Ausstellung "Das Reichsparteitagsgelände im Krieg" in Nürnberg

Den Opfern eine Stimme geben

05:36 Minuten
Ein Wachturm hinter einem Stacheldrahtzaun am Haupteingang zum Kriegsgefangenenlager Stalag XIII A in Nürnberg-Langwasser im Winter 1939/40.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Gefangenenlager umfunktioniert: Der Haupteingang zum "Stalag XIII A" in Nürnberg-Langwasser im Winter 1939/40. © Stadtarchiv Erlangen, Sammlung Rühl
Von Thomas Senne · 10.05.2019
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Wo die Nazis ihre Parteitage abhielten, wurde mit Beginn des Zweiten Weltkrieges ein Arbeitslager errichtet. Dort kamen Tausende Gefangene ums Leben. Mit diesem Thema setzt sich nun erstmals eine Ausstellung in Nürnberg auseinander.
Das ehemalige Nürnberger Reichsparteitagsgelände kämpft mit dem Verfall. Rund 85 Millionen Euro sind nötig, um der Nachwelt die allmählich zerbröselnden Kulissen der Gewalt zu erhalten: ein einmaliger Lernort der Geschichte. Doch in der aktuellen Ausstellung "Das Reichsparteitagsgelände im Krieg" des Dokumentationszentrums beschäftigt man sich nicht mit dem Pro und Contra der Restaurierung von Nazibauten, sondern geht der weitgehend unbekannt gebliebenen Geschichte des Reichsparteitagsgeländes im Zweiten Weltkrieg nach. Thomas Senne hat für Deutschlandfunk Kultur die Ausstellung besucht.

Vom Aufmarschplatz zum Arbeitslager

Wie in den Jahren zuvor sollte er eigentlich am 2. September 1939 in Nürnberg wieder über die Bühne gehen: der Reichsparteitag der NSDAP mit Adolf Hitler als Hauptredner. Doch weil mit dem Überfall Deutschlands auf Polen nur einen Tag vorher der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, war das braune Massenspektakel kurzerhand abgesagt worden.
Eine Parade des Reichsarbeitsdienstes: Männer in Uniform und mit Spaten laufen in Reihen vor dem Reichsparteitagsgelände vorbei, auf der Tribüne steht Hitler.
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden in Nürnberg große NS-Paraden gefeiert, wie dieses Bild aus dem Jahr 1938 dokumentiert. Hitler nimmt eine Parade des Reichsarbeitsdienstes auf dem Zeppelin-Feld ab.© AP Archiv
Bald darauf wurde im südlichen Areal des riesigen Geländes, wo früher Parteitagsteilnehmer in Zeltstädten untergebracht waren, ein Internierungslager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter errichtet. Ausstellungskuratorin Hanne Leßau:
"Und in diesem Lagerkomplex sind, nach defensiven Schätzungen, mehr als hunderttausend Kriegsgefangene und Zivilisten untergebracht worden, die dort unter sehr unterschiedlichen Bedingungen leben mussten. Die meisten von ihnen mussten in den Arbeitseinsatz in der Region. Mehrere Tausende aber sind auch auf dem Gelände selbst gestorben."


Die Internierten starben an Mangelernährung, Kälte oder Krankheiten wie Typhus, die durch die unzureichende Unterbringung in Zelten oder später Baracken begünstigt wurden. Ein Thema, sagt die Kuratorin Hanne Leßau, das in der Ausstellung nun erstmals mit Hilfe von Dokumenten wie amtlichen Schreiben, Briefen, Tagebüchern, Skizzen oder Fotografien ausführlich gewürdigt wird.

"Es gibt natürlich sehr unterschiedliche Vorgehensweisen, je nachdem von welcher Nationalität die Gefangenen waren, aus welchem Land sie stammten, in welchem militärischen Rang sie waren. Offiziere hat man anders behandelt als einfache Soldaten."
Hinter einem hohen Stacheldrahtzaun stehen Gefangene vor einfache Baracken mit schneebedeckten Dächern.
Polnische Kriegsgefangene im Lager in Nürnberg im Winter 1939/40.© Stadtarchiv Erlangen, Sammlung Rühl

Tod durch Hinrichtungen und Mangelernährung

Denn Offiziere mussten nicht arbeiten und konnten sich die Zeit beim Kartenspiel vertreiben. Jetzt ausgewertete Dokumente belegen, dass allerdings russische Kriegsgefangene, die in einem eigenen Lager untergebracht waren, oft systematisch für Hinrichtungen aussortiert wurden: Nürnberg als Tatort nationalsozialistischer Gewalt.

"Es hat vor allen Dingen sehr viele Tote durch Mangelversorgung gegeben. Man hat sie medizinisch nicht versorgt. Man hat ihnen zu wenig zu essen gegeben. Sie mussten hart arbeiten und waren in Zelten untergebracht. Das sind die höchsten Todeszahlen. Es gab aber eben auch 'Aussonderungen', wie das heißt. Das ist ein Mordprogramm, was vor allen 1941 und 1942 an sowjetischen Kriegsgefangenen durchgeführt wurde. Da wurden von Gestapo, Wehrmacht und SS sowjetische Kriegsgefangene nach relativ vagen Kriterien ausgewählt und in Konzentrationslager überstellt. Im Fall von Nürnberg war das das Konzentrationslager Dachau."

Einfachheit gegen die Wucht der Architektur

In Dachau wurden von Erschießungskommandos Tausende liquidiert. Bewusst wurden den beiden Schauräumen, zwei unvollendet gebliebenen Sälen mit wuchtigen Steinsäulen, etliche fragile temporäre Holzkonstruktionen entgegengestellt: einfache, asymmetrisch angeordnete Pulte, Infotafeln und gelbe Stehvitrinen mit raren Leitobjekten – als Gegengewicht zur monströsen Herrschaftsarchitektur. Ein Konzept, das funktioniert, auch wenn die gezeigte Text- und Bilderflut von den Besuchern vielleicht etwas zu viel Stehvermögen abverlangt.
In einer Halle mit großen Säulen sind große Papptafeln aufgestellt, die die Geschichte des Nürnberger Arbeitslagers dokumentieren.
Geschichte dokumentiert: Durch die differenzierte Betrachtung einzelner Gefangenengruppen verdeutlicht die Ausstellung unterschiedliche Dimensionen von erlebter Gewalt.© Museen der Stadt Nürnberg/Stefan Meyer
Diverse Audiostationen mit nachgesprochenen Originalzitaten von Gefangenen geben den anonymen Opfern wieder eine Stimme. Fotografien und topografische Installationen vermitteln einen Eindruck von dem durch Schäferhundpatroullien bewachten Internierungsgelände mit seinen Holzbaracken, doppelten Stacheldrahtzäunen, Kommandotürmen und seiner lagereigenen Desinfektionsanstalt.
Unbeteiligte Besucher informiert die sehenswerte Geschichtsschau eindrucksvoll über ein vergessenes Kapitel des NS-Terrorregimes. Für die Angehörigen der Opfer aber ist die Ausstellung mehr: ein Ort der Erinnerung und Trauer.

"Das Reichsparteitagsgelände im Krieg"
Ausstellung bis zum 2. Februar 2020 im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg

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