Freitag, 29. März 2024

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Opern-Wiederentdeckung in Wien
Polens Nationaloper an der Donau

Adliger liebt Bauernmädchen. Aus klassischem Theaterplot und neuem Volksliedton schuf Stanisław Moniuszko 1858 eine polnische Nationaloper. Doch der internationale Durchbruch blieb „Halka“ versagt. Jetzt zeigt das Theater an der Wien eine Neuinszenierung - und das Publikum jubelt!

Von Jörn Florian Fuchs | 16.12.2019
Corinne Winters als "Halka" am Theater an der Wien
Vor lauter Verzweiflung am Boden: Sopranistin Corinne Winters als "Halka" im Theater an der Wien (Theater an der Wien / Foto: Monika Rittershaus)
Stanisław Moniuszko braucht keine fünf Takte, da packt er uns schon. Und er hat vier gut gebaute Akte lang unsere volle Aufmerksamkeit. Man kommt nach dieser fulminanten Entdeckung wirklich ins Grübeln: Warum spielt kaum jemand diese originelle, nach der Bühne geradezu lechzende Musik?
Na gut, die Geschichte mag ein wenig simpel wirken. Doch wenn man sie gut in Szene setzt, entwickelt sie archetypische Wucht. Glücklicherweise zeigt Regisseur Mariusz Treliński die teilweise regelrecht filmisch-thrillerhafte Handlung weder als bunten Kostümschinken noch als exaltierten Gegenwartskommentar.
Überwältigende Intensität der Protagonistin
Treliński verlegt alles in ein Hotel im Polen der 1970er Jahre. Dort arbeitet Halka als Zimmermädchen: Corinne Winters spielt und singt das verlorene Trauerwesen mit überwältigender Intensität.
Piekfeine, aber letztlich arg prollige Herren amüsieren sich mit blondierten Girlies. Man groovt und moovt im Stil der Zeit, ergeht sich ab und an aber auch in klassischen Volkstänzen. Mit großer Kraft und unter wirkungsvollem Einsatz der Drehbühne laufen die Szenen und Konflikte ab. Die Räume werden manchmal erweitert durch Videoprojektionen, rasch gefolgt von konzentrierten, intimen Momenten.
Kalt wirkt das Ganze. In einer konsequent durchgehaltenen Schwarz-weiß-Ästhetik sorgen eigentlich nur die blonden Amüsierdamen nebst ein paar semmelblonden Party-Jungs für Kontrast - wobei ziemlich eiskalte Erotik versprüht wird.
So viel, so wenig Symbolik
Bei der Uraufführung verstand das Publikum einige sehr direkte Anspielungen auf polnische Bauernaufstände. Heute ist das natürlich vor allem in Wien überhaupt nicht präsent. Mariusz Treliński lässt an mehreren Stellen elektronische Sounds erklingen und dazu einen verbrannten Birkenwald auftauchen. Eine Szene erinnert an ein Gefangenenlager. So viel oder auch so wenig Symbolik reicht völlig aus und ist zudem ein wirksamer Kontrapunkt zu Moniuszkos oft wirbelnd auftrumpfender Musik.
Der Komponist versuchte ja, aus diversen Quellen und Nationen einen neuen Volksliedton zu schaffen und diesen in eine große Oper einzubetten, was ihm wirklich auch gelungen ist. Am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien steht Łukasz Borowicz, und der präsentiert uns eine klangliche Zauberkiste voller Kostbarkeiten. Wahnwitzig laut und überdreht tönt das, dann wieder schluchzend melancholisch - einfach eine Wonne! Der Arnold Schoenberg Chor ist eine weitere Spitzenzutat dieser so gelungenen Premiere. Tomasz Konieczny gibt den eitlen, bösen Janusz. Seine Stimme wirkt eigentlich zu groß fürs doch eher kleine Theater an der Wien. Wenn man Piotr Beczała sieht und hört, versteht man nicht wirklich, warum Halka an ihm so gar nichts findet. Beczała verleiht der Figur des Halka umsorgenden, platonischen Freundes Jontek eine solche Würde und Wahrhaftigkeit, dass er vom Publikum zu Recht am meisten bejubelt wurde.
Hoffentlich keine Eintagsfliege
Wie überhaupt das ganze Stück gut ankam und man sich beeilen muss, um noch Karten für die nächsten Vorstellungen zu bekommen, bevor die Produktion nach Warschau weiterreist. Wir aber hoffen, dass "Halka" keine Spielplan-Eintagsfliege bleibt.