-Grafik dunkelrot.

Bieberstein: "Überall dort, wo wir eine geringe Wahlbeteiligung haben, haben wir diese Bürger, die in diesen prekären Verhältnissen leben, sozial schwache, mit Migrationshintergrund. Diese Korrelation stimmt. Also überall dort, wo wir benachteiligte, sozial schwächere Stadtteile haben, dort haben wir auch Wahlbezirke mit einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung."

Forscher nennen das "die Gruppe der Prekären", Politiker Wahlmüdigkeit.

Mönchengladbach war bis zum Zusammenbruch der Textilindustrie eine Arbeiterstadt. Die Fabriken sind längst zu. Und die mal Arbeiter waren, wohnen noch immer hier. zehn Prozent der Mönchengladbacher beziehen derzeit Arbeitslosengeld II. Und: 27,5 Prozent aller 14-Jährigen sind Hauptschüler.

Zum Vergleich: In der Uni- und Verwaltungsstadt Bonn sind es nur zwölf Prozent Hauptschüler. Entsprechend glänzend steht Bonn bei der Wahlbeteiligung da. Dort gingen nur 19 Prozent bei der Bundestagswahl nicht hin, in Mönchengladbach waren es aber 27, 5 Prozent. Im Innenstadtbezirk Speick-Westend-Altstadt Süd blieben gar 39 Prozent zu Hause.

Wer lebt nun im Innenstadtbezirk Speick-Westend-Altstadt Süd? Die Antwort der Studie ist eindeutig wie unbequem. Die auffallend niedrige Wahlbeteiligung falle zusammen mit – Zitat - "hohen Arbeiteranteilen, hohen Arbeitslosenanteilen, niedriger Wirtschaftskraft, negativen Einkommensabweichungen vom Durchschnitt, hohen Anteilen allein erziehender Haushalte und entsprechend geringen Anteilen von Ehepaaren mit Kindern und hohen Ausländeranteilen."

Dieser Ortsteil ist der Stimmbezirk von Stadtrat Michael Hildemann, einem Sozialdemokraten. Er weiß, dass bei der letzten Kommunalwahl hier der Minusrekord aufgestellt wurde, noch viel weniger abstimmten als bei der Bundestagswahl: Zwei Drittel blieben einfach zu Hause oder gingen das Lokal ihrer Wahl statt ins Wahllokal. Und zwei NPD-Stadträte holten sich ihre Stimmen. Michael Hildemann:

Hildemann: "Man empfindet das als ungerecht, weil man viel Lebenszeit einsetzt für diese Arbeit und dann es nicht gewürdigt wird. Auf der anderen Seite: Dankbarkeit ist keine Kategorie in der Politik. Man empfindet es als ungerecht, weil viel Arbeit einfach nicht gesehen wird."

Das Kinderfest des SPD-Ortsvereins Gelsenkirchen zieht sehr verschiedene Besucher an. Auch einen Mann mit Familie, der seit zwölf Jahren kein Wahllokal mehr betreten hat. Als er kommt, verlässt Oberbürgermeister Norbert Bude gerade die Reithalle. Der OB will ins Fußballstadion, um der Borussia bei einem wichtigen Heimspiel gegen den Abstieg die Daumen zu drücken:

Mann: "Vielleicht ist es auch ein bisschen Faulheit, Unwissenheit, wie auch immer. Auch ein bisschen Protest. Ist egal, wen man wählt. Es kommt wenig dabei rum. Ich glaub, Mönchengladbach ist die höchst verschuldete Stadt in Deutschland. Woran liegt das? Die Vorgängerin von dem Herrn Bude, die hat die Karre nicht aus dem Dreck ziehen können und der Herr Bude kann das auch nicht. Also: Wen soll man wählen? Albert an die Macht! Das bin ich. Viel schlechter kann ich es auch nicht machen."

Herr Albert arbeitet in den Niederlanden, seine Frau hat einen sicheren Job beim Finanzamt. Sie geht wählen. Er nicht.

Mann: "Uns persönlich geht es noch relativ sehr gut. Wir können noch unser Auto regelmäßig voll tanken. Können noch in Urlaub fahren. Zwar nicht mehr so weit, wie wir es gerne hätten. Aber die Nordsee ist immer noch drin."

Professor Bieberstein hat derlei Nichtwähler-Sätze häufiger gehört - und eine eigene Klasse der Nichtwähler gebildet: "Die Saturierten".

Bieberstein: "Die Saturierten, das sind die, die in der Mitte sind, letztendlich zufrieden sind, die auch keine wirtschaftlichen Probleme haben. Die eigentlich sorgenfrei abends einschlafen können. Aber die mit dem politischen System nichts am Hut haben, salopp gesagt. Es tut sich ja sowieso nichts, warum soll ich wählen gehen, ich bin eigentlich zufrieden, aber wenn ich wählen gehe, wird sich das nicht in die eine oder andere Richtung entscheiden. Eine gewisse Gleichgültigkeit."

Zehn Kilometer von Giesenkirchen entfernt liegt der Mönchengladbacher Stadtteil Rheindahlen. Es ist Jahrmarkt, das traditionelle Kappesfest. Mit "Hau-den-Lukas", Blumenhändlern, Textilienständen und flanierenden Ehepaaren. Ein Mann in der Menge spricht für viele: Es tue sich ja sowieso nichts bei den Politikern. Die ließen ihn und andere in diesem Superwahljahr ratlos zurück.

Mann: "Ich hab noch nie eine Wahl ausgelassen. Aber ich weiß nicht, ob ich dieses Jahr gehe. Es ist die Politikverdrossenheit. Dass sich die Parteien immer ähnlicher werden, egal welcher Couleur. Es gibt einfach keine Unterschiede mehr. Einen von der CDU den können sie zur SPD schicken und umgekehrt genauso. Die Profile der Parteien sind einfach verloren gegangen."

CDU-Bezirksvorsteher Arno Oellers steht nur eine Straßenecke weiter, hat heute schon Dutzende Hände geschüttelt. Aber auch hier im Rheindahlener Ortskern war die Wahlbeteiligung mit 43 Prozent zuletzt leicht unterdurchschnittlich. Rezepte?

Oellers: "Es ist ganz wichtig, wobei, hier im ländlichen Bereich geht es eigentlich noch, aber in Gesprächen mit den Bürgerschaften, mit den Vereinen darauf hinzuweisen, dass der Bürger auch die Pflicht des Wählens hat. Wobei ich dann auch die Partei eigentlich außen vor lasse und sage: Mir ist es wichtig, gleich, wen ihr wählt, dass es eine demokratische Partei ist. Man wirbt natürlich an einer anderen Stelle wieder für die eigene Partei. Aber wichtig ist es, den Bürger zu begeistern, dass er diesen Wahlgang macht. Ganz schwierig ist es bei jungen Menschen."

Die Jugendlichen auf dem Jahrmarkt zucken bei solchen Erklärungsversuchen und Appellen nur müde mit den Schultern, gehen kichernd weiter. Sie haben zwar seit 1999 in Nordrhein-Westfalen ein aktives Wahlrecht ab 16 Jahren. Aber deshalb gleich zur Wahl gehen?

Bieberstein: "Die jungen Nichtwähler sehen so aus, dass sie eher einen geringeren Bildungsabschluss haben, dass sie aus eher sozial schwächeren Verhältnissen kommen. Woher weiß ich das? Wir haben Fokusgruppengespräche geführt. Das ist ein Marktforschungsinstrument. Wo wir mit vermuteten Nichtwählern Kontakt aufgenommen haben. Über Schulen haben wir das getan. Und dort kam das ganz deutlich zum Ausdruck."

An einer Gesamtschule in Mönchengladbach-Mülfort unterrichtetet Rafaela Hahn Gesellschaftslehre. Den Schülern teilt sie jeden Wahltermin mit. Erfolg: Mäßig.

Hahn: "Also mir fällt auf, dass offensichtlich eine Relation besteht dazwischen, ob Eltern oder Verwandte wählen gehen oder nicht. Sie wollen eigentlich nur dann gehen, wenn der Rest der Familie wählen geht. Das berichten die Schüler auch: Es geht sowieso keiner wählen, warum soll ich jetzt dahin gehen?"

Hanneman, geh du voran? Ist Hannemann nun die Familie oder ist es die Politik?

Professor Ingo Bieberstein warnt die wahlkämpfenden Parteistrategen und -funktionäre: Es sei äußerst schwierig, mit den Mitteln des Marketings diese jungen Leute zu erreichen.

Bieberstein: "Die leben in einer reizüberfluteten Welt, die sind jeden Tag mit tausenden von Werbekontakten konfrontiert. Das heißt: Wenn wir sie erreichen, dann garantiert nicht mit den Mitteln des klassischen Wahlkampfs. Die funktionieren nicht. Wenn dann wirklich über Medien, die diese jungen Leute nutzen. Das Handy beispielsweise. Ganz wichtig die Direktansprache, die Face-to-face-Kommunikation. Ich kann berichten, als wir die Gespräche geführt haben: Die Schüler waren richtig zufrieden, dass endlich mal einer kam und mit ihnen über Politik gesprochen hat. Sie verschließen sich ja nicht diesem Thema, sie haben bloß keine Möglichkeit, Diskussionen mit den Politikern der Stadt zu führen."

Das Internet als Marktplatz der Meinungen. Mit technischen Mitteln die Jung- und Erstwähler umgarnen – das ist trendy. Barack Obama hat es gerade vorgemacht. Der kam ins Gespräch mit jungen Leuten – weil seine Wahlhelfer es schafften, eine lebendige Community aufzubauen. Professor Bieberstein kommt ins Schwärmen.

Bieberstein: "Ich bin kein Politikwissenschaftler, ich bin Marketingwissenschaftler, aber sicherlich ein ganz interessantes Benchmark. Ja also Benchmark: Wie kann man es besser machen als wir hier in Deutschland vielleicht? Obama hat uns ja auch gezeigt, wie man auch das Internet nutzen kann im Wahlkampf. Er hat das Internet als Dialoginstrument genutzt im Wahlkampf. Sehr erfolgreich."

Barack Obama lebt in den USA, Mönchengladbach liegt in Nordrhein-Westfalen. Dennoch? Norbert Post, Gesamtschullehrer, Landtagsabgeordneter und Spitzenkandidat der CDU für den Mönchengladbacher Oberbürgermeisterposten:

Post: "Ja wir werden natürlich für die jungen Leute stärker ins Internet gehen. Mit diesen Blogs und wie das auch alles heißt. Ich kenne die Begriffe noch nicht mal alle, muss das aber alles managen. Damit die in ihren Medien, die die gewohnt sind, auch angesprochen werden."

CDU-Post fordert SPD-Amtsinhaber Bude heraus. Dieser scheint seine Lektion verstanden zu haben. Zwar ist Mehrheit Mehrheit. Er kam auf 52 Prozent bei der letzten Oberbürgermeister-Stichwahl.

Bude: "Ja. Als ich in der Stichwahl gewählt worden bin, war natürlich große Freude, klar, es war ja auch ein Überraschungssieg."

Zum ersten Mal seit 1946 gab es damit in Mönchengladbach wieder einen SPD-Oberbürgermeister. Aber:

Bude: "Die Wahlbeteiligung, Stichwahl, um Gottes Willen. Das war eigentlich katastrophal. Insofern macht man sich schon Gedanken über die Frage Legitimation."

Nur 31 Prozent der Mönchengladbacher gingen zur entscheidenden OB-Wahl. Letztlich wurde das Stadtoberhaupt nur von 33.000 Mönchengladbachern gewählt. 33.000 von 265.000 Einwohnern.

Bude: "Wenn so viel nicht wählen gehen, kann irgendwas nicht in Ordnung sein, zum Beispiel an Politik, an Politikern, am System. Da kann man so wie ich als Demokrat nicht einfach sagen, wir gehen zur Tagesordnung über."

Deshalb auch der Auftrag für die Nichtwählerstudie an die Hochschule Niederrhein. Deshalb auch ein geplanter Verein, der sich parteiübergreifend für das Wählen gehen einsetzen soll. Deshalb seine Mitarbeit beim Netzwerk Prodialog, das den Kontakt der Politiker zum Volk verbessern will. Der SPD-Politiker spricht nicht so sehr von einer Politik- sondern von einer Politikerverdrossenheit.

Bude: "Ich glaube schlichtweg einfach, dadurch dass erstens. mittlerweile Parteien und auch Regierung es nicht mehr schaffen, die Bürger in einer umfassenden Art zu informieren, mit ihnen zu kommunizieren – das ist verloren gegangen – da müssen wir uns neu aufstellen. Und das zweitens ist das Thema, dass durch persönliches Fehlverhalten von Politikern und Politikerinnen geht Vertrauen in diese Berufsgruppe, in diese Menschengruppe Politik verloren. Und da müssen wir uns alle an die Nase fassen, derer, die wir Politik sind. Ein Verkehrsminister, der mit 104 erwischt wird, kann kein Verkehrsminister sein, der gleichzeitig Schirmherr für eine Kampagne zu Sicherheit im Verkehr ist. Geht einfach nicht. Und das kommt raus, und schon haben sie wieder ein Negativbeispiel."

Das Unbehagen gegenüber den Regierenden ist da. Es artikuliert sich immer stärker bei Wahlterminen.

In der Nichtwählerstudie hat Professor Bieberstein dieses Gefühl allgemeiner gefasst. Seine letzte große Nichtwählergruppe nennt er pauschal "die Verwaltungsfrustrierten".

Bieberstein: "Querbeet kamen Erlebnisse auf die Tagesordnung mit der Verwaltung. Negative Erlebnisse, die dann letztendlich als Motiv genannt werden, die führten dann zu der Konsequenz, dass sie sagen: Okay, das führt für mich zu einer Verweigerung. Und oft ist es auch so, dass das System gar nicht verstanden wird. Die Verwaltung, die Legislative, die Exekutive, das wird zusammen geworfen in einen Topf. Salopp: Der Stress im Einwohnermeldeamt führt dann direkt zu einem Tadel für die Politiker. Und das sind dann die Verwaltungsfrustrierten, die wir dann als Nichtwählergruppe identifiziert haben."

Der SPD-Stadtrat aus dem Stimmbezirk, wo zuletzt zwei Drittel am Wahllokal vorbeigingen, differenziert da noch weiter. Für Michael Hildemann gibt eine große Politikverdrossenheit nicht nur bei den Wählern, sondern auch bei den Gewählten, kommt die Politikverdrossenheit unter Politikern von der Erfahrung her, dass auch sie bei vielem außen vor bleiben:

Hildemann: "In den 70er-, 80er-Jahren war es so, dass viele Dinge auch über die Parteigrenzen hinweg gemacht worden sind. Ende der 80ger Jahre, 90er-Jahre wurde das nur noch durch die Mehrheiten bestimmt, durch die Koalitionen, die entstanden sind. (…) Man hat dann diese Mehrheiten ersetzt durch Absprachen in Hinterzimmern. Es war keine positive Entwicklung, selbstverständlich nicht. Selbst in den Mehrheitsfraktionen war und ist der Kreis derer sehr eingeschränkt, die politische Entscheidungen nachvollziehen können, daran beteiligt sind. Nachvollziehen vielleicht noch, aber beteiligt? -Sicher nicht."

Ohnmacht gegenüber dem Gefühl, dass die Strippen in Hinterzimmern gezogen werden. Warum sollen diese Ohnmacht nur Parteimitglieder spüren?

Der SPD-Politiker Bude spricht von Zweifeln am hiesigen System, sieht die näher rückenden Wahltermine im Kalender und macht fleißig weiter mit seiner Face-to-face-Kommunikation. "Miete den OB" heißt eine Aktion, für zwei bis drei Stunden sitzt er dann in Klassenräumen den potentiellen Erstwählern gegenüber. An ungefähr 20 Mönchengladbacher Schulen war er schon.

Bude: "Wir müssen junge Menschen direkt ansprechen. Plakate, Flyer, mag alles richtig sein, muss sein. Aber wenn wir es nicht schaffen, eine Distanz abzubauen und mit unserem eigenen, authentischen Agieren mit jungen Menschen direkt zu diskutieren, dann werden wir sie nicht erreichen. Wenn wir es aber tun, dann kann man ganz viel rüberbringen. Dann verstehen die auch, dass Politik eben nicht nur die reine Parteienpolitik ist, sondern dieses Sich-Einmischen, an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen. Ich erfahre dann, dass sie es verstanden haben: Ja, wählen gehen macht schon Sinn. Wir sind zumindest bereit, mal drüber nachzudenken, und hauen nicht gleich die Wahlbenachrichtigungskarte in die Tonne."

Basiswahlkampf, Hetzen von Termin zu Termin. Und so vielleicht irgendwann dann doch die schweigende Mehrheit der so genannten konjunkturellen Nichtwähler in der Stadt besiegen?

Bude: "Meine Hoffnung ist, dass es dann sicherlich im kleinen Bereich – ich bin jetzt nicht der völlige Träumer, zu sagen, wir kriegen jetzt 70, 80 Prozent bei der Kommunalwahl – das eine oder andere, glaube ich, können wir bewegen."

CDU-Politiker Post stößt ins gleiche Horn, hofft auf eine höhere Wahlbeteiligung als bei den letzten Terminen in der Nichtwählerdomäne.

Post: "Wir werden noch mehr vor Ort gehen und Klinken putzen, damit Menschen Menschen kennen lernen und nicht glauben, Politik wird von einem anonymen Etwas gemacht."

Was die beiden Berufspolitiker von SPD und CDU trotz getrennter Wege immer wieder hören können: Ohne Arbeit gibt’s kein Kreuz. Auch nicht in Mönchengladbach.

Frau: "Ich hab noch nie gewählt. Ich bin 27 und hab noch nie gewählt. Ich tu es nicht, weil sich nichts ändert in der sozialen Lage - finanziell, arbeitsmäßig, für die Kinder. Ich hab keine Arbeit, mein Mann ist am Arbeiten. Für die Kleine haben wir keinen Kindergartenplatz. Ich hab ja keinen für das Kind. Wo soll ich sie denn hintun? Ich wähle nicht. Mein Mann ja, ich wähle nicht. Der kriegt mich auch nicht überzeugt."