Franz Paul Horn: "Fluchtgeschichten"

Drei Blicke auf den Krieg

06:08 Minuten
Cover von "Über die Grenzen" von Franz Paul Horn aus dem Kremayr & Scheriau Verlag
In "Über die Grenzen" beschreibt Autor Franz Paul Horn Reisegeschichten, die auch Fluchtgeschichten sind. © Kremayr & Scheriau Verlag/ Collage:Deutschlandradio
Von Christiane Enkeler  · 11.01.2020
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Paul fährt mit dem Rad von Wien nach Teheran, Filip flüchtet aus Syrien und Malek vor den Taliban. Drei junge Männer, drei Routen, ein Buch: Der Autor Franz Paul Horn verbindet ihre Geschichten, aber die gute Absicht dahinter geht nur teilweise auf.
Es gibt eine Menge zu "kritteln" an dem Buch des jungen Wiener Autors Franz Paul Horn. Der studierte Biologe und Publizist hat einen Reisebericht geschrieben, der ausdrücklich nicht nur die eigene Perspektive berücksichtigen will. Was natürlich eine gute Absicht ist.
"Über die Grenzen" erzählt einerseits die Reise von Autor Paul, der mit zwei Freunden und dem Fahrrad von Wien bis nach Teheran radelt – eine sportliche Herausforderung, unterbrochen von Saufgelagen, Fahrradpannen und vor allem vielen Begegnungen.
Andererseits, grau unterlegt, Abschnitt für Abschnitt, erfahren wir die Geschichten von Malek, einem sehr jungen Afghanen aus einem Dorf in der Nähe von Dschalalabad, und von Filip, einem syrischen Christen und DJ, die beide vor Krieg und Terror in die Gegenrichtung flüchten. Jeweils auf sich gestellt, stehen sie viel Angst und Gewalt durch. Die drei begegnen sich während ihrer Reisen nicht.

Begegnung bei Pauls Vater in Salzburg

Ihre Routen überschneiden sich in der Mitte des Buches in der Türkei und in Griechenland. Zeitlich sind die Europäer rund 70 Tage unterwegs, während Maleks Flucht über sechs Monate dauert. Am Ende, im letzten Abschnitt des Buchs, treffen sich alle in Salzburg bei Pauls Vater, der Filip in seinem Haus aufgenommen hat. Malek kommt zu Besuch. Ein Kindheitsfreund von Paul, der unentgeltlich Deutschunterricht für Flüchtlinge gibt, bringt ihn mit.
Es ist Sommer 2015, der Sommer, in dem Angela Merkel den Satz "Wir schaffen das" prägt. Deswegen ist dieses Buch auch ein Statement. "Ich habe gesehen, wie gut sie dich überall in der Welt aufgenommen haben", sagt Pauls Vater. "Da wollte ich auch was tun."
Was am Anfang ärgerlich ist, übertriebene Naivität und pseudo-coole, launige Sprache von Paul und die hölzerne Ausdrucksweise von Malek und Filip, verliert sich gegen Ende etwas und wird dann zum Teil auch verständlich.

Launig zur Schau gestellte Naivität

Paul reist nach seinem Biologie-Abschluss und hat sich vorher wohl eher auf diesen Abschluss vorbereitet und weniger auf Reise, Politik und Geschichte der Länder, die er anschließend durchfährt: Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Türkei und Iran. In Europa verbringen die Biologen auch viel Zeit mit Natur- und vor allem Vogelbeobachtungen. Ohnehin ergeben sich zum Teil während der Reise noch Zuspitzungen, wie die Finanzkrise in Griechenland und der Kurdenkonflikt. Ganz nebenbei erfährt man kurz vor Schluss, dass Paul Sponsoren gesucht hat, recht erfolglos.
Die launig zur Schau gestellte Naivität, wenn zum Beispiel "heute morgendlicher Blitzkrieg am Programm (steht)" oder ein kroatischer Gastgeber aus unerfindlichen Gründen zum "Zigeunerkönig" wird, die Sonne zur "gelben Sau" und die drei jungen Männer eben "Musketiere" – geschenkt, ein bisschen halbstark halt oder die Suche nach popliterarischem Anschluss. Und vielleicht auch gewollter Kontrast.
Wenn Malek oder Filip vom Krieg sprechen, liest sich das ganz anders. Dass die Schilderungen anfangs so hölzern und beschreibend, aufzählend wirken, hat Gründe, wie wir am Ende erfahren: "Ich habe bewusst auf Ausschmückungen verzichtet, um die Geschichten originalgetreu zu erzählen, vieles ist im Wortlaut." Beide lernen ja erst Deutsch.

Die Reise ist eine Überforderung

Was Franz Paul Horn in seinem Epilog allerdings voranstellt: "Alle erzählten Geschichten sind tatsächlich so passiert. Das ist die Realität von Reise und Flucht – so läuft’s in der Welt." Genau das ist eine Ausschmückung, noch dazu eine, die, wie oft ähnliche Formulierungen in dem Buch, Unterschiede, Eigenheiten, Charakteristisches eher vom Tisch wischt, während der Bericht rund 400 Seiten lang ausdrücklich Begegnung und Bewegung, Prozess und Reise als Konfliktbewältigung und Kriegsvermeidungsstrategie proklamiert.
Die Reise ist eine Überforderung, wie Horn am Ende selbst feststellt. Natürlich liegt der Wert in der andauernden Annäherung und Verarbeitung. Womöglich ist das Buch eigentlich noch gar nicht "fertig". Und kann es nie werden. Dann aber wäre doch geschickt, es auch stilistisch auf diesen Horizont hin zu orientieren? Das ist ärgerlich und deswegen - und weil der Autor natürlich nicht wissen kann, ob alles wirklich so passiert ist, wie Malek und Filip erzählen, oder auch, ob er sie richtig verstanden hat - ist das Buch "Über die Grenzen" kaum große Literatur. Lesenswert ist es trotzdem.

Franz Paul Horn: "Über die Grenzen. Wien, Damaskus, Kabul: Drei wahre Geschichten von Reise und Flucht"
Kremayr & Scheriau, Wien 2019
400 Seiten, 22 Euro

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