Rechte Publizistik

"Man schätzt sogar Erdogan"

Der Historiker Volker Weiß
Volker Weiß © Annette Hauschild
Volker Weiß im Gespräch mit Tom Schimmeck  · 24.04.2018
Obwohl rechtes Gedankengut modern und professionell inszeniert daherkomme, seien die politischen Konzepte oft nur aus vergangenen Jahrzehnten übernommen und kaum weiterentwickelt, sagt der Historiker Volker Weiß.

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Frage: Worin besteht in Ihren Augen die Grundmelodie rechten deutschen Denkens?
Weiß: Wenn wir uns die Texte anschauen, dann geht es um eine klar geordnete Welt. Es geht um eine Nation, die homogen ist – sowohl ethnisch als auch kulturell. Ein permanentes Motiv ist immer das Motiv der Wiedergeburt. Es geht letztendlich um die Wiedergeburt des alten Reiches. Das muss man dann auch verstehen. Im Geschichtsbild dieser Menschen ist sozusagen das Eigene der Deutschen 1945 mit der Kriegsniederlage verschwunden. Und '68 hat das dann gefestigt, diese Niederlage. Und mit der Liberalisierung und Diversifizierung der Gesellschaften – was ja global schlicht und ergreifend so ist – ist dieses Eigene, das Eigentliche, das Identitäre verschwunden. Und das möchte man wiederhaben.
Frage: Welches Gesellschaftsbild steht dahinter?
Weiß: Erst einmal geht um die Restrukturierung einer autoritär gefügten, traditionsfixierten Gesellschaft. Und man hat als quasi Zwischenstationen Orientierungspunkte wie Victor Orbán oder Wladimir Putin, also: Wie bauen sich diese Leute ihre Gesellschaften? Mit einem starken Sicherheitsapparat, mit starken Befugnissen der Staatsführung, mit einer systematischen Ausschaltung der Opposition. Man schätzt sogar Erdoǧan. Das ist ja auch das Spannende: Diese autoritären, diktatorischen Seiten der Islamisten weiß man sehr wohl zu schätzen weil man sie eigentlich selber haben möchte. Der Islam soll nur auf seiner Seite des Mittelmeers bleiben.
Frage: Wer sind die klassischen Stichwortgeber?
Weiß: Ob es die ewige Bezugnahme auf Ernst Jünger ist oder Carl Schmitt, der fast noch wichtiger ist. Oder die Stichwortgeber von Schmitt – Donoso Cortés, ein spanischer Ultrareaktionär der Vormärzzeit des frühen 19. Jahrhunderts, ein Katholik, der auf Schmitt sehr viel Wirkung hatte. Oder ob es Oswald Spengler ist. Es ist alles schon dagewesen. Es wird nur wieder aufgewärmt. Und das Schlimme ist: Es hat noch nicht mal das Niveau der Originale. Schon die neue Rechte in der unmittelbaren Nachkriegszeit, also die Kreise um Armin Mohler sind nur Epigonen der 20er Jahre. Und die Generation, mit der wir es heute zu tun haben, sind quasi die Kopie der Kopie.
Frage: Der ultrarechte Verleger und Aktivist Götz Kubitschek bezieht sich heute wieder auf Jünger, Cortes, Schmitt, Spengler und andere Vordenker der Rechten.
Weiß: Wer sich derartig systematisch auf hochgradig antidemokratische Autoren wie Carl Schmitt oder den genannten Donoso Cortés bezieht, wer permanent den Ausnahmezustand herbeiseht und die entsprechenden Maßnahmen, wer also die Gesellschaftsmodelle eines Oswald Spengler oder eines Edgar Julius Jung, also autoritäre, ständestaatliche Modelle, diktatorische Modelle, lobt, herbeischreibt und wünscht, der kann sich nicht gleichzeitig als Demokrat gerieren. Das ist Unfug.
Frage: Das heißt: Alles Taktik? Man nimmt sich, was man brauchen kann?
Weiß: Auf der einen Seite distanziert man sich verbal vom Nationalsozialismus. Man bezieht sich auf Leute, die sogar Konflikte mit der NSDAP hatten. Auf der anderen Seite verlegt man dann ein antisemitisches Buch wie Fines Germania. Man greift die Flüchtlinge an mit dem Argument, dass ein islamischer Antisemitismus ins Land kommt – zu Recht, das ist ein großes Problem, aber man pflegt selber eine Rhetorik, wenn es um Vergangenheitspolitik geht – der Begriff des sogenannten "Schuldkultes –, die so antisemitisch aufgeladen ist. Man ignoriert auch den Antisemitismus, der beispielsweise in russlanddeutschen Kreisen vorhanden ist.
Frage: Was ist das neurechte Erfolgsrezept im deutschsprachigen Raum?
Weiß: Ich denke, dass ein Erfolgsgrund für diese Kreise vor allem in Österreich und Ostdeutschland ist, dass dort das Narrativ des eigenen Opfertums sehr, sehr präsent war. Die Österreicher waren immer die ersten Opfer. Und in der DDR gab es nun mal auch die Neigung, das deutsche Volk zu entschuldigen, weil der Faschismus ja nur eine Agentur des Kapitals war. Damit war man entlastet. Man hat das Problem externalisiert. Und deswegen können gerade in Ostdeutschland und in Österreich diese Erzählungen heute besonders gut greifen.
Frage: Gibt es auffällig wiederkehrende Motive in der politischen Debatte?
Weiß: Die Figur des Flüchtlings spielt ja schon in den 40er Jahren eine Rolle. Da geht es vor allem um jüdische Flüchtlinge, generell aber um europäische Flüchtlinge, die in die USA kommen. Die Dinge, die dort erzählt werden von den Straßenagitatoren der radikalen Rechten in Amerika – das ist teilweise wortgleich. Vor allem dann immer wieder dieser Vorwurf, den man heute auch hört: Das sind junge Männer, die sich davor drücken, in ihrer Heimat zu kämpfen und sich hier – Zitat – "parasitär einrichten wollen". Und mittlerweile haben wir natürlich eine äußere gesellschaftliche Situation, die darauf anspringt. Also wir haben etwas, was ich als Contenance-Verlust des Bürgertums, einen politischen Contenance-Verlust, bezeichne. Das heißt: Man ist auch genau für diese Trigger-Faktoren dann auch anfällig. Man möchte auch in dieses Hysterie verfallen, verfällt dann in sie und da hat man dann genau diese Akteure, die das immer weiter füttern, füttern und füttern. Man kann das mit den Worten von Kurt Lenk, einem alten, sehr, sehr erfahrenen Politologen auf dem Gebiet, der mal systematisch sich Agitationsreden angeschaut hat, fassen in ein Dreiklang-Modell: Apokalypse-Dekadenz-Heroismus. Und dieses Dreiklang-Modell findet man immer wieder, bis heute, in Agitationen von rechten Rednern. Also die Apokalypse dräut, alles bricht zusammen, die Krisen kulminieren, Deutschland geht unter, schafft sich ab, das Abendland geht unter und so weiter. Die Rhetoriken kennen wir nun auch schon seit der Jahrhundertwende – vor dem ersten Weltkrieg."
Frage: Heute wird rege darüber diskutiert, inwieweit Literatur rechtsextrem, faschistisch sein kann. Beim Mussolini-Anbeter Ezra Pound ist das vielleicht keine Frage. Auch Louis-Ferdinand Céline war eindeutig ein Antisemit. Aber wie sehen Sie das bei einem modernen Misanthropen wie Michel Houellebecq?
Weiß: Aber auch hier möchte ich dann sozusagen das Werk nochmal trennen vom Autor. Weil wir bei Céline tatsächlich auch den modernen Roman finden. So wie wir auch bei Ernst Jünger sehr viel Literarisches finden können. Man sollte nur nicht auf die dumme Idee kommen, damit heute eine Gesellschaft zu bauen. Ich interpretiere ja Houellebecq, den ich eben auch gerne lese, anders. Und ich finde gerade in der Unterwerfung einige durchaus sehr kluge Erkenntnisse wieder. Die Unterwerfung argumentiert ja sehr stark mit der Ähnlichkeit von Islamisten und Identitären. Das ist ein Moment, das ich bei Houellebecq dann auch wirklich schätze.
Frage: Auch in vergangenen Jahrzehnten hat der rechte Rand immer wieder versucht, alte Ideen in neue Gewänder zu kleiden. Jetzt scheint er mit der Übernahme linker und popkultureller Attitüden und Symbole einen Weg zu finden.
Weiß: Und das hat die andere Seite sehr wohl verstanden. Da gibt es seit vielen Jahren auch einfach Handreichungstexte. Die schreiben klipp und klar, wie man eine Inszenierung aufzubauen hat. Ich wundere mich überhaupt nicht, wenn sich Rechte pop-kulturell auf der Höhe der Zeit präsentieren, wie das ja auch die "Casa Pound" macht. Das gehört zum Programm. Der Faschismus hat per se eine moderne Form als sein eigenes. Sie können Bilder generieren, sie können Parolen setzen. Sie haben sich das sehr genau angeschaut, wie das Beispielsweise Greenpeace gemacht hat. Das wird auch ausformuliert: Wir wollen ein Greenpeace für Deutschland, hat ja diese Ein-Prozent-Bewegung dann formuliert. Das heißt: Sie können mit einer relativ begrenzten Menge an Akteuren einen doch recht breiten Widerhall erzeugen.
Frage: Machen Medien bei der Beschreibung dieser Phänomene und Akteure Fehler?
Weiß: Mir fällt bei gerade Autorinnen und Autoren, die aus dem Pop-Bereich kommen – die berühmten Pop-Journalisten – auf, dass sie sehr stark anspringen auf diese oberflächlichen Phänomene, also auf das Element der Haltung, auf die ästhetische Inszenierung. Weil sie das gelernt haben. Das konnte man sehen an dem großen Portrait, dass der Spiegel veröffentlicht hat von Götz Kubitschek. Es war ein ehemaliger Pop-Journalist, der das geschrieben hat und der hat sich komplett eingelassen auf diese – ja, auf diese Äußerung und hat sich davon in meinen Augen auch fehlleiten lassen.
Frage: Andererseits weht Journalisten gerade im Kulturbereich mitunter ein recht scharfer Wind entgegen, wenn sie Künstler als Wegbereiter rechter Gedanken kritisieren.
Weiß: Es ist ein ganz alter autoritärer Reflex, den Boten zu köpfen, den Überbringer der schlechten Nachricht. Das passiert an jedem Königshof. Das kann man in der ganzen Debatte über die Rechte sehen. Wer die Dinge benennt – und es ist notwendig, die Dinge zu benennen –, der ist der, wie es dann so schön heißt, der "Gutmensch", der nicht cool genug ist, sich auf das kommunikative Spiel einzulassen – ein Spiel, das man gar nicht gewinnen kann – und der immer nur mäkelt und letztendlich den Nestbeschmutzer gibt. Aber man muss Leute, die dezidiert aus dieser politischen Tradition kommen und mit diesen Inhalten arbeiten, sich auf diese Autoren berufen, auch benennen.

Was macht den Hass auf alle, die anders sind, so attraktiv? Die Feature-Reihe HERD. HEIMAT. HASS. geht den Wurzeln rechten Denkens auf den Grund.

Dr. phil. Volker Weiß ist Historiker und Experte für die neue Rechte. Sein letztes Buch, "Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" ist bei Klett-Cotta erschienen.
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