Donnerstag, 18. April 2024

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30 Jahre Mauerfall
Johnny Workman - Bademeister und US-Spion

Breiter Akzent, kräftig gebaut, immer gute Laune. So lernte Dlf-Landeskorrespondent Axel Schröder als 15-Jähriger den Bademeister Johnny Workman kennen. Was er damals nicht weiß, der US-Amerikaner aus San Diego war vorher ein Spion, der direkt an der Grenze zur DDR arbeitete.

Von Axel Schröder | 24.09.2019
Der US-Amerikaner Johnny Workman auf dem Höhbeck, wo einst eine Abhöreinrichtzung des US-Geheimdienstes NSA stand
Der US-Amerikaner Johnny Workman (Deutschlandradio / Axel Schröder)
"Hi!" - "Hey!" - "How is it goin‘?" - "Fine!" - "Good!"
Alle lieben Johnny. Das war schon immer so. Mitte der Achtzigerjahre sind wir uns über den Weg gelaufen. In Gartow, im Wendland, damals noch sogenanntes Zonenrandgebiet. Johnny Workman, ein Ami aus San Diego, stämmig, breiter Akzent und immer gut gelaunt, ist für uns damals der coolste, entspannteste Bademeister der Welt.
"Du warst der Bademeister. Und Du hattest immer ein typisches Outfit an."
"Ja, mehr oder weniger. Ich hatte immer ein Ami-T-Shirt an und ich habe diese Surfer-Pants gehabt. Hawaiihemd hab ich auch angehabt. Und das Schwimmbad war ein Ort, wo wir alle uns getroffen haben."
30 Jahre Mauerfall: Meine ganz persönliche Wende
30 Jahre Mauerfall: Meine ganz persönliche Wende (imago images / Winfried Rothermel)
Während Johnny mit Flipflops seine Runden am Beckenrand dreht, lerne ich, mit 15, noch grün hinter den Ohren, Jenny kennen. Johnnys Tochter. Eine Sommerliebe unter Teenagern. Johnny schaut mir tief in die Augen, eine Hand auf meiner Schulter: "Take Care of Her! Pass gut auf meine Tochter auf!‘"
"Genau! Hab ich gesagt! Und Jenny fand Dich auch ganz toll. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber Eure Wege haben sich getrennt. Jenny ist heute in New York und Du bist hier beim Funk!"
Vor zwei Jahren erfahren, dass Johnny mal Spion war
Ich bin beim Funk. Und Johnny, vor zwei Jahren hatte ich zum ersten Mal davon gehört, Johnny war nicht immer dieser lässige Bademeister gewesen.
"Zwischen 1967 und 1970 war ich tätig für die NSA. Oben auf dem Höhbeck. Wir haben die DDR abgehört. Aber nicht nur das. Wir haben vieles andere abgehört. West, Ost, alles!"
Johnny sitzt auf dem Beifahrersitz, wir machen uns auf den Weg zu dem Ort, an dem er seinen dreijährigen Militärdienst leistete. Zusammen mit insgesamt 80 Geheimdienstkollegen, mit Abhörspezialisten und Dolmetschern für Russisch, Tschechisch, Polnisch und Ungarisch lag er auf der Lauer. Die Fahrt führt zum Höhbeck, einer Anhöhe von gerade mal 30 Metern über dem Meeresspiegel, die trotzdem einen weiten, freien Blick über die Elbe bietet, bis weit ins Innere der einstigen DDR, ins heutige Brandenburg. Johnny navigiert, lotst uns rechts ab von einer schmalen, noch asphaltierten Straße. Im Schritttempo geht es bergauf.
Der US-Amerikaner Johnny Workman vor der einstigen NSA-Dienststelle auf dem Höhbeck
Der US-Amerikaner Johnny Workman vor der einstigen NSA-Dienststelle auf dem Höhbeck (Deutschlandradio/Axel Radio)
"Jetzt fahren wir ja mitten durch die Botanik, es ist ein Waldweg!"
"Ja! Und diesen Weg bin ich jeden Tag gefahren. Nach meinem Dienst auf der Dienststelle oben auf dem Höhbeck!"
Im Winter 1970 klopften desertierte NVA-Soldaten an die Tür
Ein holpriger Plattenweg führt noch steiler hinauf, noch tiefer in den Wald hinein. Dann lichtet sich das Grün. Wir parken unterhalb des alten Horchpostens, ein mit Holz verleideter, dreistöckiger Bau direkt am Hang. Breites Holzstufen führen nach oben zum Eingang. Heute ist es ein Privathaus. Die neuen Eigentümer sind nicht da. Der große Garten ist gepflegt, der Rasen gemäht. Den ganz freien Blick nach drüben gibt es nicht mehr, der Wald ist mit den Jahren immer höher gewachsen. Nie vergessen wird Johnny, als spätabends, im eiskalten Winter 1970, es bei der NSA auf dem Höhbeck an der Tür klingelte. Deutsche Grenzer standen da. Aber keine aus dem Westen.
"Larry, unser Sergeant, steht auf, geht hin und guckt und sagt: 'Das ist nicht der Bundesgrenzschutz! Das ist die NVA!' Und dann haben sie ihre Kalaschnikows abgegeben."
Die beiden DDR-Grenzer waren unter Lebensgefahr über die zugefrorene Elbe geflüchtet. Und bekamen erst einmal eine warme Mahlzeit aufgetischt, bevor der Bundesgrenzschutz die beiden zum Verhör abholte.
1989, knapp 20 Jahre später, bricht die DDR zusammen, Johnny ist verheiratet und hat den Militärdienst längst quittiert. Mittlerweile hat er die Leitung der Gartower Badeanstalt und den Job als Bademeister übernommen. Von der Maueröffnung erfährt er beim Autofahren. Überall waren plötzlich Trabis unterwegs. Johnny schaltet das Radio an und hört die sensationellen Nachrichten.
"Und war das ein Gefühl von: 'Ja, wir haben gewonnen!'?"
"Schießen? Ich wollte das nicht"
"Nein. Das Gefühl hatte ich nicht. Weil ich mich immer für die People drüben interessiert habe. Ich weiß, das war mein Feind. Aber was war das für ein Feind? Also, spionieren, das ist toll. Aber Schießen? Das ist nicht mein Ding. Ich wollte das nicht!"
Nach dem Mauerfall hat sich Johnny auf die Suche nach den geflüchteten DDR-Grenzern gemacht. Vor fünf Jahren haben sie sich getroffen. Unten an der Elbe, dort, wo mittlerweile eine Fähre verkehrt, hat er sich erzählen lassen, wie es ihnen ergangen ist. Er selbst hat in der Zwischenzeit Football-Mannschaften trainiert, war Englisch-Lehrer am Gymnasium und fliegt neuerdings als Vertreter für Biosäfte um die Welt. Biosäfte vom Höhbeck, vom einstigen Spionageberg.