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Flüchtlingslager in Kenia
Gut im Geschäft

Etwa zwölf Prozent der Flüchtlinge haben sich nach Zahlen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in dem kenianischen Flüchtlingslager Kakuma selbstständig gemacht. Darunter zwei junge Frauen, die trotz ihrer Behinderungen als Unternehmerinnen erfolgreich sind.

Von Bettina Rühl | 05.03.2019
Kakuma, Kenia, 28.07.2018: Kenia Kakuma Fluechtlingslager Kakuma 2/3/4.
Flüchtlingslager Kakuma in Kenia, 28. Juli 2018 (Sebastian Wells)
Das heiße Fett fängt an zu brutzeln, sobald Annett Poni die hellgelben Teigkugeln hineinfallen lässt. Die 28-jährige Südsudanesin backt Mandazi - Krapfen, die in Kenia gerne zum Frühstück gegessen werden. Dazu bietet sie Tee mit viel Milch und Zucker an, das übliche, einfache Frühstück. Annett Poni betreibt ein kleines Restaurant im Flüchtlingslager Kakuma im Norden von Kenia. Dorthin ist sie vor drei Jahren vor dem Bürgerkrieg im Südsudan geflohen - und gründete bald danach ihr kleines Restaurant.
"Ich brauche Geld für meine Kinder, zum Beispiel für ihre Schulhefte, Bücher und Kleidung. Außer mir gibt es niemanden, der sie unterstützen kann."
Die Flüchtlinge bekommen in Kakuma zwar die wichtigsten Lebensmittel vom Welternährungsprogramm, mehr aber auch nicht. Poni muss ihre Kinder alleine versorgen, ihr Mann wurde 2016 von Bewaffneten im Südsudan getötet. Daraufhin entschloss sie sich zur Flucht - sie wusste nicht, wie sie ihre Kinder in den Wirren des Krieges alleine schützen und großziehen sollte.
Aber auch vor der Flucht hatte sie Angst: Ihr rechtes Bein ist dünn und kraftlos, weil sie als Mädchen Kinderlähmung hatte. Wie sollte sie den Fußmarsch mit ihren Krücken, sechs Kindern und etwas Hausrat schaffen? Aber andere Fliehende und ihre größeren Kinder halfen ihr.
"Die Flucht war gefährlich, zwei Tage lang waren wir unterwegs. Wir wurden von Bewaffneten beschossen, während wir über die Straße liefen, sie haben einfach in die Menge der Flüchtenden geschossen. Autos haben sie besonders ins Visier genommen. Deshalb sind wir bis zur Grenze zu Fuß gelaufen."
Schnell eigenes Geld verdienen
Im Flüchtlingslager angekommen, nahm sie sich trotzdem nicht viel Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Statt nur von Hilfe abhängig zu sein, wollte sie selbst etwas verdienen. Von der Hilfsorganisation Handicap International bekam sie als Startkapitel rund 90 Euro - die Organisation unterstützt Menschen mit einer Beeinträchtigung. Das Geld reichte für eine kleine Wellblechhütte, ein paar grob gezimmerte Tische und Bänke, Töpfe und einen Holzkohlenherd. Einige typische kenianische Gerichte hat Annett Poni schnell gelernt.
"Ich mache außer den Mandazi noch Githeri, also eine Mischung aus Mais und Bohnen. Außerdem Bohnen, und natürlich Tee."
Während Annett Poni die Krapfen ausbackt, läuft ihr der Schweiß über das Gesicht. Es ist zwar noch früh am Vormittag, aber schon heiß hier im Norden von Kenia. In der Nähe des offenen Holzkohlefeuers ist die Hitze stechend. Trotzdem bleibt Annett Poni ohne jeden Schatten direkt am Feuer sitzen, auf einem leeren Kanister, in dem einmal Speiseöl war.
Am Tag verdient sie gut vier Euro. Davon kauft sie Kleidung, Schulhefte oder Medikamente, wenn jemand krank wird. Und sie bezahlt eine Südsudanesin, ebenfalls Flüchtling, die ihr hilft.
"In Zukunft würde ich mein Restaurant gerne erweitern, außerdem auch noch einen Laden gründen. Der könnte ruhig klein sein, aber da würde ich dann alles verkaufen, was ich auch selbst brauche - dann muss ich für das, was ich im Restaurant brauche, nicht mehr so weit gehen."
2.000 Flüchtlinge als Unternehmer aktiv
Dann würde sie auch mehr Leute beschäftigen - also weitere Arbeitsplätze schaffen. Die junge Südsudanesin ist nicht die einzige, die sich in Kakuma selbstständig gemacht hat. Etwa 2.000 Flüchtlinge sind Unternehmerinnen beziehungsweise Unternehmer, oder betreiben in dem Flüchtlingslager zumindest ein kleines Geschäft.
Das ist das Ergebnis einer Studie, an der das Flüchtlingshilfswerk UNHCR beteiligt war. Demnach haben sich in Kakuma zwölf Prozent der Flüchtlinge selbstständig gemacht. Eine beachtliche Leistung, denn die meisten von ihnen besaßen so gut wie gar nichts, als sie in Kenia ankamen.
Die 30-jährige Bisharo Muya Sokondo betreibt ihren Laden in einer der Marktstraßen von Kakuma. Die Somalierin verkauft Trockenfisch, Kochbananen, Reis und andere Lebensmittel. Auch sie verdient nach ihrer Schätzung etwa vier Euro am Tag.
"Davon spare ich jeden Tag einen Euro. Von dem Rest kaufe ich Lebensmittel, mit denen wir unsere Rationen aufbessern - oft ist es zu wenig, wir kaufen zusätzlich Reis, Speiseöl oder Milch. Das kaufe ich nicht nur für mich, sondern auch für meine Mutter und meine beiden Nichten. Von dem Ersparten zahle ich das Schulgeld für meine Nichten, Medikamente und andere Sonderausgaben."
Auch Sokondo geht an Krücken. Ihr rechtes Bein musste nach einem Schlangebiss schon vor 17 Jahren kurz über dem Knie amputiert werden. Zwei Jahre später floh sie vor dem Krieg in Somalia nach Kenia, zusammen mit ihrer Mutter und ihren zwei Nichten. Ihr Vater war während der Kämpfe getötet worden, ihr Bruder blieb zunächst in Somalia zurück, floh erst einige Jahre später.
Während Sokondo erzählt, kriegt sie immer wieder Anrufe. Dann diskutiert sie kurz mit kenianischen Händlern, die ihr Waren anbieten. Gerade geht es um eine LKW-Ladung mit Bananen. Dagegen waren ihre Anfänge sehr bescheiden. Auch Sokondo bekam etwas Startkaptial von Handicap International.
Anfangs zweigte sie regelmäßig etwas von den Lebensmittelrationen ab, die sie vom Welternährungsprogramm in Kakuma erhielt, und verkaufte das. Nach und nach konnte sie ihren Laden erweitern. Wenn sie genauso weitermacht wie in den ersten zehn Jahren, wird auch sie bald Arbeit für andere Flüchtlinge haben.