Schriftstellerin Paula Hawkins

Von Wasserleichen und Hexenjagden

Wie in einem Wasserstrudel treiben die Erinnerungen der Protagonistin hoch und verschwinden wieder.
Neuer Roman von Paula Hawkins: Wie in einem Wasserstrudel treiben die Erinnerungen der Protagonistin. © imago/allOver_MEV, blanvalet
Von Franziska Walser · 10.10.2017
Die zentrale Figur im neuen Roman von Paula Hawkins "Into the Water" hat eine Essstörung. Um eine Trinkerin geht es in ihrem Bestseller "Girl on the Train". Nicht zufällig macht die britische Schriftstellerin unbequeme Frauen zu Romanheldinnen.
Ihre Romane leben von der Atmosphäre, die durch Orte und Landschaften entsteht. In ihrem Erfolgsroman "Girl on the Train" war das ein Vorortzug. In ihrem aktuellen Buch ist es ein Fluss: die Lebensader einer Kleinstadt – und gleichzeitig ein Ort, an dem viel gestorben wird.
"Ein Fluss hat beinahe eine Persönlichkeit. Das ist das Besondere an Wasser, dass es sich ständig verändert. An manchen Tagen ist es idyllisch und ruhig, an anderen aufgewühlt und wütend. "
Wir sind auf dem Wasser verabredet. In einem Restaurantschiff am Berliner Landwehrkanal. Die Herbstsonne spiegelt sich im Wasser und lässt die Flügel der Schwäne leuchten wie weiße Buchseiten. Paula Hawkins macht Fotos mit ihrem Handy. Es ist ihr erster Besuch in Berlin.

Das Buch ist den unbequemen Frauen gewidmet

Aber, sagt Paula Hawkins, das sei natürlich nur die Oberfläche. Darunter kann alles sein: Gefährliche Strömungen, versunkene Erinnerungsstücke oder – wie in "Into the Water" – die Wasserleichen mehrerer Frauen. Paula Hawkins hat ihr neues Buch "allen unbequemen Frauen" gewidmet. Im englischen Original heißt es "Troublemakers"
"Das ist nicht meine Definition. Die Gesellschaft sieht sie so. Mich interessiert warum das so ist. Wer fühlt sich von diesen Frauen bedroht?"
Die weibliche Perspektive ist Paula Hawkins wichtig. Auf die Frage, ob sie sich als Feministin sieht, antwortet sie ohne zu zögern: Ja.
Paula Hawkins spricht von Frauen, die zum Schweigen gebracht werden. Nicht wie früher, zur Zeit der Hexenverfolgung. Heute finden die Hexenjagden in Hasskommentaren im Netz statt.
Die Frauenfiguren, die die Neugier der Autorin wecken, sind gebrochene Charaktere wie die Trinkerin in "Girl on the Train". Jules, die zentrale Figur in "Into the Water" hat eine Essstörung, ist traumatisiert und launisch. Das macht sie zu einer unzuverlässigen Erzählerin. Wie in einem Wasserstrudel treiben ihre Erinnerungen unkontrolliert hoch und verschwinden wieder.
Der Neurologe Oliver Sacks hat dieses Phänomen in einem Artikel beschrieben, der Paula Hawkins sehr beeindruckt hat. Auch weil sie es selbst kennt.
"Du erzählst deiner Mutter von einer Kindheitserinnerung und auf einmal sagt die: Nein, da warst du gar nicht dabei. Das hast du nur auf einem Foto gesehen. Das ist extrem beunruhigend."

Kindheit in Simbabwe, in einem großen Haus mit Pool

Die Autorin ist 1972 geboren, ihre Kindheit hat sie in Simbabwe verbracht. Die Familie hatte ein großes Haus, einen Pool, in dem sie jeden Tag schwimmen war. Aber es war eine trügerische Idylle, geprägt von den Nachwirkungen der Apartheid. Mit 17 kam Paula Hawkins nach London, wo sie heute noch lebt. Ihre ersten Schreiberfahrungen machte sie bei einer Zeitung - ausgerechnet im Wirtschaftsressort. Trockener Stoff für eine angehende Autorin. Aber auch hier trügt der erste Anschein:
"Als Journalistin redest du mit Leuten. Du hörst ihnen zu, aber vor allem hörst du auf das, was sie dir NICHT erzählen. Was sie verstecken. Das ist eine gute Schule für eine Roman-Autorin."
Nach ihrer Zeit als Journalistin versuchte sie sich unter einem Pseudonym an "ChickLit" romantische Komödien à la Bridget Jones. Das war, sagt sie offen, nicht ihre Stärke. Dann kam der Besteller mit "Girl und the Train". Aber was folgt auf den Megaerfolg?
Erstmal Erwartungsdruck. Und vielleicht auch die Lust der Kritiker, jemanden, der schnell viel erreicht hat, scheitern zu sehen. Nicht umsonst gibt es im Englischen das deutsche Wort "Schadenfreude".

"Ich würde es vielleicht nicht wieder so machen, aber beim Schreiben habe ich es genossen"

Die englischen Rezensionen zu "Into the Water" sind durchwachsen. Dass die Geschichte aus elf verschiedenen Perspektiven erzählt wird, finden einige zu kompliziert.
Paula Hawkins ist keine Autorin, die Kritik meidet. Die meisten Rezensionen hat sie gelesen. Aber tief verunsichert wirkt sie nicht.
"Manchmal treffen Kritiken einen wunden Punkt. Etwas, wo man selbst unsicher war. Ich würde es vielleicht nicht wieder so machen. Aber beim Schreiben habe ich es genossen."
Die selbstbewusste Antwort einer unbequemen Frau. Ob ihr neues Buch ein Bestseller wird oder untergeht - Paula Hawkins weiß, wie man den Kopf über Wasser hält.

Paula Hawkins: Into the Water – Traue keinem außer dir selbst
Aus dem Englischen von Christoph Göhler
Verlag Blanvalet, München 2017
480 Seiten, 14,99 Euro

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