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Energiewende-Projekt in Hamburg
Mit überschüssiger Energie CO2 und Kosten sparen

Wenn der Wind heftig weht und die Sonne stark scheint, müssen Windräder und Photovoltaikanlagen bisweilen abgeregelt werden; sonst droht eine Netzüberlastung. Eine Kupferhütte in Hamburg nutzt jetzt den überschüssigen Wind- und Solarstrom - das verbessert die Klimabilanz und hilft auch den Netzbetreibern.

Von Axel Schröder | 23.08.2019
Ein Mitarbeiter der Aurubis AG kontrolliert am 04.12.2013 in Hamburg das Anodengießrad in einer Halle des Hamburger Kupferkonzerns.
Aurubis ist die zweitgrößte Kupferhütte Europas - und braucht viel Energie (dpa / Bodo Marks)
"Meine Damen und Herren! Das ist eine besondere Freude für mich, dass wir heute gemeinsam diese Anlage eröffnen können! Sie haben ja wirklich tolles Wetter bestellt!"
Hamburgs grüner Umweltsenator Jens Kerstan, ein Mikrofon in der Hand, steht vor drei Dutzend Gästen. Mit Bauhelm und Warnweste, auf dem weiten Gelände der Kupferhütte Aurubis, der zweitgrößten Europas. Eingeweiht wird die sogenannte "Power-to-Steam"-Anlage. Hinter Jens Kerstan, durch das offene Rolltor ist die hochmoderne Technik zu sehen: ein rund zehn Meter hoher Kessel, drum herum baumdicke silberne Rohrleitungen und viel Computertechnik. Umgesetzt hat das Projekt Ulf Gehrckens, zuständig für den Bereich "Energie und Klimaschutz" beim Kupferunternehmen:
"Es ist eigentlich so etwas wie ein Siedekocher, um Kaffeewasser aufzuheizen. Wir haben hier einen Sieder und dieser Sieder wird jetzt mit Energie gespeist, die aus überschüssiger Energie kommt. Zum Beispiel aus Windmühlen, die sonst abgeregelt werden würden. Oder aus Solarstrom, wo das nicht benötigt wird."
CO2-Einsparung entspricht Ausstoß von 2.000 Autos
Sobald die Stromnetz-Leitwarten ein Zuviel an erzeugter Ökostrom-Leistung melden, schaltet die neue Anlage die Dampferzeugung per Erdgas ab. Dann startet der stromgetriebene Riesen-Tauchsieder. Zehn Megawatt leistet die Anlage. Und am Ende, durch den Verzicht auf Erdgas, spart der Konzern in seinem Hamburger Werk auch noch CO2, erklärt Gehrkens:
"Wenn die Fahrweise so ist, wie wir sie planen, dann liegen wir ungefähr bei 4.000 Tonnen pro Jahr. Das ist ungefähr so viel wie 2.000 Pkw im Jahr ausstoßen."
Und im letzten Jahr ging die Fernwärmeleitung vom Werksgelände in die Hafencity in Betrieb, erzählt Gehrkens. Die enorme Hitze bei der Kupferherstellung wird also recycelt und in die Wohnungen des neuen Stadtteils geleitet. 3,5 Millionen Euro hat die Power-to-Heat-Anlage gekostet, 300.000 Euro kamen vom Bund.
Blick ins Innere der Power-to-Steam-Anlage bei Auribis
Blick ins Innere der Power-to-Steam-Anlage bei Auribis (Axel Schröder, Deutschlandradio)
Verschwendung von grüner Energie
Die neue Hightech-Maschine ist Teil eines größeren Projekts: der so genannten "Norddeutschen Energiewende 4.0", kurz: NEW 4.0, einem Netzwerk von Firmen aus dem Energiebereich. Geleitet wird das Projekt vom Hamburger Hochschulprofessor Werner Beba. Eines seiner Ziele: Immer mehr überschüssiger Wind- und Solarstrom soll genutzt werden. Schon allein wegen der immensen Entschädigungszahlungen für die Windbauern. Die werden immer dann gezahlt, wenn der Wind zwar wehte, aber die Anlagen abgeregelt werden mussten.
"Diese 3,3 Terrawatt-Stunden sind in der Regel um die 300 Millionen Entschädigungskosten. Weil der Windanlagen-Betreiber kann ja nichts dafür, dass abgeregelt wird. Aber wir müssen auch sehen, dass ein hoher Aufwand im Management des Systems bei den Netzbetreibern entsteht. Und ich sag mal so: Dadurch, dass wir diesen Strom nicht nutzen können, weil wir ihn auch nicht nutzen dürfen, haben wir einen volkswirtschaftlichen Schaden von 500 Millionen Euro pro Jahr."
"Wie müssen jetzt die Pläne entwickeln"
Werner Beba fordert mehr Tempo bei der Energiewende. Noch längst, betont der Professor, wird nicht genug Strom aus Wind, Wasser, Sonne und Biogas gewonnen, um die Hamburger Klimaschutzziele zu erreichen.
"Wenn wir tatsächlich 75 Prozent bis 2035 dekarbonisieren wollen, müssen wir die größten Schritte jetzt machen, nicht in den letzten Jahren. Da werden die Schritte nur klein sein. Da müssen wir jetzt die Pläne entwickeln, die Anreize für die Industrie geben und die Förderung auch bereitstellen."
Denn ohne staatliche Zuschüsse würden eben nur wenige Firmen von sich aus in die neue, teure Technik investieren.
Hamburg ist auf Aurubis-Fernwärme angewiesen
Aurubis-Chef Roland Harings erklärt den nächsten Schritt beim Umbau der Kupferhütte. In Zukunft soll neben dem Rohstoff Kupfer auch Wärme im großen Stil verkauft werden.
"Wir können sehr zeitnah die dreifache Menge an Wärme in das Fernwärmenetz der Stadt Hamburg einspeisen als wir es heute tun. Hier müssen wir jetzt wirklich mit Hochdruck dran arbeiten. Das ist eine CO2-Ersparnis, die im Prinzip ja schon umgesetzt ist."
Hamburgs grüner Umweltsenator Jens Kerstan wird sich darum kümmern. Denn ohne das Fernwärmeangebot der Aurubis würde sein Plan nicht aufgehen: ab 2030 soll die Hansestadt mit nahezu klimaneutraler Fernwärme versorgt werden.