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Jerusalem
Die unterirdische Stadt der Toten

Die Friedhöfe Jerusalems sind überfüllt und das Problem wird immer gravierender, denn neues Land gibt es nicht. Eine Bestattung in einer Urne würde Platz sparen, doch das ist im Judentum verboten. Nun entsteht in einem Höhlensystem im Untergrund ein gigantischer Friedhof.

Von Benjamin Hammer | 29.01.2018
    Itzik Behar, project engineer, walks in tunnels that will house catacomb burial plots in the underground burial tunnels at the Givat Shaul Cemetery, Har HaMenuchot, in Jerusalem, Israel, November 26, 2017. Due to overcrowding and lack of land for burial sites in Jerusalem, the religious burial society called Chevra Kadisha, is building the massive underground burial site that will provide space for more than 22,000 graves. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY JER2017112616 DEBBIExHILL
    50 Meter unter dem "Berg der Ruhenden" entsteht in Jerusalem eine unterirdische Stadt der Toten (imago stock&people)
    Har Hamenuchot, der größte Friedhof von Jerusalem, auf Deutsch: Der Berg der Ruhenden. 50 Meter unter den Toten geht es in diesen Tagen etwas unruhiger zu. Bauarbeiter arbeiten in einem gigantischen Höhlensystem. Tunnel verlaufen bis zu einen Kilometer in den Jerusalemer Kalkstein. Hier entstehen 22.000 Gräber. Denn oben gibt es längst keinen Platz mehr. Der Mann, der die riesige Stadt der Toten plant, heißt Hananya Shahar. Er ist Rabbiner und leitet den größten jüdischen Beerdigungsverein der Stadt.
    "Der Friedhof oben ist völlig überfüllt. Dort gibt es bereits über 170.000 Gräber. Wenn wir die Menschen weiterhin oben begraben wollen, müssen wir die Regierung um neues Land bitten. Es gibt aber kein Land mehr. Das ist einer der Gründe, warum wir in den Untergrund gehen."
    Ein Platz "bis in alle Ewigkeit"
    Die Höhlen sind breit und hoch, etwa 15 mal 15 Meter. Im Zentrum der Anlage befindet sich eine riesige Halle, die in Richtung Himmel geöffnet ist. Der Rabbiner Shahar ist überzeugt: Das ist der Friedhof der Zukunft. Er rechnet vor: Unter der Erde können zehn Mal mehr Gräber entstehen als auf einem gewöhnlichen Friedhof. Israel ist ein kleines Land mit vielen Einwohnern. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung laut Prognosen fast verdoppeln. Und das bedeutet: Jedes Jahr werden mehr Menschen sterben und Gräber benötigen. Nicht nur in Jerusalem, auch in anderen Städten Israels sind die Friedhöfe bereits heute völlig überfüllt. Dafür gibt es auch religiöse Gründe.
    "Im Judentum glauben wir, dass der Körper die Hülle einer sehr heiligen Seele ist", sagt der Rabbiner. "Deshalb müssen wir den Körper in einem ehrbaren Zustand aufbewahren. Wir begraben die Toten bis in alle Ewigkeit."
    Die meisten Gräber befinden sich in kleinen Ausbuchtungen, die die Bauarbeiter mitten in den Fels gefräst haben.
    Die meisten Gräber befinden sich in kleinen Ausbuchtungen, die die Bauarbeiter mitten in den Fels gefräst haben. (imago stock&people)
    Ein Grab nach ein paar Jahrzehnten zu ersetzen: Im Judentum ist das undenkbar. Eine Einäscherung und die Bestattung in einer Urne würden Platz sparen. Doch auch das ist im Judentum verboten.
    Schon Christus wurde im Felsengrab beigesetzt
    Die meisten Gräber befinden sich in kleinen Ausbuchtungen, die die Bauarbeiter mitten in den Fels gefräst haben. Dutzende Gräber liegen so dicht nebeneinander. Aufzüge und Gänge sollen die Familienangehörigen später zu den Gräbern der Verstorbenen bringen. Die Planer betonen, dass ihr Konzept, historisch gesehen, nichts Außergewöhnliches ist. Höhlengräber waren im Judentum vor rund 2000 Jahren üblich, auch Jesus Christus wurde in einem Felsengrab beigesetzt. Hananya Shahar, der Rabbiner des Beerdigungsvereins ist überzeugt, dass die Menschen sein Konzept annehmen werden:
    "In 500 Jahren werden meine Nachfahren nur noch wenig Raum zum Leben haben. Natürlich möchte jeder ein Grab mit einer schönen Aussicht. Aber wenn wir immer mehr Friedhöfe über der Erde bauen, zerstören wir die schöne Aussicht. Ich sehe das so: Wir sollten die Aussicht als Lebende genießen. Wir wollen keine Friedhöfe sehen, sondern den Wald. Lass die Toten im Untergrund bleiben!"
    Arik Glazer sorgt dafür, dass der riesige Untergrundfriedhof entsteht. Der Israeli ist Bauunternehmer. Normalerweise baut sein Unternehmen Straßentunnel oder unterirdische Kanäle. 40 Millionen Euro kostet das Projekt in Jerusalem. Arik Glazer ist sicher: Platzangst muss hier unten niemand bekommen.
    "Wenn ich die Baustelle meinen Freunden zeige, dann sagen sie: Das fühlt sich ja an wie ein Einkaufszentrum! Es wird hier viel Platz geben. Ich kann nicht sagen, dass das hier ein vergnüglicher Ort wird. Aber es wird eine würdige, eine friedliche Stätte. Die die Toten respektiert und ihre lebenden Angehörigen."
    Modellcharakter auch für andere Weltgegenden
    Arik Glazer baut den nach eigenen Angaben ersten modernen Untergrundfriedhof der Welt. Er hofft darauf, dass weitere Projekte folgen. In Israel und auf der ganzen Welt. Denn auch in vielen anderen Ländern und Städten wird der Platz für Gräber knapp. Hananya Shahar schaut dem Unternehmer bei den Bauarbeiten auf die Finger. Am Ende muss er seinen geistlichen Segen geben, bevor hier die ersten Menschen begraben werden. Die Qualität muss stimmen, denn das Bauwerk soll, sofern das möglich ist, bis in alle Ewigkeit bestehen.
    "Wer einmal begraben wurde", sagt der Rabbiner, "soll niemals gestört werden. Für immer." Er hätte kein Problem damit, auf einem Untergrundfriedhof begraben zu werden. Und trotzdem wird das nicht passieren. Hananya Shahar will auf dem Ölberg begraben werden, direkt gegenüber von der Altstadt von Jerusalem. Denn dort liegen bereits seine Eltern begraben.