Ulinka Rublack: "Der Astronom und die Hexe"

Johannes Kepler im Kampf gegen den Aberglauben

Holzstich einer Hexenverbrennung: Unter einer an einen Pfahl gefesselten Frau wird ein Feuer entzündet.
Hexenverfolgung in Europa, hier in einer Darstellung von 1544. Anders als oft angenommen, erreichte die Hexenverfolgung ihren Höhepunkt nicht im Mittelalter, sondern in der Frühen Neuzeit. © Bild: imago/United Archives, Cover: Klett Cotta Verlag
Von Gerrit Stratmann · 09.11.2018
Johannes Keplers Forschungsarbeiten fielen in eine Zeit, als in Europa noch "Hexen" verbrannt wurden. Auch seine Mutter war angeklagt. Die Historikerin Ulinka Rublack rollt die Geschichte dieses Prozesses in einem lehrreichen Buch detailliert auf.
1615 in Leonberg bei Stuttgart: Die Bürgerin Ursula Reinberg leidet seit Langem unter chronischen Schmerzen. Vier Jahre vorher soll Katharina Kepler ihr ein Getränk angeboten haben, das sie als Ursache für ihr Leiden ansieht. Aus dem Gerücht wird eine Anklage. Im Laufe der Zeit melden sich weitere Augenzeugen für angeblich merkwürdiges Verhalten der "Keplerin" zu Wort. 1620 wird sie verhaftet.
Trotz seiner Anstellung im österreichischen Linz zieht Johannes Kepler daraufhin vorübergehend zurück nach Württemberg, um seiner Mutter vor Ort beizustehen. In ausführlichen Verteidigungsschriften entkräftet und erklärt er jeden der gegen sie vorgebrachten Vorwürfe, um ihr die drohende Folter und das Todesurteil zu ersparen. Nach 14 Monaten in Haft wird sie Anfang Oktober 1621 aus Mangel an überzeugenden Beweisen freigelassen.

Plastische Schilderung damaliger Lebensumstände

Ausgiebig beleuchtet Ulinka Rublack die Familie Kepler und deren Umgang mit der Anklage. Ebenso plastisch nimmt sie die Lebensumstände der Menschen um 1600 in Leonberg und Umgebung in den Blick.
Dabei rücken das Beziehungsgeflecht der beteiligten Personen ebenso in ihren Fokus wie das Bild alter Frauen in der damaligen Gesellschaft, der Stellenwert von Alchemie und Kräuterkunde, die verschiedenen Rechtsauffassungen zum Umgang mit "Hexen" oder Keplers Karriere als Gelehrter. Die vielen gewinnbringenden Exkurse ihres Buches stehen allerdings einer stringenten Darstellung des Hexenprozesses gegen Katharina Kepler im Weg.

Eine Welt im Wandel

Auf der anderen Seite aber gelingt Ulinka Rublack genau dadurch eine differenzierte Betrachtung der Zeitumstände, in denen eine solche Anklage gegen eine unbescholtene Witwe gedeihen konnte. Das weltanschauliche Klima zeigt sich in einer bisweilen unheilvollen Mischung aus Aberglaube und Religionsstreitigkeiten, in dem Ringen um die Durchsetzung des Rechts zwischen Vetternwirtschaft und vernünftigen Argumenten, und nicht zuletzt in dem Versuch Keplers, seine modernen Planeten-Erkenntnisse in ein gottesfürchtiges, harmonisches Weltmodell einzubetten.
All das spiegelt die Zustände an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit wider. Ein lehrreiches Buch.

Ulinka Rublack: "Der Astronom und die Hexe. Johannes Kepler und seine Zeit"
Aus dem Englischen von Hainer Kober
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018
409 Seiten, 26 Euro

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