Donnerstag, 18. April 2024

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Regime Maduro
"Venezuela ist eine Diktatur"

Verhaftungen, Unterdrückung mit äußerster Brutalität, Militarisierung: Venezuela unter Präsident Nicolás Maduro sei zweifelsohne eine Diktatur, sagte Tom Koenigs, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen, im Dlf. Nur die internationale Isolation des Landes könne diesen "Raubsozialismus" stoppen.

Tom Koenigs im Gespräch mit Peter Kapern | 10.08.2017
    Der menschenrechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Tom Koenigs
    Der menschenrechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Tom Koenigs (picture-alliance / dpa / Arne Dedert)
    Peter Kapern: Ein Bürgermeister in Venezuela hat die Opposition zu weiteren Protesten aufgerufen. Ramón Muchacho heißt der Mann und er ist auf der Flucht, so wie eine Hand voll anderer Bürgermeister, denen Gefängnisstrafen drohen, weil sie die Demonstrationen der Opposition gegen das Regime von Präsident Maduro nicht unterdrückt haben. Das reicht in einem Land, in dem die Justiz dem Präsidenten hörig ist, um im Knast zu landen. Viele Venezolaner sind auf der Flucht, nicht nur aus Angst vor dem Gefängnis, sondern auch, weil die wirtschaftliche Lage einfach hoffnungslos ist.
    Und am Telefon bei uns ist nun Tom Koenigs, der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Morgen, Herr Koenigs!
    Tom Koenigs: Guten Morgen, Herr Kapern!
    "Fortschreitende Militarisierung"
    Kapern: Wo steht Venezuela gerade? Ist es eine Diktatur, eine Fast-Diktatur oder doch noch eher eine Demokratie auf der Kippe?
    Koenigs: Venezuela ist eine Diktatur und die großen lateinamerikanischen Nachbarn haben das vor zwei Tagen in Peru auch noch mal sehr explizit festgestellt. Es gibt Massenproteste, die brutal unterdrückt werden, der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen hat das jetzt auch noch mal sehr deutlich berichtet. Es gibt Verhaftungen, eine Unterdrückung mit äußerster Brutalität, und das Land ist auf dem Wege zu einer Militarisierung. Man muss sich mal vorstellen: Alle wichtigen Positionen, zum Beispiel elf von 32 Ministerien, werden von Generälen übernommen, auch viele wirtschaftliche Betriebe werden von Generälen geführt. In den letzten zwei Jahren sind 1.100 Generäle und Admiräle ernannt worden. Das heißt, hier bildet sich eine Schicht, die profitiert von der schreienden Armut im Lande. Die Unterversorgung durch Misswirtschaft und auch durch Unterschleif, also durch Korruption, hat dazu geführt, dass Lebensmittel und Medikamente knapp sind und die Leute wirklich hungern. Und wenn man sich fragt: Wo bleibt das Geld, das die riesigen Einnahmen aus der Wirtschaft gebracht haben? Dann muss man in den Panama Papers nachgucken. Jeder, der heute diese Diktatur noch verteidigt oder irgendwelche Sympathie zeigt, der muss sich vorwerfen lassen, dass er hier eine Entwicklung unterstützt oder toleriert, die nur zu Massenelend und Revolution führen kann.
    Kapern: War das eigentlich alles schon bei Hugo Chávez angelegt, der ja auch schon regiert hat, ohne sich um den Rechtsstaat zu kümmern, und der ja von der europäischen Linken lange Zeit bejubelt worden ist?
    «Die ANC (verfassungsgebende Versammlung) bringt Hunger», steht am 26.07.2017 an einer Wand geschrieben. Mit einem 48-stündigen Generalstreik verschärft die Opposition im Krisenland den Kampf gegen Präsident Maduro. Der sozialistische Staatschef soll mit dem Ausstand gezwungen werden, die für Sonntag geplante Wahl von 545 Mitgliedern einer verfassungsgebenden Versammlung abzusagen. 
    Krise in Venezuela - (dpa / picture alliance / Rayner Pena)
    Koenigs: Hugo Chávez hat auch sehr starke diktatoriale Elemente gehabt, hat aber noch Reste des Rechtsstaates aufrechterhalten und hat vor allem diesen Raubsozialismus nicht in der Weise sprießen lassen, wie das jetzt der Fall ist. Das ist nicht, wie Maduro immer sagt, ein Ergebnis der kapitalistischen Unterdrückung in anderen Ländern, sondern das ist nichts anderes als ein Raubsozialismus im eigenen Land.
    "Land muss isoliert werden"
    Kapern: Sie haben es eben angedeutet, Herr Koenig: 17 amerikanische Staaten haben die sogenannte Erklärung von Lima unterzeichnet, in der sie einen Bruch der demokratischen Ordnung in Venezuela feststellen und beteuern, dass sie keinerlei Beschlüsse der sogenannten Verfassungsgebenden Versammlung in Venezuela anerkennen. Denken Sie, so was beeindruckt Präsident Maduro?
    Koenigs: Das ist immerhin eine Form der Deutlichkeit, die es bisher nicht gegeben hat. Die Erklärung aus Peru ist sehr hart und ist auch richtig, nämlich alle darauf hinzuweisen, dass eine Zusammenarbeit mit diesem Regime eine Zusammenarbeit, eine Unterstützung einer Diktatur ist. Es gibt nur noch ganz wenige Länder, die zu Venezuela halten. Das sind die üblichen Verdächtigen, Bolivien, Nicaragua, Kuba. Und das Land zu isolieren, ist meines Erachtens der richtige Weg. Das lässt sich meines Erachtens auch nicht anders machen, denn niemand wird sich dort direkt einmischen wollen. Aber es muss doch klar sein, dass die Opposition internationale Unterstützung hat. Man muss sich mal vorstellen: Da gibt es vor etwas mehr als einem halben Jahr eine Parlamentswahl, da werden zwei Drittel der Abgeordneten von der Opposition gewählt, das heißt, es gibt eine komfortable Mehrheit der Opposition, und daraufhin entschließt sich der Präsident jetzt, eine neue Konstituierende Versammlung einzuberufen, die ist jetzt beherrscht von Regierungskräften und soll jetzt die Funktion des Parlaments übernehmen. Also, wenn das Parlament nicht richtig gewählt wird, dann sucht man sich eben ein neues.
    Kapern: Und vor diesem Hintergrund, welchen Zweck erfüllt da die Entscheidung der Opposition aus der vergangenen Nacht, nun doch zu den Regionalwahlen anzutreten? Da ist doch dann offensichtlich der Betrug vorprogrammiert?
    Menschen rennen weg, im Hintergrund Fahrzeuge von Sicherheitskräften.
    Viele Menschen gehen auf die Straße, auch gegen die Zunehmende Überdrückung im Lande. (AFP / Ronaldo Schemidt)
    Koenigs: Das war eine sehr umstrittene Diskussion, weil man gesagt hat, es wird hier die Wahl betrogen. Es stehen aber Regionalwahlen an und die Opposition, die immer wieder zu friedlichen Protesten aufruft, hat sich jetzt entschlossen, sich an dieser Wahl doch zu beteiligen – an der Wahl zur Konstituierenden Versammlung hat sie sich nicht beteiligt –, um weiterhin zu betonen, dass sie die demokratische Alternative ist. Ich glaube, das ist eine richtige Entscheidung und man muss sehr genau darauf achten, ob die Wahl betrogen wird, ob die Wahl gefälscht wird. Und wenn, dann wird es wieder Massenproteste geben. Letzten Endes wird die Frage, glaube ich, auf der Straße ausgetragen und eine entscheidende Rolle wird das Militär spielen, das bisher fest aufseiten von Maduro steht, eben wegen dieser Korruptionselemente, die er dem Militär gegenüber gefunden hat. Aber auf die Dauer lässt sich ein Volk, das – das ist ja in dem Bericht gesagt worden – noch nicht mal Klopapier kaufen kann, nicht in der Weise unterdrücken in einem eigentlich ja reichen Land.
    Kapern: Also, noch mal nachgefragt, Herr Koenigs: Wer oder was stoppt Maduro? Die Kolumbianer (sic!), indem sie das öffentliche Leben lahmlegen, oder möglicherweise die Armee durch einen Seitenwechsel?
    Koenigs: Ich glaube nicht, dass die Armee einen offenen Seitenwechsel vollzieht, ich kann mir aber vorstellen, dass durch Druck auf der Straße die Armee zur Neutralität gezwungen wird und sich von der Straße her dann neue, demokratische Kraft entwickelt. Die Opposition ist leider ihrerseits unter sich sehr gespalten und in der Programmatik auch nicht so sicher, dass die armen Leute jetzt sicher sein könnten: Wenn die Opposition gewinnt, dann wird etwas für uns getan. Der Nachteil der bürgerlichen Opposition in vielen Staaten Lateinamerikas ist, dass sie ein Konzept für die armen Leute in der Weise nicht haben, wie es zum Beispiel ja Chávez gehabt hat, der seine Popularität aus Sozialprogrammen vor allem gewonnen hat. Und daran muss gearbeitet werden, daran muss auch die Opposition arbeiten. Es muss ein Konzept für die armen Leute geben, denn die Armut ist schreiend in Venezuela.
    Kapern: Klingt alles zusammengenommen nicht so, als stünde die Ära Maduro vor einem baldigen Ende. Tom Koenigs war das, der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Herr Koenigs, danke, dass Sie heute früh Zeit für uns hatten, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Koenigs: Ihnen auch, tschüs, Herr Kapern!
    Kapern: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.